Miles Sicht
Ziemlich übermüdet ziehe ich mein graues T-Shirt aus und werfe es in die Richtung meines Schrankes. Ob es auch im Schrank landet, sehe ich nicht und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Ich will nur noch meine Augen schließen und einschlafen, doch ich werde von einem leisen, vorsichtigen Klopfen an meiner Tür unterbrochen. Mit einem lauten Seufzen reiße ich wieder die Augen auf. Wer will denn um diese späte Uhrzeit noch was von mir? Ich selbst will auf jeden Fall einfach nur schlafen. “Herein“, sage ich ein wenig lauter und genervter als gewollt. Daraufhin wird die Tür langsam geöffnet und ein blondes Mädchen steckt ihren Kopf in mein Zimmer hinein. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und ich frage mich, was los ist. Wieso kommt sie zu so später Zeit in mein Zimmer, wenn sie sich doch eigentlich eins mit Sarah teilt? Andererseits würde ich in der Stimmung, in der Sarah sich gerade befindet, auch kein Zimmer mit ihr teilen wollen. Auf der Treppe wirkte sie so, als würde sie in der nächsten Minute einen Mord begehen. “Kann ich heute bei dir schlafen?“, fragt Ruby leise flüsternd. Langsam nicke ich. Erst will ich “Nein“ sagen, da es sicher unangebracht wäre, aber danach wird mir bewusst, wie gerne ich möchte, dass sie sich zu mir legt: “Ja klar, komm her.“ Vorsichtig öffnet sie die Tür ein Stück weiter und kommt auf Zehenspitzen hinein. Bei meinem Bett angekommen, schaut sie mir neugierig und tief in die Augen. Schnell rücke ich zur Seite, damit sie auch genug Platz zum Liegen und Schlafen hat. “Danke“, erwidert sie und setzt sich hin. Dann streift sie ihre Lederstiefel ab und stellt sie neben den Nachttisch. Mit meinem Blick folge ich jeder ihrer Bewegungen und versuche mein dummes, wie wild hämmerndes Herz zu vergessen, welches jedes Mal, wenn ich das Mädchen sehe, tausendmal schneller schlägt. “Du kannst immer zu mir kommen, wenn du willst. Mein Zimmer ist auch dein Zimmer“, erkläre ich und klopfe dann sanft auf die Matratze. Glücklicherweise versteht sie das Zeichen und legt sie vorsichtig neben mich. Es scheint, als hätte sie für die Nacht ihr ganzes Selbstvertrauen abgelegt und es in einen Schrank gepackt, um es am Morgen wieder heil zurückgewinnen zu können. Sie legt sich hin und blickt mich grinsend an. Ihre Wangen werden rot, als ich sie sanft an mich ziehe. Meine Finger prickeln, als sie ihre Haut berühren und bringen mein Blut in Wallungen. Wieso hat dieses Mädchen nur so einen starken Einfluss auf mich? Einerseits ist es berauschend, doch auch andererseits schrecklich. Ihr Rücken zittert unter meiner Berührung und ich schaue sie fragend an: “Geht es dir gut?“ “Nein“, gibt sie zu: “Irgendwie hat Sarah mir vorhin ein wenig Angst gemacht.“ “Ja, mir auch. Ich hätte nicht erwartet, dass sie sofort so wütend reagiert. Der Boden hat ja regelrecht zu beben begonnen“, merke ich an und erschaudere bei der Erinnerung. “Ist dir kalt?“, frage ich sie sanft und stülpe meine Decke über ihren kleinen Körper. Sie schlingt den weichen Stoff enger um sich und legt ihren Kopf in die Kuhle zwischen meinem Hals und meiner Schulter. Ihr Kopf passt perfekt hinein und ich lege total unbeholfen einen Arm um sie. Die erhebt sich kurz, um es mir leichter zu machen. In dieser Position liegend, kann ich ihr Herz laut schlagen hören. Fühlt sie also genau das Gleiche wie ich? Mit einer Hand streiche ich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. So sehr ich mich aber auf sie zu konzentrieren versuche, muss ich nebenbei immer daran denken, was die anderen heute getan haben, denn nicht nur Sarah, sondern auch Aria und Stella haben sich komisch verhalten. Es wirkt, als hätten sie alle drei unterschiedlich Pläne. Ob gegen den jeweils anderen, weiß ich zwar noch nicht, aber das werde ich schon noch herausfinden. “Ruby?“, frage ich leise. “Ja?“, fragt sie neugierig. Ich beuge ich mich zu ihrem Ohr hinunter und flüstere: “Weißt du, was Sarah vorhat?“ Für einen kurzen Moment ist es still, doch dann haucht sie: “Nein.“ Doch obwohl sie mir eine Antwort gegeben hat, habe ich das Gefühl, dass sie lügt. Doch meine Gedanken werden von der Müdigkeit überrollt und in wenigen Sekunden bin ich mit dem Gedanken an das wundervolle Mädchen, in meinem Arm, eingeschlafen.