Seit Aileen bei ihr war, hatte sie begonnen, die Hügelkuppe auch an manchen Abenden ausser Vollmond zu besuchen. In den klaren Nächten sprachen sie dann meist über Sternzeichen sowie deren Formen und ihre Geschichten. Auch hier stand Aileen Juna in ihrem Wissen in Nichts nach.
So kannte die Ältere der beiden den kleinen und den grossen Bären, den Bärenhüter, der sich ganz in der Nähe der beiden befand, war ihr bis zu Aileens Erzählung jedoch völlig unbekannt gewesen.
Die Nächte wurden wärmer, weshalb sie immer länger liegen blieben und auch ihre Gespräche mehr und mehr an Tiefe gewannen.
Aileen war neugierig, ohne Frage, doch sie hütete sich, Juna auf ihre Vergangenheit anzusprechen. An einem besonders warmen Mai-Abend stellte sie jedoch eine fast ebenso unbehagliche frage.
«Was befindet sich eigentlich auf der anderen Seite des Waldes?» Die schlimmste aller Kreaturen, dachte Juna. Obwohl sie selbst ja auch dieser Spezies angehörten. «Ein Dorf. Ich war noch nie dort, habe es aber einmal von weitem gesehen, als ich die Gegend durchstreift habe.»
«Wann warst du zum letzten Mal unter Menschen?» Sie zögerte. Es war zwar keine direkte Frage nach ihrer Vergangenheit, doch es kam dem gefährlich nahe. «Vor langer Zeit.» Bisher hatte Aileen sich mit solchen ausweichenden Antworten abweisen lassen, aber nicht in dieser Nacht.
«Was heisst das genau? Du weisst ja auch alles über mich, warum darf ich nichts über dich erfahren?»
«Du hast mir deine Vergangenheit aus freien Stücken erzählt. Ich habe nicht vor, dasselbe zu tun. Also finde dich damit ab.» Juna wusste, wie abweisend sie sich gerade anhörte- und es war ihr egal. Sie hatte dem Mädchen zu wenige Grenzen aufgezeigt.
«Manchmal glaube ich, du hasst alle Menschen. Ja, viele von ihnen sind dumm oder einfach nur unwissend, aber wir können doch nicht unser ganzes Leben hier draussen verbringen.» Sie drehte sich auf die andere Seite. «Ich kann. Was du mit deinem Leben machst, ist deine Sache.»
Der Rest des Abends verlief denkbar schweigsam, selbiges galt für die nächsten Tage. Es war also wirklich keine Überraschung für Juna, als Aileen eines Morgens nach den richtigen Worten suchte.
«Ich weiss nicht, wie ich dir je für das danken kann, was du mir in den letzten Monaten gezeigt hast. Ohne dich wäre ich jetzt nicht mehr hier.» Es war dem Mädchen wirklich anzusehen, wie unwohl sie sich fühlte. «Aber du willst nicht für ewig im Wald leben. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du mir keine Rechenschaft schuldig bist. Wenn du gehen willst, dann geh.» Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es so kommen würde.
«Begleite mich», brach es irgendwann aus ihr heraus. «Die Menschen dort wissen nicht was wir sind, wir könnten es geheim halten.» Sie schüttelte nur den Kopf. Hatte der Armbrustbolzen ihres Vaters Aileen nicht genug darüber gelehrt, wie verständnisvoll die Menschen waren? «Ich wünsche dir alles Glück der Welt, doch hier trennen sich unsere Wege.»