„Halt, halt – nicht doch...“ Zu spät spurtete ich los, was auch gar nicht so einfach war, den Laptop von meinem Schoß schmeißen. Mein rechter Knöchel verhedderte sich im Kabel.
Als ich mich im Sturz umdrehte, sah ich noch, wie ein Kabelschnöter zurück hinter's Sofa flitzte. Er streckte mir doch tatsächlich seine Zunge heraus, dieser braun gesprenkelte gelbe Gifttölpel! Am meisten fuchste mich, dass ich nichts tun konnte. Mit diesen Kabelschnötern ist nicht zu spaßen. Wenn sie dich erwischen, lachen sie dich aus. Wenn sie dich nicht erwischen – dann stellen sie dir so lange Fallen, bis sie dich erwischen. Also besser, du lässt dich erwischen und tust so, als sei gerade eine mittelgroße Katstrophe passiert, also mindestens dein Plot vom Fensterbrett gefallen, eine dicke Beule auf deiner Nase, die dir die nächsten fünf Wochen die Sicht versperrt. Wenn sie merken, dass dir nichts passiert ist, dann rächen sie sich für entgangene Schadenfreude und klauen dir alles, vom Namen deines Protagonisten bis zum Rezensionsexemplar. Da brauchst du gar nicht erst anzufangen.
In diesem Fall war es aber wirklich ärgerlich. Der Kerl hatte mich saukalt erwischt, als ich dem roten Riesenmolch meine Skizze entreißen wollte. Hätte er sich nicht eingemischt, ich hätte es geschafft – und müsste meinem Herausgeber keine Geschichten erzählen, warum wieder die deadline verpasst hatte. Also hören Sie mal, ich bin ja nicht scheintot, ich lebe noch und wie – was soll ich denn da bei der deadline?
Genau, das werde ich ihm sagen, dem Herausgeber, wenn er mich fragt. Das Dumme ist nur, er wird mir nicht glauben, wenn er den Kabelschnöter entdeckt. Der reißt abwechselnd am Kabel, dass mein Laptop vom Tisch stürzt und ich Glück habe, wenn wenigstens der Hardware nichts passiert. Oder er wickelt das Kabel um mein Bein, wenn ich in meinen Krimi vertieft bin, den ich eigentlich längst hätte abgeben sollen.
So gebe ich nur meine Gesundheit ab.
„Neiiiiiiiiiiiin!“ Mein Entsetzen war nicht steigerbar, aber es geschah doch. Während ich noch versuchte, mich aus dem Kabelknäuel zu befreien, sah ich, wie der Riesenmolch meine Skizze in sein übergroßes Krokodilsmaul stopfte und zu kauen begann.
Ich hechtete instinktiv hinter ihm her, landete aber krachend auf dem Rand des Papierkorbs. Der Riesenmolch war mir entwischt. Keckernd verschwand er hinter der Schrankwand, die ich von Onkel Bernie geerbt hatte. Onkel Bernie war auch ein tapferer Schreiber gewesen wie ich. Leider hatte er mir mit seiner Genialität beim Schreiben und der Schrankwand auch seine Gruselbiester vererbt. Sie müssen in der Rückseite des Schranks versteckt gewesen sein.
„Vorsicht vor den gierigen Reißzähnen des Riesenmolchs.“ Wie oft hatte ich den Satz von Onkel Bernie gehört. Jetzt tat es mir leid, dass ich ihn ausgelacht hatte. Jeden Abend, wenn ich Geschichten hören wollte, drohte er mir mit den Monstern der Muse, wie er sie zusammenfassend nannte. Ich Esel hatte geglaubt, ich sei ihm lästig und er wolle lieber vor der Glotze abhängen, als mir zu erzählen. Nun wusste ich, dass ich mich geirrt hatte.
Genau genommen wusste ich das schon seit zehn Jahren. Damals hatte ich den Schrank geerbt und meine Schriftsteller-Karriere hatte begonnen. Zu dumm, dass alle meine tollen Ideen für Krimis und Gruselserien selbst Opfer wurden der Monster, an die ich als Junge nicht glauben wollte.
Ergeben seufzend nahm ich den Papierfetzen, der von meinem Manuskript übrig geblieben war, und warf ihn in den Papierkorb. Obwohl die Welt der Schriftsteller längst digitalisiert ist, war es mir einen Versuch wert gewesen, ein Manuskript auszudrucken. Ich hatte gehofft, dass die klassischen Monster der Muse ausgestorben seien, weil sie seit Jahrzehnten kein Futter mehr bekamen. Doch das schien nicht der Fall.
Wird der Krieg der Musenmonster jemals aufhören? Die digitalen Dschinns, die mich seit zehn Jahren heimsuchten, dachten nicht daran. Auch ihre Helfer wie der Kabelschnöter wurden immer aggressiver. Und nun hatte ich erfahren, dass auch die klassischen noch unterwegs waren.
Wird es mir jemals gelingen, meine Raumzeitepen zu Ende zu bringen – sei es zu einem guten oder einem anderen? Wird mich die Kraft jemals unterstützen? Ich muss gestehen: Ich weiß es nicht. Für heute haben die Monster gewonnen. Mein Plot ist gelöscht, meine Helden gestorben, bevor ich ihre Motive kennenlernte, und die Sagen umwobenen Schwerter sind schon längst von Dornenranken überwuchert. Da bleibt keins mehr übrig, mit dem ich dem Schnöter Schach bieten könnte. Ich geh erstmal zum Kühlschrank und hol mir ne Buddel Bier. Um meine Beule zu kühlen, natürlich. Was hast du denn gedacht?