Bei all diesen Gedanken merke ich gar nicht, dass plötzlich der Boden unter mir bebt. Mit einem Mal gerät der Felsen ins Rutschen und reißt mich aus meinen Erinnerungen. Immer schneller schlittert der Felsen den Berg hinab, unstoppbar und unkontrollierbar. Verzweifelt klammere ich mich an einen kleinen Vorsprung fest. Was ich nicht sofort bemerke, ist, dass dieser Vorsprung verdächtig wie ein Haltegriff aussieht.
Neben dem rasselnden Geräusch des Schlitterns erklingt aber noch ein anderes Geräusch in meinem Ohr. Lautes Schreien der Verzweiflung und der Angst kommen von vorne. Meine Eltern! Sie rufen nach mir, aber dieses Mal ist noch ein lautes Rauschen zwischen ihren Rufen. Es ist nicht das klare und deutliche Rufen meines Namens, sondern ein kurzer Aufschrei. Es passiert etwas mit ihnen, sie sind in Gefahr und haben angst! Aber wie soll ich ihnen helfen, wenn ich selber auf einem seltsamen Felsen in die Tiefe schlittere? Ich kann ja nicht einmal deutlich erkennen, von woher die Rufe kommen. Sie sind vor mir, aber dort befindet sich nichts außer näher kommender Ozean.
Plötzlich werde ich von hellem Licht geblendet, das immer heller wird, bis nichts anderes mehr zu sehen ist. Wie eine Taschenlampe, die einem direkt ins Gesicht gehalten wird, während man sich in einer dunklen Umgebung befindet. Nur kurz kann ich diesen Gedanken fassen, denn sofort rauscht der Wind wieder in meinen Ohren und dämpft die Rufe und somit auch meine aufgeregten Gedanken.
Plötzlich rast der Felsen in die Dünen und verklemmt sich zwischen zwei Sandhügeln. Unmittelbar werde ich durch das plötzliche still stehen nach vorne geschleudert und lande im Sand direkt vor dem Meer.
Jedoch fühle ich einen Schmerz in meiner Brust. Er geht striemenartig von links unten nach rechts oben durch meinen Oberkörper. Vorsichtig fühle ich über meinen Bauch, aber der Schmerz wird nicht schlimmer. Keine roten Striemen oder Blutflecken sind zu sehen. Allgemein wirkt er nicht real, sondern wie eine Erinnerung an schlimme Schmerzen.
Als wäre mir in früheren Zeiten einmal ein solcher Schmerz widerfahren, an den ich mich nun erinnert fühle. Aber dennoch, die Schmerzen sind vorhanden und auch wenn keine körperlichen Schäden zu sehen sind, muss ich von dem Stechen keuchen. Fest umklammere ich meinen Bauch in der Hoffnung, so den Schmerz auszuhalten. Allerdings wird der Schmerz weder besser noch schlechter. Ich muss ihn wohl oder über aushalten können.
Was mich wundert, ist, dass ich keine Schürfwunden oder Prellungen von der plötzlichen Bremsung und dem darauffolgenden Sturz davongetragen habe. Nicht einmal schlimmere Kopfschmerzen oder ein Übelgefühl sind zu bemerken. Nur wirkt es, als würde sich die Erde ein wenig drehen. Als wäre ich zu lange in einem Karussell gefahren und danach unvermittelt ausgestiegen.
Leicht schwankend laufe ich zurück zu dem Stein, der durch den Aufprall halb im Sand versunken ist. Der griffartige Vorsprung verwundert mich weiterhin, dennoch kann ich nicht genau sagen, woran er mich erinnert. Es ist einfach nur ein Teil von dem Felsen, der von dem Rest heraussticht und ein großes Loch in der Mitte besitzt. Vorsichtig umfasse ich mit meiner Hand diesen Griff. Während des Sturzes hatte ich mich hier festgehalten, um nicht von dem Felsen zu fliegen. Er war einfach da gewesen, auch wenn ich ihn vorher nicht bemerkt hatte. So als wäre er vorher eingeklappt im Felsen versteckt gewesen.
Aber so etwas ist doch Schwachsinn. Man kann einen Felsen nicht einfach einklappen und ausklappen wie man will. Es ist schließlich kein Hebel oder Griff, der dafür gemacht wurde, dass man sich an ihm festhalten kann, wenn man muss. Nachdenklich betrachte ich weiter den Stein, doch plötzlich ertönt hinter mir ein gesangähnlicher Laut. Erschrocken drehe ich mich um und erstarre.
Weit entfernt über dem Ozean, mitten in der Wolkenfront des Gewitters springt ein riesiger Wal. Allerdings springt er nicht aus dem Wasser, sondern aus den Wolken selber. Mit seinen gigantischen Vorderflossen zieht er Wolkenfetzen mit sich und verteilt diese dann im Himmel. Der Wal selber ist größer als das Gebirge in meinem Rücken und ragt über den Gewitterwolken in den Himmel. An den langen Brustflossen, die eine weiße Färbung aufweisen, erkenne ich deutlich, dass dieser Wal ein Buckelwal ist. Auch ist es für diese Walart nicht ungewöhnlich, dass sie aus dem Wasser springen und damit riesige Fontänen entstehen lassen.
Aber normalerweise ist so ein Wal um die 14 Meter lang und nicht über 100 Meter. Auch springen sie aus dem Wasser und nicht aus der Wolkenfront eines Gewitters. Auf keinen Fall kann es sich um einen normalen Wal handeln. Ungefähr 10 Sekunden steht der Wal regelrecht in der Luft, dann lässt er sich mit dem Rücken voran wieder fallen und verschwindet in den Wolken.
Nichts lässt mehr darauf deuten, was hier eben passiert ist. Die Wolkenfetzen fügen sich wieder der Masse zu und jegliche Spuren werden von den schwarzen Wolken verdeckt. Erst jetzt merke ich, dass ich meine Luft angehalten habe und puste diese keuchend wieder aus. Seltsamerweise scheint mich dieser Wal an etwas zu erinnern. Ich habe ihn schon einmal gesehen, kann mir aber keine weiteren Gedanken dazu machen. Denn es ist einfach verrückt. Das war doch nie im Leben eben ein Wal, der über den Wolken einen Sprung macht! So was ist einfach nur unmöglich! Allerdings würde es dazu passen, dass ein Stein sich wie ein Hebel bewegen lässt und Stimmen aus dem Nichts ertönen.
Wie zur Bestätigung, dass diese Welt alle Gesetze der mir bekannten Welt hintergehen möchte, ertönt plötzlich hinter meinem Rücken ein Knurren, dass mir einen Schauer über den Rücken jagt.