Han Ning lief ungeduldig den Gang auf und ab, während er immer noch auf den Jungen wartete. Es war inzwischen viertel vor fünf am Nachmittag, zur vollen Stunde sollte die Pressekonferenz stattfinden. Bahe hätte längst hier sein sollen.
Bei En Rui hatte darauf bestanden, dass Bahe sich, bei seiner Darstellung der Geschehnisse, an ein vorgeschriebenes Skript hielt. Nur leider musste Han Ning dieses Skript noch mit Bahe durchgehen und da er bisher immer noch nicht aufgetaucht war, machte er sich langsam Sorgen, dass ihnen doch noch alles um die Ohren fliegen könnte.
Mit einem Quietschen öffnete sich schließlich die Tür neben dem Warenannahmebereich, vor dem Han Ning die ganze Zeit hin und her wanderte und gab den Blick auf Bahe frei. Er schien sichtlich schwer zu atmen, scheinbar war er hierher gerannt.
„Du kommst spät“, stellte Han Ning vorwurfsvoll fest.
„Sorry, die U-Bahn hatte irgendeine Fehlfunktion und steckte über zehn Minuten fest“, entschuldigte sich Bahe.
„Ok, lassen wir das. Wir haben kaum noch Zeit und wir müssen dringend durchgehen, was du gleich auf der Pressekonferenz sagen wirst“, begann er, nur um von Bahe unterbrochen zu werden.
„Wie wäre es mit der Wahrheit? Das es nicht Bei En Rui war, der mir geholfen hat?“
„…“, Han Ning starrte ihn für einen Moment verblüfft an. Der Junge schien das ernst zu meinen!
„Sag mal, hast du den Verstand verloren?“, rief Han Ning dann aus. „Mai Ping Lun ist nur deswegen nicht hinter dir her, weil wir den Handel mit dem Versprechen abgeschlossen haben, dass Bei En Rui sein Geschäftspartner wird. Wenn du Bei En Rui jetzt diskreditierst, indem du der Öffentlichkeit erzählst, was wirklich passiert ist, bringst du nicht nur ihn gegen dich auf, sondern auch Mai Ping Lun. Glaub mir, ich würde die Beiden genauso gerne wie du bloß stellen. Aber das können wir uns nur erlauben, wenn wir zuversichtlich sind, den Akt zu überleben.“
„Das verstehe ich ja… Es wurmt mich nur so, dass du keinerlei Anerkennung dafür bekommst, dass du mir und meiner Familie so geholfen hast“, sagte Bahe.
Han Ning schüttelte gerührt den Kopf und antwortete: „Das muss es nicht, Bahe.“
„Muss ich denn wirklich vor Kameras treten?“
„Ich fürchte da führt kein Weg dran vorbei“, meinte Han Ning. „Bei En Rui braucht die positive Wirkung, die dein abgeschlossener Fall auf sein Image haben wird.“
„Und du brauchst es genauso, damit du deinen Job behältst, nicht wahr?“
„Zunächst einmal ja“, antwortete Han Ning. „Aber ich habe meine Kündigung bereits eingereicht.“
„Hä, was?! Wieso?“
„Ich habe lange genug unter diesem Idioten gearbeitet. Vor allem jetzt, wo er die Kontakte zu Mai Ping Lun hat. Ich will nichts mit diesem Kerl zu tun haben.“
„Und was hast du dann vor?“
„Ich?“, zog Han Ning die Brauen hoch. „Ich werde mit ein paar unzufriedenen Kollegen eine eigene Kanzlei eröffnen. Nichts so großes wie Chen Law Firm. Aber es wird unsere Kanzlei sein und das ist die Hauptsache.“
„Das ist so eine Schande… Wenn du doch nur meinen Auftritt als riesen Werbegag nutzen könntest, wenn ich erzähle, dass du meinen Fall bearbeitet hast. Das wäre die perfekte Werbung für deine neue Kanzlei.“
„Das stimmt wohl“, musste Han Ning zugeben gequält lächeln.
„Ähm…“, begann Bahe einen Moment danach, doch Han Ning unterbrach ihn.
„Aber, wenn man mal von der Gefahr Mai Ping Lun betreffend absieht, dann würde ich mir auf diesem Weg die gesamte Chen Law Firm zum Feind machen. Ein einzelner Anwalt und sei er auch der Staranwalt der Stadt, ist dagegen ein Witz. Sicher Bei En Rui wird am Anfang versuchen ein paar Strippen zu ziehen, um uns den Start möglichst schwer zu machen. Aber sein Einfluss ist zurzeit noch nicht groß genug, um uns im gesamten Markt unbeliebt zu machen. Die richtigen Bosse der Firma könnten das hingegen schon.“
„Wenn du es so formulierst…“, zuckte Bahe mit den Schultern.
„Deswegen ist es auch für mich verdammt wichtig, dass du den Reportern Honig um den Mund schmierst. Du wirst sowieso nur einen kurzen Moment vor die Kameras gelassen.“
„Wie du meinst“, gab Bahe sich geschlagen.
„Gut, dann jetzt zu deinem Text“, begann Han Ning und reichte Bahe ein Blatt mit einer vorgefertigten Rede.
„Bei En Rui hat sein Möglichstes getan und auch unter großen Druck und Widerständen gegen die Ungerechtigkeit angekämpft, die meine Familie heimgesucht hat…“, Bahe brach ab und fragte: „Ernsthaft? Das kauft mir doch keiner ab!“
„Jetzt siehst du mal, womit ich mich seit Monaten rumschlagen muss. Der Text stammt von Bei En Rui…“
„Also hast du was Besseres?“
„Nicht wirklich…“, gab Han Ning nervös zu. „Deswegen wollte ich ja unbedingt schon vorher mit dir sprechen. Du wirst irgendwie improvisieren müssen. Ich habe diesen Schwachsinn erst vor zwanzig Minuten bekommen und dachte zu dem Zeitpunkt, dass du jeden Moment hier auftauchst…“
„Na, toll…“, gab Bahe nur noch von sich.
„Ganz meine Rede“, stimmte ihm Han Ning resigniert zu.
Die Türen des Aufzugs öffneten sich plötzlich und gaben den Blick auf Bei En Rui samt Gefolge frei. Ein Assistent und der Bodyguard, von dem Han Ning gehört hatte, das er Bahe bei der letzten Begegnung gegen die Aufzugswand geschleudert hatte.
„Bahe Dragon, schön dich wiederzusehen!“, rief Bei En Rui mit seinem besten Allerweltslächeln und trat zu ihnen.
Han Ning sah zu dem Jungen hinüber. Er nickte nur zur Begrüßung.
„Immer noch nicht der Gesprächigste wie mir scheint“, schmunzelte Bei En Rui und wandte sich dann an Han Ning. „Alles bezüglich seines Textes abgesprochen?“
„Natürlich“, antwortete er schnell und fragte sich nervös, ob der Junge vielleicht doch Dummheiten anstellen würde.
„Na, sehr gut“, grinste Bei En Rui über beide Ohren und ging auf die gegenüberliegende Tür zu, die zur Pressekonferenz führte.
Als er nach der Klinke griff, blieb er noch einmal stehen und meinte mit einem Augenzwinkern: „Die Konferenz beginnt gleich. Die ersten zwei Minuten übernehme ich und dann wirst du dich äußern müssen, Bahe Dragon. Auch, wenn Schweigsamkeit eine Tugend ist, in manchen Situationen im Leben muss man immer mit dem größten Wohlwollen sprechen.“
Danach drehte er sich um und verschwand hinter der Tür, die wenig später hinter dem Assistenten und dem Bodyguard ins Schloss fiel.
„Gruselig, oder?“, meinte Han Ning angewidert.
„Jep“, antwortete der Junge. Han Ning konnte förmlich sehen, wie unwohl sich Bahe fühlte. Ihm selbst lief es immer noch eisig den Rücken runter, als er an Bei En Ruis Engelslächeln dachte.
„Komm, bringen wir es hinter uns“, sagte Han Ning nach einem Moment der Stille und Bahe folgte ihm zur Tür.
Sorry, dass es am Sonntag keinen Teil gab! Versuche ihn diese Woche wieder rein zu holen ;-)
Teil 1/2!
RiBBoN