Bahe verkrampfte sich und stand still. Die Worte hallten noch immer in seinen Ohren. Panik machte sich in ihm breit, als seine Gedanken zu rasen begannen.
Wie war jemand in seine Wohnung gekommen? Wie viele waren es? Welche Fluchtmöglichkeiten hatte er? Blitzschnell verwarf er unzählige Szenarien und entschied sich dann für ein waghalsiges aber überraschendes Manöver.
Ohne zu zögern, ließ er sich in etwas in die Knie fallen, vollführte eine Vierteldrehung und stieß mit seinem linken Ellbogen dabei die Waffe von seinem Rücken zur Seite. Noch in der Bewegung nahm er seine Schulter runter und rammte die Person hinter ihm, mit aller Wucht die er aufbringen konnte, gegen die Küchentür.
Mit einem Krachen schlug die Person hart gegen die Tür und sackte auf dem harten Küchenboden zusammen. Währenddessen hatte Bahe bereits mit der rechten Hand ausgeholt und setzte gerade zum letzten Schlag an, bevor er verschwinden wollte, als die Person wie wild zu schreien begann: „Stop! Stop! Ich will doch nur mit dir reden!“
Verblüfft hielt Bahe inne und bemerkte erst jetzt, dass es sich bei der Person am Boden, um eine Frau handelte. Dann erkannte er sie plötzlich! Es war die Frau von heute Morgen!
Kaiwen hatte sich einen Scherz erlauben wollen, um ihrer Wut darauf, dass der Junge heute Morgen vor ihr weggelaufen war, Luft zu verschaffen. Wie hätte sie ahnen können, dass er direkt so ausrasten würde?!
Vollkommen geschockt, kreischte sie laut los, als sie die erhobene Faust über ihr sah. Nicht genug damit, dass ihr ganzer Körper bereits schmerzte, der Kerl wollte sogar noch nachsetzen?!
Als Kaiwen bemerkte, dass er inne gehalten hatte, seufzte sie erleichtert und machte Anstalten aufzustehen. Die Reaktion des Jungen schockte sie jedoch erneut. Dieser griff blitzschnell zu einem Stuhl und hob ihn auf Schulterhöhe, in der offensichtlichen Drohung, ihn auf sie niederfahren zu lassen, wenn sie sich weiter bewegte.
„Warte! Warte!“, rief sie hektisch und hob beschwichtigend die Hand.
„Ich habe keine Waffe! Siehst du das?“, fragte sie und bildete aus ihren Fingern das typische Pistolensymbol. „Das war alles, was ich hatte! Ehrlich, ich hab dich nur ein Bisschen erschrecken wollen!“
„Du wurdest nicht von Ping Lun geschickt?“
„Von wem?“, fragte sie verwirrt.
Auf ihre sichtliche Irritation entspannte sich der Junge ein wenig, hielt den Stuhl aber immer noch in der Luft.
„Wenn dich Ping Lun nicht geschickt hat, wer bist du dann? Und wie kommst du in meine Wohnung?“
Kaiwen beeilte sich zu antworten: „Ich heiße Chao Kaiwen. Ich bin Journalistin und wollte dich für eine Geschichte interviewen. Als du heute Morgen vor mir abgehauen bist, habe ich noch bei deiner Vermieterin geklingelt und nachdem ich ihr erklärt hatte, was ich mit dir vorhabe, hat sie mich netter Weise in deine Wohnung gelassen.“
„Frau Ma, hat dich einfach in meine Wohnung gelassen?!“, bezweifelte der Junge ihre Aussage mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ich war selbst überrascht, sie meinte irgendwas davon, dass du ein Bisschen Geld gut gebrauchen könntest…“, versuchte Kaiwen sich zu erklären. Das, die alte Dame ihr gegenüber noch erwähnt hatte, dass eine so hübsche, junge Frau wie sie, bei dem Wetter nicht draußen warten sollte, ließ sie lieber unerwähnt.
Der Junge zögerte noch immer, senkte dann jedoch den Stuhl ein wenig: „Was genau willst du von mir?“
„Du bist doch Bahe Dragon, oder?“
„Und wenn es so ist?“
Kaiwen verdrehte innerlich die Augen, ließ sich äußerlich jedoch nichts anmerken, als sie antwortete: „Wenn dem so ist, bist du doch auch der Dreamworld-Spieler, der seinen Account mit dem Avatar Anael verkauft hat, oder? Die Auktion hat in der Dreamworld-Community große Wellen geschlagen und viele Spieler wollen deine Motive hinter dem plötzlichen Verkauf erfahren. Deswegen bin ich hergekommen. In der Hoffnung, dass ich dich diesbezüglich interviewen kann.“
„Wieso hast du nicht einfach angerufen?“, fragte der Junge verwirrt, setzte aber den Stuhl ab.
„…“, Kaiwen war zunächst sprachlos. Meinte der Kerl das ernst? „Zufällig in letzter Zeit mal auf dein Handy geguckt?“
„Ah…“, sagte der Junge, als ob ihm plötzlich ein Licht aufgegangen wäre.
„Ich vermute mal, du wurdest seit gestern ununterbrochen von mehreren Nummern angerufen“, zuckte Kaiwen mit den Schultern und setzte fort: „So ziemlich jeder Journalist, der für die großen Gaming-TV-Sender arbeitet, wird wohl versucht haben dich zu erreichen. Ich bin ja sogar so weit gegangen, dich persönlich zu besuchen. Konnte ja nicht ahnen, dass das Ganze so nach hinten los geht.“
Der Junge schwieg noch eine Weile, erstaunte Kaiwen dann aber auf ein Neues: „Tut mir leid, ich habe jemand anderes erwartet. Bitte setzen Sie sich doch.“
Oh? Jetzt siezte er sie schon?
Dann trat er auf sie zu und bot ihr tatsächlich seine Hand zum Aufstehen an. Verblüfft nahm Kaiwen seine Hilfe an und richtete sich vorsichtig auf. Oh Götter, schmerzte ihr Rücken. Obendrein hatte sie auch noch leichte Kopfschmerzen, die von einer Beule an ihrem Kopf herrührten.
Nachdem sie sich gesetzt hatte, ging der Junge zur Spüle, befeuchtete ein Tuch mit Wasser und reichte es ihr: „Ich habe kein Eis, aber kaltes Wasser sollte besser sein als nichts.“
Kaiwen nickte dankbar und legte das Tuch behutsam an ihre schmerzende Beule. Der Junge setzte sich währenddessen gegenüber von ihr an den Tisch und sie kam nicht umhin, ihn erneut einschätzen zu wollen.
Wen hatte er erwartet? Wieso mied er so sehr die Menschen?
Seit er davon überzeugt war, dass sie nichts Böses im Schilde führte, hatte sich sein Verhalten grundsätzlich geändert. Er schien sogar zuvorkommend zu sein und zeigte Manieren, die einem Jungen seines Alters eher selten zu Eigen waren.
„Ich muss mich auch entschuldigen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich ohne Ihr Wissen, in Ihre Wohnung eingedrungen bin und mir dann noch einen schlechten Scherz erlaubt habe, ist Ihre Reaktion mehr als verständlich“, versuchte sie ihm entgegenzukommen und entschloss sich ihn ebenfalls zu siezen.
Der Junge lächelte und sagte: „Bitte nennen Sie mich einfach nur Bahe.“
„Einverstanden“, meinte Kaiwen sofort und setzte nach kurzer Überlegung nach: „Dann musst du mich allerdings auch Kaiwen nennen.“
Es schien ihr sinnvoll, jetzt erst mal ein positives Bild von ihr zu vermitteln. Schließlich wollte sie ja etwas von ihm. Wenn er nicht mitspielte, konnte sie ihren Job höchstwahrscheinlich an den Nagel hängen.
Der Junge zog kurz die Augenbrauchen hoch, sagte jedoch nichts weiter.
„Also?“, fragte sie, als er keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
„Was, also?“
„Dürfte ich dich interviewen? Natürlich gibt es eine kleine Aufwandsentschädigung von meinem Sender“, fügte sie noch mit einem Augenzwinkern hinzu.
Der Junge schwieg einen Moment, ehe er antwortete: „Ist es möglich, meinen Namen geheim zu halten? Und Fotos möchte ich auch keine machen.
„Natürlich, das ist kein Problem“, versicherte Kaiwen sofort.
Der Junge schwieg erneut, ehe er fragte: „Wie viel bezahlt ihr Sender?“
Ah, jetzt habe ich dich, jubelte Kaiwen in Gedanken, antwortete jedoch ohne sich etwas anmerken zu lassen: „Ich arbeite bei PG-TV, die üblichen Beträge der Aufwandsentschädigungen liegen bei 1 000 Yuan.“
„1 000 Yuan, hmmm…“, überlegte der Junge und fragte: „Wie viel verdienst du im Monat bei PG, Kaiwen?“
„Ähm…“, Kaiwen wollte ihm gerade abschlagen darauf zu antworten, als er fortfuhr.
„Verstehe mich nicht falsch, es geht mir nicht direkt darum, wie viel du verdienst. Aber soweit ich weiß, bezahlt PG-TV seine Mitarbeiter ziemlich gut, oder? In einer Dokumentation habe ich mal gesehen, dass selbst die neuen Mitarbeiter bereits mit ca. 25 000 Yuan einsteigen. Da erscheint mir eine Aufwandsentschädigung von 1 000 Yuan, dafür das ich dir meine kostbare Zeit opfere, ein Bisschen zu wenig.“
Fuck, wurde der Kerl jetzt etwa gierig? Kaiwen knirschte mit den Zähnen, rang sich aber trotzdem durch zu fragen: „Und was für ein Betrag schwebt dir vor?“
„Nun, ich bin kein Progamer, aber immerhin habe ich damals und anscheinend auch gestern, einiges an Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Ich denke, da wären 15 000 Yuan schon drin“, meinte der Junge ohne eine Miene zu verziehen.
„…“
Kaiwen war sprachlos. War der Junge übergeschnappt?
„Ich fürchte, soviel wird mein Sender niemals für eine einmalige Story hinblättern wollen, Bahe.“
„Mir soll‘s egal sein. Aber ich habe wirklich Besseres zu tun, als hier mit dir rum zu sitzen. Wenn 15 000 Yuan deinem Sender zu viel sind, können wir das hier genauso gut beenden. Meine Zeit ist zu kostbar, als dass ich mir erlauben kann, kein Geld zu verdienen.“
Wieso musste sie an so einen gierigen Drecksack geraten?! Fluchte Kaiwen innerlich, während sie panisch überlegte, wie sie den Jungen für sich gewinnen sollte.
„Beantworte mir bitte die eine Frage: Warum hast du deinen Account verkauft?“
Der Junge kniff die Augen leicht zusammen und antwortete nicht sofort.
„Keine Sorge, deine Antwort bleibt unter uns. Aber ich muss wissen, ob die Story es wert ist, dass ich dafür meinen Chef anrufe.“
Darauf zuckte er mit den Schultern und meinte schlicht: „Dreamworld war lange Zeit das erfolgreichste Spiel der Welt. Doch jeder, der auch nur einmal in Raoie eingetaucht ist, weiß dass derzeit kein anderes Spiel auch nur im Entferntesten mithalten kann. Ich habe meinen Account verkauft, um noch das Bestmögliche aus dem Verkauf heraus zu holen, bevor Dreamworld von den Spielern nach und nach vergessen wird.“
Kaiwen nickte. Es klang logisch. Allerdings lag den Worten auch eine brisante Wahrheit zu Grunde. Überall wurde hinter vor gehaltener Hand darüber diskutiert. Es hatte aber noch niemand laut ausgesprochen. In Kaiwens Kopf drehten sich bereits die Räder, wie sie die Geschichte am besten aufarbeiten konnte. Anael deklariert das Ende einer Era?!
Sie musste sich ein Grinsen verkneifen und sagte schnell: „Ich werde eben meinen Boss anrufen. Gib mir bitte einen Moment.“
„Natürlich, du kannst gerne im Wohnzimmer telefonieren.“
Kaiwen folgte seinem Angebot, wechselte den Raum und wählte die Nummer ihres Chefs.
„Leitender Reporter und Moderator, Chu Yazhen, was kann ich für Sie tun?“
„Hallo Boss, hier ist Chao Kaiwen.“
„Was willst du?“, blaffte ihr Boss sie an. Typisch, dieser blöde Drecksack. Seitdem sie keine gute Geschichte mehr gebracht hatte, war er ihr gegenüber immer übel gelaunter geworden.
„Hast du davon gehört, dass in Dreamworld der Anael-Account versteigert wurde?“
„Wenn du fragst, ob du die Story haben kannst, dann vergiss es. Ich habe schon drei Andere darauf angesetzt.“
„Haben sie dir schon ein Ergebnis geliefert?“
„…“, ihr Boss zögerte und Kaiwen grinste.
„Was willst du mir damit sagen?“, hörte sie ihn schließlich fragen.
„Ich kann die Story jetzt sofort festmachen. Der Spieler des Anael-Accounts hat mir ein Angebot gemacht.“
„Wie hast du das geschafft, Kleine?“
„Braucht nicht jeder seine Geheimnisse, Boss?“
„Was will er?“
„15 000 Yuan.“
„Bahahaha, niemals!“
„Das war mir auch klar. Was wäre denn die Höchstgrenze, die der Sender bieten würde?“
„Bist du dir sicher, dass die Geschichte gut ist?“
Kaiwen erzählte ihrem Boss, was Bahe auf ihre Frage geantwortet hatte und wie sie das Ganze aufbauen könnte.
„Oh… du böses Mädchen! Hahaha!“, hörte sie ihren Boss am Telefon lachen. „Ok, pass auf, sag dem Spieler, dass das absolute Limit bei 7 500 Yuan liegt. Wenn er dann immer noch nicht zusagt, kannst du bis maximal 10 000 Yuan hoch gehen.“
„Alles klar, danke Boss!“, rief Kaiwen begeistert.
„Aber Chao, wenn du mir diese Geschichte nicht an Land ziehst, kannst du dich schon mal nach einem neuen Job umschauen.“
„Verstanden, Boss“, grinste Kaiwen noch immer.
„Gut, ich erwarte später positive Nachrichten“, damit legte er auf.
Zurück in der Küche wandte sie sich an den Jungen: „Mein Boss kann deinem Angebot nicht zustimmen. 7 500 Yuan sind das Maximum, was mein Sender zu zahlen bereit ist.“
„Gut, ich nehme die 7 500 Yuan.“
„…“, Kaiwen war sprachlos, als der Junge mit einem Grinsen antwortete.
Scheinbar hatte er nie daran geglaubt mehr Geld zu bekommen. Die 7 500 Yuan waren für ihn wohl mehr als erhofft. Und hier hatte sie sich schon bereit gemacht, mit den 10 000 Yuan verhandeln zu müssen. Wenn der Junge nur wüsste…
„Sehr gut“, sagte sie schließlich mit einem Lächeln. „Führen wir das Interview hier? Oder sollen wir irgendwo einen Tee trinken gehen?“
„Wenn es für dich in Ordnung wäre, würde ich noch eben die Blumen bei meiner Vermieterin abgeben und ihr mitteilen, dass ich die Wohnung kündigen werde. Danach können wir gerne an einen Ort deiner Wahl gehen.“
„Natürlich, mach das ruhig, ich habe Zeit“, antwortete Kaiwen erleichtert, aus dem kleinen Drecksloch, dass dieser Junge Wohnung nannte raus zu kommen.
Zwanzig Minuten später saßen sie in einem kleinen, aber sauberen Imbiss und bestellten ihren Tee. Nachdem sie den Papierkram erledigt hatten, war Kaiwen aufgefallen, wie vorsichtig sich der Junge in der Öffentlichkeit bewegte. Er schien stets nach etwas oder jemanden Ausschau zu halten. Kein Wunder, dass er so reagiert hatte, als sie sich einen, zugegebener maßen schlechten, Witz erlaubt hatte und ihn in seiner Wohnung überraschte.
„Also, was willst du wissen?“, fragte er nachdem die Bedienung verschwunden war.
„Irgendjemand schein hinter dir her zu sein, kannst du mir sagen wer das ist?“
„Nein.“
„Wieso nicht?“
„Erzählst du einer Fremden einfach deine Lebensgeschichte?“
Touché!
„Aber immerhin bezahle ich dafür, dass du meine Fragen beantwortest…“, versuchte sie es noch einmal.
„Soweit ich weiß, wolltest du mich zu meinem Account und der Entscheidung ihn zu verkaufen interviewen. Dem habe ich zugestimmt. Das du eine Biographie über mich schreibst, war nicht Teil der Abmachung.“
Kaiwen musste unwillkürlich grinsen. Dieser junge Ausländer gefiel ihr. Auf den Kopf gefallen war er auf jeden Fall nicht.
„Dann beantworte mir wenigstens, wie du nach China gekommen bist. Was macht jemand aus der westlichen Welt hier in so einer herunter gekommenen Wohnung in China?“
„Mein Vater zog mit mir für seine Arbeit nach China. Damals lief seine Firma sehr erfolgreich und nach dem Tod meiner Mutter hielt uns nichts mehr in Deutschland.“
„Dein Verlust tut mir leid. Ich wollte kein sensibles Thema ansprechen.“
„Kein Problem“, zuckte der Junge mit den Schultern. „Es ist schon lange her.“
„Entscheide selbst, ob du die Frage beantworten willst: Liege ich richtig mit der Annahme, dass du deinen Account verkauft hast, weil du unbedingt Geld brauchst? War das dein Beweggrund?“
„Ja.“
„Geht das auch ausführlicher?“
„Wenn du versprichst, die Details aus den Nachrichten zu halten?“
„Hmmm…“, überlegte Kaiwen kurz. „Wäre eine Umschreibung für dich in Ordnung? Ich meine, ich werde nichts explizit nennen. Es wird lediglich erwähnt werden, dass du durch deine private Situation dazu veranlasst wurdest, möglichst viel Geld aufzutreiben oder so ähnlich…“
Der junge Ausländer überlegte kurz und nickte schließlich: „Ok.“
„Also…?“
„Mein Vater starb vor einiger Zeit ebenfalls. Er ließ mich, meine neue Mutter und meine kleinen Geschwister zurück. Meine Mutter musste sich Geld leihen und liegt im Moment im Krankenhaus. Die Schulden, das Krankenhaus, alles kostet Geld und dann muss man auch noch von irgendetwas leben können. Ich habe die Schule abgebrochen, um zu arbeiten und meiner Familie zu helfen, doch irgendwann reichte auch das nicht mehr. Den Account zu verkaufen, war mehr eine Verzweiflungstat. Auch, da ich wusste, dass er sonst bald nichts mehr wert sein würde. Damals hätte ich nie damit gerechnet solch ein Vermögen damit zu machen.“
Kaiwen jubelte innerlich, als sie der rührenden Geschichte unter den oberflächlichen Ausführungen des Jungen gewahr wurde.
„Darf ich fragen, wie alt du bist?“
„Achtzehn.“
Kaiwen wollte fast entgegnen, dass sie schon die Wahrheit für die Story bräuchte, als sie an seine Wohnung dachte und bemerkte wie ausgemergelt der Junge wirkte. Konnte es etwa sein, dass er gehungert hatte, um möglichst viel Geld anzusparen? Könnte er seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um seiner Familie zu helfen?
Kaiwen bekam allein beim Gedanken daran schon eine Gänsehaut. Sie hatte mit der Geschichte den Jackpot geknackt!
„Ist deine Stiefmutter eine Chinesin?“
„Ja…“, antwortete der Junge verwirrt über ihre plötzliche gute Laune.
„Und deine Geschwister? Sind sie deine Halbgeschwister?“
Als der Junge sie mit grimmiger Miene anstarrte, erklärte sie schnell: „Keine Sorge, dass ist das Letzte, was ich über deine Familie wissen muss.“
Der junge Deutsche schwieg noch einen Moment, ehe er antwortete: „Ja, sie sind die Kinder von meinem Vater und meiner Stiefmutter.“
Kaiwen nickte begeistert und machte sich ein paar Notizen. Ein junger Deutscher, der für seine chinesische Familie alles tat! Es wurde immer besser!
„Vor langer Zeit, warst du in Dreamworld sehr erfolgreich. Dein Avatar Anael war weit und breit bekannt, weil er zwischendurch in unglaublicher Weise seinen Kampfstil ändern konnte. Die Frage, die wahrscheinlich allen Gamerherzen am meisten auf der Seele liegt, ist: Wie hast du das gemacht?“
Der Junge musste lachen und sagte: „Ich habe nichts besonderes getan. Ich habe einfach nur so gut ich konnte gespielt. Allerdings spielte ich auch nicht alleine. Mein Vater und ich spielten den Avatar Anael abwechselnd. Je nachdem wer gerade besser mit den Gegnern klar kam.“
Kaiwen machte sich hastig Notizen. Wer hätte je gedacht, dass Anael nicht von einer, sondern von zwei Personen abwechselnd gespielt wurde?!
Sie wurde gerade fertig, als ihr ein neuer Gedanke in den Kopf schoss: „Verzeih mir bitte die Frage, aber kann es sein, dass du nach dem Tod deines Vaters kein Dreamworld mehr gespielt hast?“
„Du liegst richtig… Der Tod meines Vaters… das Unglück... Damals dachte ich natürlich nicht im Entferntesten daran, irgendein Computerspiel zu spielen. Aber auch später konnte ich mich einfach nicht mehr dazu durchringen, Dreamworld noch einmal anzufassen. Anael war ein Avatar, den wir immer zusammen gespielt hatten… Die Erinnerung an meinen Vater hielt mich davon ab.“
„Deswegen also das plötzliche Verschwinden des Avatars?“
Der Junge nickte nur.
„Was sind denn deine Pläne für die Zukunft? Du hast Dreamworld aufgegeben und sogar die Schule abgebrochen, was gedenkst du zu tun?“
„Meine Familie besitzt noch ein großes Anwesen, das demnächst verkauft wird. Der Erlös sollte mir ermöglichen, die Schule abzuschließen. Danach schau ich weiter. Ach ja, und ich habe mir vorhin mein eigenes Dimensional Leap-System bestellt.“
Kaiwen machte große Augen, ihr Job war definitiv gerettet!
„Du willst Raoie spielen?! Deine Familie muss an allen Ecken und Kanten sparen, aber du kaufst dir einfach so ein Dimensional Leap-System?“
„Es mag vielleicht verrückt klingen, aber der Verkauf des Avatars Anael hat mir und meiner Familie sehr geholfen. Da dachte ich, wieso sollte ich nicht auch mit Raoie Geld verdienen können?“
„Du weißt aber schon, dass du deinen Account von Raoie nicht verkaufen kannst?“
„Natürlich, aber es gibt viele andere Wege durch Raoie an Geld zu kommen. Es gibt Leute, die für den ein oder anderen Ausrüstungsgegenstand ein Vermögen ausgeben.“
„Das heißt, du wirst diesmal versuchen den Weg eines richtigen Progamers einzuschlagen?“, fragte Kaiwen aufgeregt.
„Hmm... ich weiß nicht so recht, ab wann man eigentlich ein Progamer ist. Damals habe ich zusammen mit meinem Vater nur zum Spaß gespielt und wir waren trotzdem recht erfolgreich. Diesmal möchte ich in Raoie schon wirklich alles geben. Wir werden sehen wie weit ich komme.“
Der Junge und sein Vater hatten einen Boss in Dreamworld bezwungen, der lange Zeit als unbesiegbar galt! Und da hatten sie nur zum Spaß gespielt?!
Diesmal wollte er alles geben?!
Kaiwens Finger flogen förmlich über ihr Tablet, als sie sich eifrig Notizen machte.
Zwanzig Minuten später verließ Bahe, um 7 500 Yuan reicher, den Imbiss und machte sich auf den Rückweg zu seiner Wohnung. Er war immer noch nicht dazu gekommen, seine wenigen Habseligkeiten zusammen zu packen. Bahe konnte nicht fassen, dass sich tatsächlich der Sender PG für ihn und seinen Avatar interessiert hatte. War PG nicht einer der fünf beliebtesten Sender ganz Chinas, die sich mit Computerspielen auseinander setzten? 7 500 Yuan… nur für eine knappe Stunde seiner Zeit? Scheinbar war sein Gedanke mit Raoie Geld zu verdienen, gar nicht so abwegig, dachte er und grinste vor sich hin.
In seiner Wohnung angekommen dauerte es nicht lange und so saß er bereits nach einer Stunde in der nächsten U-Bahn zu seinen Großeltern.
Auch wenn das Dimensional Leap-System erst in drei Tagen geliefert werden würde, hatte er noch viel zu tun. Er musste sich zusammen mit seinem Großvater an seiner neuen Schule anmelden und dann waren da noch die Pläne, die er für Raoie umsetzen musste. Raoie spielte man schließlich nicht nur, es war eine Lebenseinstellung!
Noch drei Tage…
Jeder Kommentar motivert mich sehr! Denkt drüber nach mir ein paar Worte da zu lassen, wenn euch das Kapitel gefallen hat. :)
RiBBoN