Zunächst traute Bahe seinen Ohren nicht. Doch da der alte Magier ganz offensichtlich nur ihn anschaute, konnte niemand anderes gemeint sein. Im nächsten Moment klappte auch schon das erwartete Fenster auf:
Ein alter Magier bietet dir an, dich zum Schüler zu nehmen.
Willigst du ein?
Innerlich frohlockte Bahe und stimmte sofort zu: „Es wäre mir eine Ehre, Meister…?“
„Haha, sehr gut“, lachte der alte Magier begeistert und stellte sich anschließend mit einem Lächeln vor. „Da du nun mein Schüler bist, kannst du mich Meister Ilias nennen.“
„Ich halte nicht so viel von Titeln“, fügte er mit einem Augenzwinkern noch hinzu.
Klar, Meister… Dachte sich Bahe nur und murmelte ganz leise den Befehl: „Überprüfen!“
Meister Ilias
Ein alter Magier, der es liebt an sonnigen Nachmittagen im Schatten eines Apfelbaumes im Park der Magiergilde zu verweilen. Eventuell weit mächtiger als zunächst angenommen.
Beruf: Magier
Level: ???
Weitere Informationen: ???
Den Befehl hatte er sich sparen können… Bahes neuer Lehrmeister schien ein viel höheres Level zu haben, wenn der Befehl nicht mal ansatzweise neue Informationen zu Tage fördern konnte.
„Meister, darf ich fragen, wieso ihr…“
Auch diesmal wurde Bahe unterbrochen.
„Du willst wohl wissen, weshalb ich dich zum Schüler genommen habe, was?“, grinste Ilias. „Ganz einfach. Du warst ehrlich. Ob aus Naivität oder Größenwahn, da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber während alle anderen jungen Leute vor dir mir verschieden gute Ausreden präsentiert haben, wieso mein Kollege Iras ihnen nicht weiterhelfen konnte, warst du der Einzige, der mir doch tatsächlich die Wahrheit gesagt hat. Und das obwohl du so ganz nebenbei von der gesamten Magiergilde gesucht wirst!“, lachte er schallend. „Dachtest wohl, du könntest im Notfall nochmal vor mir entkommen? So, wie du damals den Wachen entflohen bist, die dich in unser Verlies bringen sollten? Ohne den geringsten Zauber zu kennen?“
Der alte Kauz hörte gar nicht mehr auf zu lachen und Bahe musste zugeben, dass Ilias vollkommen richtig lag. Ob er mit seiner Einschätzung naiv gewesen war, vermochte Bahe nicht zu sagen. Von Magie verstand er ja noch kaum etwas... Er konnte nur hoffen, dass sich das jetzt bald ändern würde.
Nachdem Ilias sich irgendwann dann doch beruhigt hatte, ging er an Bahe vorbei und setzte sich auf eine der dicken Wurzeln des Apfelbaumes.
„Nun also zuerst zu dem Grund, wieso du hier bist – die Speichergegenstände“, fing er an, nachdem sich Bahe wieder auf den Boden niedergelassen hatte. „Speichergegenstände sind magische Artefakte und öffnen einen für dich nutzbaren Raum in einer anderen Dimension. Soviel solltest du ja schon wissen. Es können alle möglichen Gegenstände dafür herhalten. Es muss nicht auf einen Gürtel beschränkt sein, wie es bei den vielen jungen Leuten deines Alters scheinbar so verbreitet ist.“
Bahe nickte nur, soviel hatte er bereits im Vorfeld in Erfahrung bringen können.
„Trotzdem ist allen Gegenständen natürlich eine Sache gemein. Sie sind magisch. Damit du auf sie zugreifen kannst, musst du sie zunächst an dich binden und für diese Bindung brauchst du wiederum Mana. Wir Magier arbeiten mit der Energie, die in allen Gegenständen und Lebewesen der Welt vorhanden ist. Diese Energie nennen wir Mana. Frage mich nicht, welcher Vollidiot sich das ausgedacht hat…“, meinte Ilias kopfschüttelnd und fügte mit Nachdruck hinzu: „Auch, wenn du den Begriff Mana zukünftig benutzt, sei dir stets darüber im Klaren, dass er nur eine andere Bezeichnung für die allumfassende Energie der Welt ist. Mana verbinden viele immer nur mit Zauberei, doch Energie existiert auch abseits der Magie, vergiss das niemals!“
„Ja, Meister“, antwortete Bahe ernst.
Ilias schaute ihm einen Moment lang bedeutungsschwer in die Augen und fuhr dann fort: „Zurück zu der Bindung der Gegenstände. Du musst dein Mana bewusst in sie hinein fließen lassen und so eine individuell eigene Manasignatur erschaffen. Von dem Moment an, wirst nur noch du selbst Zugriff auf den Speichergegenstand haben. Und da sind wir auch schon bei den Grundzügen der Magie angekommen. Hast du schon mal selbst irgendeine Art von Magie gewirkt?“
„Nicht das ich wüsste“, sagte Bahe.
„Habe ich mir gedacht“, meinte Ilias und blickte ihn kritisch an. „Gerade der Anfang ist immer am Schwersten, ganz zu schweigen davon, dass du über viel zu viel Macht für einen Anfänger verfügst.“
„Meister, dass mit der zu großen Macht habt ihr schon einmal erwähnt, was meint ihr damit?“
„Ganz einfach ausgedrückt, du trägst für einen Anfänger zu viel Mana in dir.“
„Zu viel? Ich dachte, umso mehr, umso bessere und stärkere Zauber kann man wirken?“, fragte Bahe.
„Das ist der Fehler, den die meisten Leute machen. Lebe nach diesem Grundsatz und du wirst höchstens ein Meister deiner Kunst, aber niemals mehr. So wie dieser alte Dummkopf Hohest“, winkte Ilias ab. „Weißt du, wieso Hohest so davon überzeugt war, dass du ein Formwandler bist?“
Bahe schüttelte nur stumm den Kopf.
„Dein großer Manapool. Falls du den Begriff noch nicht gehört hast, so bezeichnet man unter Magiern allgemein hin den Mana-Vorrat, der einem zur Verfügung steht“, erklärte Ilias mit einem Augenzwinkern. „Du musst wissen, dass es Mana braucht um den Monolithen beim Eignungstest zum Leuchten zu bringen. Umso länger du also die Hände an den Stein gelegt hast, umso mehr Mana hast du verbraucht. Und wie ich dir schon sagte, ich habe noch nie einen so jungen Menschen mit solchen Manareserven gesehen. Hohest konnte sich deine starken Affinitäten mit den Elementen nicht erklären. Wenn er noch nicht mal solche Talente besitzt, wie konnte sie ein blutiger Anfänger haben?“, Ilias schüttelte bedauernd den Kopf. „In seiner Begrenztheit hat Hohest nach einer anderen Lösung gesucht. Deine starken Affinitäten sind in Verbindung mit dem riesigen Manapool tatsächlich Merkmale für Formwandler. Besonders, wenn beide Merkmale bei einem jungen Menschen auftauchen, der noch nicht mal ein Novize ist.“
Langsam ergab die ganze Situation, um den Test zur Magiereignung, einen Sinn für Bahe. Ilias führte derweil seine Ausführungen weiter: „Deswegen merke dir eins, Wissen ist viel wichtiger und wertvoller als Macht! Ein großer Magier ist nicht derjenige, der mächtiges Feuer entfacht, sondern derjenige, der jedes kleinste Bisschen Energie perfekt zu nutzen vermag.“
Ilias holte einmal tief Luft und sah ihn dann belustigt an.
„Jetzt sind wir schon wieder abgeschweift“, meinte er mit einem Lächeln. „Eine Manasignatur setzt voraus, dass du dein Mana dazu bringen kannst in den jeweiligen Speichergegenstand hinein zu fließen. Natürlich bedeutet es im Gegenzug, dass du erst mal in der Lage sein musst, dein Mana überhaupt bewegen zu können. Das sind beides noch mal zwei verschiedene Dinge und du wirst lange brauchen sie zu beherrschen.“
„Scheinbar wird es doch nicht so leicht sein, wie ich dachte“, bemerkte Bahe zerknirscht zu und brachte Ilias damit zum Lachen.
„Aber wie kann es dann sein, dass viele Leute in meinem Alter schon so mächtige Zauber wirken können?“, fragte Bahe, als er überlegte, wie andere Spieler den ganzen Prozess des Magiewirkens so schnell erlernt hatten.
„Sie nutzen ihr Mana über eine Abkürzung. Die Zaubersprüche sind ein Konstrukt, das ihnen zwar hilfreich erscheint, aber im Grunde ihre Entwicklung hemmt“, erläuterte Ilias. „Stell dir einen Jungen vor, der lesen lernt. Jeder normale Mensch würde damit anfangen, die einzelnen Buchstaben und ihre Aussprache zu erlernen. Aber dieser Junge ist ungeduldig und lernt einfach die möglichen Sätze für die Abschlussprüfung auswendig. Er kann vielleicht unterscheiden, welche Sätze ihm vorgelegt werden und diese auch richtig wiedergeben. Aber legt man ihm vollkommen andere Zeilen vor, wird er hilflos sein.“
„Wenn ich euch richtig verstehe, dann bedienen sich diejenigen, die so schnell Zauber wirken können, einfach nur vorgefertigter Zauber, ohne sie zu verstehen?“
„Das trifft es ziemlich genau“, freute sich Ilias über Bahes gute Auffassungsgabe.
Bahe wäre in diesem Moment vor Freue beinahe auf und ab gesprungen. Wie viel Glück gehörte denn bitte dazu, solch einem Lehrmeister zu begegnen? Er hatte doch gerade tatsächlich erfahren, wo der Unterschied zwischen bekannten und selbst erfundenen Zaubern lag!
Er konnte mit der Information zwar noch kein Vermögen machen, aber es war schon mal der erste Schritt auf dem Weg eigene Zauber zu entwickeln!
„Wenn du verstehst, wie man die Energie des Lebens nutzt, kannst du Zauber schaffen, die von den Bekannten abweichen und daher natürlich auch andere Effekte haben.“
„Also, könnte man bereits bestehende Zauber verbessern?“
„Im Großen und Ganzen ja.“
„Nur damit ich das richtig verstehe… Wenn ich einen Zauber für einen Feuerball kennen würde und diesen Zauber verbessere, würde dieser anschließend mehr Schaden machen?“
„Ganz so einfach ist es nicht“, schüttelte Ilias den Kopf. „Die bekannten Konstrukte sind meistens schon nahezu perfekt. Es sind eher die richtige Kombination und manchmal sogar eine Abschwächung der Zauber, die das Endergebnis interessanter machen.“
„Wie meint ihr das, Meister?“
„Lassen wir das“, weigerte sich Ilias weiter darüber zu sprechen.
„Aber…“, versuchte Bahe dem alten Magier noch mehr zu entlocken.
„Wie zum Henker willst du etwas über Magie lernen, wenn du mich ständig unterbrichst?“, blicke Ilias ihn hochgezogenen Augenbrauen an.
Bahe verstummte. Er wollte nicht riskieren den alten Mann gegen sich aufzubringen und dadurch die Quelle des reichen Wissens zu verlieren.
„Also… wo waren wir?“, überlegte Ilias kurz und fuhr dann fort. „Ah ja, Mana bewegen… Du wirst es lernen, aber es wird Zeit kosten. Ich könnte dir einen Zauber beibringen, der es dir ermöglicht neue Speichergegenstände zu binden, aber dann wären wir wieder beim Thema von vorhin und du hättest nichts gelernt. Deswegen werde ich es nun einmalig für dich übernehmen und in Zukunft bist du auf dich allein gestellt. Komm, stell dich hin.“
Bahe folgte den Anweisungen und spürte plötzlich eine seltsame Präsenz in der Luft. Er wusste nicht was, aber irgendetwas begann sich zu verändern. Es kribbelte auf der Haut, seine feinen Härchen stellten sich auf und Bahe fühlte sich mit einem Mal ganz leicht. Nach und nach breitete sich das Kribbeln in seinem gesamten Körper aus. Es war wirklich eine merkwürdige Erfahrung…
Und dann geschah es! Bahe war sich zunächst nicht sicher und doch, ein sanfter Schimmer erhob sich von seinem Körper und wurde zunehmend stärker. Es steigerte sich schließlich zu einer Aura des Lichts, die ihn umgab und wellenartig auf und abebbte.
Dann verschwand der Lichtschein zögerlich von seinen Extremitäten und zog sich um seinen Gürtel herum zusammen. Bahe riss derweil weit die Augen auf, um bloß keinen Augenblick zu verpassen.
Bahes Lichtaura verschwand schließlich vollends, nur um kurz darauf seinen Gürtel in hellem Licht erstrahlen zu lassen. Für einen kurzen Moment wurde Bahe von dem Licht geblendet und dann verschwand es genauso schnell wie es gekommen war.
Du hast deinen ersten Speichergegenstand erfolgreich an dich binden lassen!
+10 Exp
Zunächst stand Bahe nur verblüfft da, war das alles gewesen?
Doch dann ergriff ein merkwürdiges Gefühl von ihm Besitz. Es war kaum zu beschreiben… Ihm kam etwas in den Sinn, wie eine Art Traum… Nein, eher wie eine bildhafte Erinnerung oder ein Gedanke! Er spürte plötzlich, dass er über einen Speichergegenstand verfügte… Bahe konnte ihn gedanklich vor sich sehen, ohne dass er wirklich da war.
Vor ihm breitete sich eine Art großes Schrankfach aus, mehr Platz nahm der Raum in der anderen Dimension nicht ein. Wie Bahe, bei seinen Recherchen im Vorfeld erfahren hatte, war sein Speichergegenstand tatsächlich mit einfachen Nahrungsvorräten und ein Bisschen Geld gefüllt. Abgesehen von den fünfundzwanzig Kupfermünzen waren noch Wasser, Brot und sogar ein paar Streifen Dörrfleisch zu finden, nichts Besonderes.
Nach seinen Online-Quellen sollte er von diesen Vorräten bis zu drei Wochen leben können, ehe er eine neue Nahrungsquelle auftreiben musste.
Aufgeregt langte er instinktiv mit seinen Armen nach unten und ergriff etwa auf Höhe seines Gürtels ein Stück Brot aus der Zwischendimension. Geschockt blickte er anschließend auf seine Hand, die plötzlich eben jenes Brotstück hielt.
„Unglaublich…“, murmelte Bahe und packte das Brotstück mit nur einem Gedanken wieder zurück in die Zwischendimension.
„Ja, nicht wahr?“, sagte der alte Magier mit einem Lächeln und wies Bahe sich hinzusetzen. „Strebe niemals nur nach Macht, sondern erfreue dich stets auch an den kleinen Dingen. Jetzt ist es Zeit das du lernst, wie du eine solche Manasignatur demnächst selbst erschaffst.“