Jetzt habe ich doch ein neues Kapitel für den 2. Teil eröffnet... Ich glaube, dass ist besser, sonst verliert ihr als meine Leser zu schnell den Überblick, ob ihr nochmal in das letzte Kapitel schauen müsst oder nicht...
Hmmm... was meint ihr? Teil 1 und 2 in ein Kapitel, auch wenn sie zu unterschiedlichen Zeiten veröffentlich werden?
Oder doch besser wie hier pro Teil quasi ein "Kapitel"? Über eine kurze Rückmeldung in den Kommentaren wäre ich euch sehr dankbar :)Viel Spaß beim Lesen!
RiBBoN
Anderthalb Stunden später stand er schließlich vor der Wohnungstür seiner Großeltern und hielt geschafft seine Hand auf das Türdisplay zur automatischen Entriegelung. Das Display wollte gerade seiner Funktion nachkommen, als die Tür aufgerissen wurde.
„Da bist du ja endlich!“, rief Bahes Großmutter erleichtert und beförderte ihn in eine Umarmung, noch ehe er überhaupt die Wohnungstür durchschritten hatte. „Ich habe schon gedacht, du würdest wieder untertauchen und versuchen allein zu leben.“
Ihre Befürchtung brachte Bahe zum Lächeln und er antwortete schnell beruhigend: „Keine Sorge, dass werde ich nicht nochmal versuchen. Es hat ja sowieso nichts gebracht.“
„Das will ich dir auch geraten haben, Bahe“, knurrte seine Großmutter regelrecht. „Jetzt komm erst mal rein und wasch dir die Hände. Das Essen ist längst fertig.“
Bahe folgte seiner Großmutter in die Wohnung, die bereits geschäftig in die Küche wuselte, um ihm scheinbar das Abendessen anzurichten. Er konnte nur belustigt grinsen. Wenigstens war sie hier wieder in ihrem Element. Nicht so wie im Krankenhaus…
Innerlich schalt Bahe sich selbst, wieder so negativ zu denken und zwang sich die dunklen Gedanken abzuschütteln.
Nachdem er sich seiner Schuhe erledigt hatte, ging er in die Küche und wusch sich schnell die Hände.
„Deine Geschwister sind schon am Schlafen“, erklärte seine Großmutter und wärmte mit leichtem Rühren dabei eine Portion des Abendessens auf.
Bahe nickte nur, er hatte damit gerechnet. Es war schließlich schon nach zwanzig Uhr, die Kleinen mussten früher ins Bett.
„Kann ich noch was machen, Oma?“
„Nein, nein, setzt dich ruhig schon mal. Ah, wobei… Besteck brauchst du noch.“
„Alles klar“, gab Bahe kurz zur Antwort und holte sich Essstäbchen und einen Löffel heraus.
In seiner Anfangszeit in China hatte er sich arg an die Essgewohnheiten der Chinesen gewöhnen müssen. Das Essen mit Stäbchen war hier noch immer weit verbreitet, obwohl manche Einheimischen mittlerweile auch ab und an mit dem Besteckvorstellungen der westlichen Hemisphäre experimentierten.
Inzwischen beherrschte er das Führen der Essstäbchen so gut, wie jeder andere Chinese. Nur vom Löffel wollte er sich einfach nicht trennen, da er viel zu gern die Soßen mit dem Reis vermischte und sie ihm sonst immer von den Stäbchen tropfte.
„Deinem Großvater geht’s zunehmend besser“, erzählte Bahes Oma. „Als ich wieder ins Zimmer kam und ihn aus seiner Schockstarre schreckte, wollte er sich gleich aufmachen und dir hinterher eilen. Dieser Sturkopf fing schon an die ganzen Messinstrumente von seinem Körper zu reißen… und was passiert als nächstes?“
„Äh…“, Bahe zuckte nur mit den Schultern.
„Ein ganzes Schwadron panischer Krankenschwestern kam herein gestürmt, um den sterbenden Patienten zu retten“, kicherte sie laut vor sich hin. „Als Strafe haben sie ihn schnurstracks wieder auf sein Bett befördert, alle Kabel wieder angelegt und ihm gesagt, dass sie ihm für das morgige Frühstück das komplette Fleisch streichen, wenn er sich solch eine Aktion noch ein weiteres Mal erlauben würde.“
Bahe grinste, nur um im Anschluss wieder ernst zu werden: „Tut mir Leid, dass ihr euch meinetwegen Sorgen machen musstet.“
„Mmm… Das sollte es auch“, nickte seine Großmutter und warf ihm dabei einen strengen Blick über die Schulter zu.
Bahe senkte schuldbewusst den Blick und für einen Moment herrschte betretende Stille, wenn man vom beständigen Rühren des Kochlöffels mal absah.
„Bahe…?“, erklang eine zögerliche und piepsende Stimme.
Überrascht schaute er auf und entdeckte seine kleine Schwester, die mit ihrem Kuschelbären verschlafen ins Licht blinzelte.
„Ja, ich bin es Liana“, sprach Bahe sanft und stand auf, um ihr entgegen zu gehen.
Liana Xue streckte, immer noch verträumt, die Arme nach ihrem Bruder aus und ließ sich bereitwillig hoch heben. Sie klammerte sich fest an Bahe, als dieser sie vom Boden hob und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab.
Bahe gab seiner Großmutter kurz ein Zeichen, dass er seine Schwester zurück ins Bett tragen würde und sah noch wie sie mit einem Lächeln nickte, ehe er mit sanften Schritten zum Kinderzimmer seiner Geschwister ging.
„Leo hat gesagt, dass du wieder lange weg gehst. Aber… aber ich habe ihm gesagt, dass du bestimmt heute noch wieder kommst“, hörte Bahe seine Schwester sacht an seiner Seite flüstern.
„Und damit hast du recht gehabt“, sagte Bahe leise und drückte seine Schwester fest.
„Ja… ich habe recht gehabt…“, wiederholte sie Bahes Worte und klammerte sich noch fester an seinen Pullover.
Bahe betrat das Zimmer seiner Geschwister so leise wie möglich, um seinen kleinen Bruder nicht aufzuwecken, während seine Schwester ununterbrochen ihre eigenen Worte wiederholte.
„Ich habe recht gehabt… Ich habe recht gehabt… Ich habe recht gehabt…“
„So da wären wir, Liana“, sagte Bahe und löste vorsichtig die Arme seiner Schwester von seinem Oberkörper. Sie ließ es geschehen und sich ins Bett legen. Anschließend zog er die Bettdecke bis zu ihren Schultern hoch und streichelte ihr noch einmal über den Kopf.
„Gute Nacht, Liana.“
„Kannst… kannst du hier bleiben, Bahe?“, fragte Liana zögerlich, als Bahe sich gerade daran machen wollte, dass Zimmer zu verlassen.
Bahe lächelte und sagte beruhigend: „Natürlich, ich setzte mich einfach eine Weile hier neben das Bett.“
Im Halbdunkeln konnte Bahe keine Reaktion seiner Schwester ausmachen, als er sich am Kopfende neben dem Bett niederließ und streichelte ihr daher noch einmal beruhigend über den Kopf.
Als er seine Hand anschließend zurückzog, spürte er plötzlich wie sich kleine Finger um die seinen schlossen.
„Willst du meine Hand halten, während du einschläfst?“
„Mmmm…“, nickte Liana.
„Alles klar. Ich bleibe bis du eingeschlafen bist.“
Danach senkte sich Schweigen über das abgedunkelte Zimmer seiner Geschwister und Bahe lauschte entspannt den ruhigen Atemzügen seines kleinen Bruders auf der anderen Seite des Zimmers. Liana hielt währenddessen weiterhin seine Hand umklammert, als ob sie Sorge hätte, dass er gleich wieder verschwinden würde.
„Bahe…?“, setzte Liana irgendwann zögerlich an.
„Ja?“
„Es tut mir Leid…“, sagte sie mit schuldbewusster Stimme und Bahe war sich nicht sicher, ob er gerade ein Schniefen heraus hörte.
„Aber was tut dir denn Leid?“
„Ich hab‘ gelogen…“, sagte Liana leise und schniefte diesmal hörbar. „Ich habe nicht recht gehabt. Leo hat gesagt, dass du zurück kommst, nicht ich. Er… er hat das immer wieder gesagt, aber… aber ich wollte ihm nicht glauben. Ich… ich habe gesagt, dass du diesmal für immer verschwindest…“
„Aber das ist doch nicht schlimm, Liana…“, sagte Bahe schnell beruhigend.
„Du darfst nicht auch noch gehen, Bahe… Papa und Mama sind schon gegangen… Und jetzt auch Opa … Ich will nicht, dass du auch noch gehst. Ich weiß, dass wenn jemand geht… dann… dann kommt man nicht mehr wieder… Ich will nicht, dass du nie wieder kommst…“
„Aber natürlich gehe ich nicht, Liana…“, sagte Bahe so sanft wie möglich und gleichzeitig auch sprachlos angesichts der Ängste seiner kleinen Schwester.
„Ich bleibe von jetzt an immer hier“, sagte er bestimmt und umarmte Liana noch einmal sanft.
„Versprichst du es?“, fragte Liana leise, während Bahe ihre Tränen an seiner Wange spürte.
„Ich verspreche es“, antwortete Bahe sofort und wiegte sie sacht hin und her.
„Oma wird auch bald gehen und dann bist nur noch du da…“, sagte sie stockend, vom Schniefen unterbrochen. „Deswegen darfst du nicht gehen…“
Bahe spürte, wie sich die kleinen Arme seiner Schwester wieder fest an ihn klammerten.
„Aber Oma wird doch nicht gehen, wie kommst du denn auf sowas? Und Opa und Mama sind doch auch noch da...?“, fragte er seine Schwester verdutzt.
„Ich weiß, dass sie gehen werden… wie Papa. Xixi aus dem Kindergarten hat mir erzählt, dass die Leute ins Krankenhaus gehen und… und… dann nie mehr wieder kommen. Das war bei ihrer Mama so... Und sie hat auch gesagt, dass Oma schon alt ist und auch bald ins Krankenhaus geht und nicht mehr wiederkommt, weil… weil… ihre Oma auch ins Krankenhaus gegangen ist und nicht mehr wiedergekommen ist… Deswegen darfst du nicht auch noch gehen, sonst sind Leo und ich ganz allein…“, schluchzte Liana.
„Das stimmt nicht, Liana“, sagte Bahe bestimmt. „Oma wird nicht gehen und Opa kommt Übermorgen schon wieder vom Krankenhaus nach Hause. Das verspreche ich dir.“
„Aber Xixi hat gesagt…“
„Xixi hat sich geirrt. Nur weil es bei ihr so war, muss es nicht bei allen Menschen so sein“, sagte Bahe ruhig. „Warte zwei Tage und Opa kommt wieder nach Hause.“
„Versprichst du es?“
„Ja, ich verspreche es. Und ich verspreche dir auch, nicht mehr weg zu gehen.“
„Und Mama ist auch noch nicht gegangen?“
„Aber natürlich nicht, Ihr geht sie doch regelmäßig besuchen.“
„Aber vielleicht ist sie ja heute gegangen, wir waren ja nicht da…“, meinte Liana leise.
„Glaub mir, sie wird nicht gehen.“
„Versprichst du es?“
„…“
„Bahe…? Versprichst du es?“, fragte Liana ängstlich. „Du musst es versprechen…“
Bahe atmete einmal tief durch und antwortete schließlich: „Ich verspreche es.“
Er wusste noch immer nicht wie, aber er würde dafür sorgen, dass seine Geschwister nicht ohne Mutter aufwachsen mussten.
Komme was wolle, er würde es schaffen.
„Ich verspreche es“, wiederholte nun auch er seine Worte.