„Wie? Ein Anwalt? Bahe, den werden wir uns niemals leisten können!“, rief Bahes Großvater entsetzt.
„Keine Sorge“, erläuterte Bahe schnell. „Der Anwalt übernimmt den Fall komplett kostenlos und eine Möglichkeit an das Geld zu kommen, hat er wohl auch schon. Allerdings braucht er dafür dich, Bang Tuo. Er hat mir aufgetragen vorsichtshalber zu dir zu fahren, nur für den Fall, dass er dich nicht erreichen würde.“
Speziell an seine Großeltern gewandt fuhr Bahe fort: „Eigentlich bin ich auch nur deswegen nach Hause gekommen. Zum Einen wollte ich euch kurz die gute Nachricht überbringen, zum Anderen wollte ich mich so schnell wie möglich ein weiteres Mal nach Dazu aufmachen.“
„Der Anwalt hat tatsächlich versucht mich zu erreichen“, merkte Bang Tuo an, während er die Visualisierungsfläche seines Prophone studierte. „Ich habe doch glatt sieben verpasste Anrufe. Da ich hier zu Besuch war, habe ich den Ton und die Visualisierung ausgeschaltet. Kann ich hier irgendwo in Ruhe telefonieren?“
„Ja, sicher. Am besten auf dem Balkon“, meinte Bahes Großmutter und stand schnell auf, um die Balkontür zu öffnen.
Der Polizist stand ebenfalls auf und machte sich, auf dem Weg hinaus, an der dreidimensionalen Visualisierungsfläche seines Prophone zu schaffen. Bahe schaute dabei interessiert zu. Er hatte noch nie ein richtiges Prophone besessen. Zu den Lebzeiten seines Vaters, war dieser immer gegen die neuste Technik gewesen. Er hatte immer gemeint, dass Bahe selbst in der Lage sein sollte, sich dergleichen zu kaufen und vorher würde eben keine Not bestehen, diese Dinger zu besitzen. In Anbetracht der Kosten der Prophones, hatte Bahe als Dreizehnjähriger aber schnell aufgegeben.
Bang Tuo hingegen benutzte sein Prophone so flüssig, dass Bahe aufgrund seiner Unerfahrenheit in der Handhabung schnell den Überblick verlor. Dann trat der Polizist aber auch schon auf den Balkon und seine Oma zog die Tür zu.
„So Bahe, jetzt erklär mir doch mal genau, wie du es angestellt hast, dass der Anwalt kein Geld verlangt“, forderte ihn sein Großvater auf.
„Oh…“, lächelte Bahe verhalten und begann die gesamte Geschichte, um die letzten drei Tage zu erzählen.
Er berichtete von dem Anwalt Hua Han Ning, dem er zufällig über den Weg gelaufen war. Wie er ihm geholfen hatte, weil er sich in dessen Situation des Verfolgten so sehr hatte hinein fühlen können. Von der Pleite gestern Abend in Dazu, als ihm Bang Tuo noch abgesagt hatte und wie er heute Morgen in seiner Verzweiflung mit den Bahnen durch die Stadt fuhr, ehe er sich in dieses Café setzte und von der Pressekonferenz erfuhr.
Als er erzählte, wie dieser Bodyguard von Bei En Rui mit ihm umgegangen war, explodierte sein Großvater regelrecht vor Wut und Bahe und seine Großmutter mussten die nächsten Augenblicke damit verbringen, ihn möglichst schnell wieder zu beruhigen. So kurz nach einem leichten Herzinfarkt war Aufregung das Letzte was er brauchte.
Zum Schluss erläuterte Bahe dann noch, wie er erneut dem Anwalt Hua Han Ning begegnet war, welcher diesmal sogar in der Lage war zu helfen.
„Bahe…“
„Ich…“
Seine Großeltern suchten sprachlos nach Worten, nachdem Bahe seine Ausführungen beendet hatte. Wurden dann jedoch durch den herein kommenden Polizisten unterbrochen.
„Bahe, ich habe deinen Anwalt erreicht. Er erwartet dich und meine Wenigkeit morgen um 19:30 Uhr am Restaurant Wanshang Hao. Dann werden wir diese Sache aus der Welt schaffen. Ich muss mich jetzt entschuldigen, bis morgen muss ich noch ein paar Leute auftreiben.“
„Er wird mit Sicherheit nicht alleine gehen!“, rief Bahes Großvater sofort.
„Feitong, sowohl ich als auch der Anwalt sind dabei. In Anbetracht der Umstände ist es für dich sowieso besser zu Hause zu bleiben, oder?“, meinte Bang Tuo beschwichtigend. „Abgesehen davon, bestand der Anwalt darauf, dass Bahe alleine kommt. Sonst kann es passieren, dass sein Plan nicht funktioniert.“
„Was hat er eigentlich vor, Bang Tuo?“, fragte Bahe.
„Er hat mich beschworen dir nichts zu sagen“, zuckte Bang Tuo die Achseln. „Er meinte, dass es für den Erfolg der morgigen Aktion von größter Wichtigkeit ist und nachdem er mich eingeweiht hat, muss ich ihm an dieser Stelle zustimmen.“
„Woher soll Bahe denn wissen wie er sich verhalten soll?“, fragte Bahes Großmutter Lin.
„Er soll sich ganz normal verhalten, alles Weitere kommt dann von selbst und letzten Endes geht es genau darum. So, jetzt quatsche ich hier schon viel zu viel. Bahe, vertraust du uns?“
Bahe nickte stumm.
„Dann bitte ich euch, Lin und Feitong, schließt euch euren Enkel an.“
Bahe sah, wie die Blicke seiner Großeltern von ihm zum Polizisten wanderten und sich schließlich trafen. Sie schauten sich einen Moment an und kamen scheinbar zu einem gemeinsamen Einverständnis als Feitong seufzte und Lin grimmig nickte.
Bang Tuo lächelte daraufhin und sagte: „Ich muss mich jetzt wirklich verabschieden.“
„Sicher“, meinte Lin und stand auf, um ihn hinaus zu begleiten.
„Hier Bahe“, sagte Bang Tuo und Bahe bemerkte, wie er eine WE-Chat-Nachricht[i] bekam. „Der Anwalt hat mir deine Nummer gegeben. Wenn irgendetwas sein sollte, melde dich bei mir oder ihm. In der Nachricht steht der Name und die genaue Anschrift des Restaurants. Wir treffen uns wie gesagt um 19:30 Uhr.“
„Ok, danke.“
„Auf Wiedersehen, Feitong. Bis morgen, Bahe“, verabschiedete sich Bang Tuo und verließ das Zimmer.
„Sei mir morgen bloß vorsichtig, Bahe“, mahnte sein Großvater seufzend.
„Natürlich.“
„Opa, es wird morgen schon alles gut gehen.“
„Ich hoffe es wirklich, Bahe. Die Ärzte können nicht mehr länger warten, haben sie uns gestern gesagt. Wenn sie nicht in den nächsten drei Tagen operiert wird, schwinden die Heilungschancen auf unter zwanzig Prozent.“
Bahe wusste nicht, was er darauf sagen sollte und nickte nur stumm.
„Bahe, steh mal auf und lass dich drücken“, sagte seine Großmutter als sie wieder ins Wohnzimmer kam.
Bahe tat ihr den Gefallen gerne und wurde sogleich in eine herzliche Umarmung gerissen. Einen Moment verharrten sie beide in der Haltung, ehe seine Großmutter ihn auf Armeslänge von sich schob und lächelnd sagte: „Vielen Dank. Wirklich vielen Dank, Bahe. Wir haben Glück einen jungen Mann wie dich unseren Enkelsohn nennen zu dürfen.“
„Ist doch selbstverständlich“, meinte Bahe seltsam berührt.
„Nein, das ist es nicht“, widersprach sein Großvater und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. „Wir sind wirklich sehr stolz auf dich und dein Vater wäre es auch.“
Bahe lächelte nur. Er wusste nicht wirklich mit der ganzen Herzlichkeit umzugehen.
„Wenn morgen alles gut geht, werde ich ein Festmahl zaubern. Dein Anwalt und Bang Tuo sind dann selbstverständlich eingeladen“, erklärte seine Großmutter und Bahe nickte zustimmend.
„Was hast du heute noch vor?“, fragte sein Großvater.
„Puh… darüber habe ich mir eigentlich noch gar keine Gedanken gemacht.“
„Müsstest du nicht mal langsam wieder zu diesem Anwesen? Zu diesem besoffenen Martial-Arts-Meister? Dann könntest du später auch wieder die Zwillinge vom Kindergarten abholen“, meinte sein Großmutter.
„Ah, da sollte ich wohl wirklich mal wieder auftauchen“, antwortete Bahe. Hoffentlich sah es ihm der Meister nach, dass er dort so unregelmäßig auftauchte.
„In der Tat, mach dass du dahin kommst, Bahe“, schupste sein Großvater ihn lachend an und Bahe rannte schnell in sein Zimmer, um ein paar Sachen zu packen, ehe er sich verabschiedete und zur nächsten U-Bahn rannte.
Lin lächelte, als sich die Tür hinter ihrem Enkel schloss.
„Feitong, Sulin kann sich wahrhaft glücklich schätzen solch einen Stiefsohn zu haben.“
„Da hast du Recht“, meinte ihr Mann und sie spürte, wie er sie von hinten in die Arme nahm.
Seufzend lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter und sagte leise: „Sobald Sulin wieder gesund ist, müssen wir dafür sorgen, dass er nie wieder solche Lasten tragen muss. Ich weiß, wir haben nicht viel Geld, aber…“
„Sch…sch…“, brachte Feiton sie zum Schweigen. „Denke jetzt nicht an sowas. Freue dich einfach darauf, dass bald alles gut wird. Wir werden schon einen Weg finden, ihn in Zukunft vernünftig unterstützen zu können.“
„Ich sollte für das Mittagessen einkaufen gehen.“
„Soll ich dich begleiten?“
„Du sollst dich doch schonen!“
„Ach, komm schon. Schonen heißt ja nicht den ganzen Tag nur im Bett zu liegen.“
Lin musste beim mürrischen Tonfall ihres Mannes grinsen. Das der Mann auch nicht mal einen Tag zu Hause bleiben konnte.
„Na gut, dann komm mit. Aber ziehe dich bloß warm genug an!“, meinte sie warnend.
„Ja doch!“, rief ihr Mann noch mürrischer als zuvor und Lins Grinsen wurde breiter.
Selbst nach vierzig Jahren Ehe, machte es immer noch Spaß ihn aufzuziehen.
[i] WE-Chat = Das chinesische Pendant zum westlichen What‘s App?