Glückwunsch!
Du hast den Ausdauertest der Ausbilder seiner Majestät erfolgreich bestanden!
Deine Zeit: 89:34 Minuten!
Mit dem Aufklappen des Fensters sackte er vollkommen erschöpft aber glückselig zusammen. Zwei Wochen lang, hatte er sich jeden Tag mit dieser verdammten Tutorialquest abgekämpft. Zwei Wochen, in denen er seinen Ausbilder innerlich immer und immer wieder verflucht hatte.
Aber jetzt hatte er es geschafft!
Na ja… zumindest den ersten Teil…
Das Bogenschießen kam ja noch.
Aber das sollte er eigentlich mittlerweile hinbekommen, dachte er zuversichtlich.
Während er sich darum bemühte wieder zu Atem zu kommen, klappten noch weitere Fenster auf, das ihn positiv überraschten:
Du hast eine neue Fähigkeit erlernt:
Joggen
Durch mehrmaliges intensives Laufen über einen längeren Zeitraum hast du deine Technik immer weiter verbessert!
Deine Mittel- und Langzeitausdauer hat sich über die letzten Wochen zunehmend verbessert!
Joggen Fähigkeitsstatus: Anfänger Level 1 | 19%
Du kannst deine Geschwindigkeit 2% länger aufrechterhalten!
Laufe größere Strecken oder laufe die gleichen Strecken zunehmend schneller, um dein Level zu erhöhen.
Durch die immer wiederkehrenden Anstrengungen haben sich deine mentale Stärke, als auch deine körperliche Verfassung verbessert!
Ausdauer +1
Kraft +1
Physische Konstitution +1
Widerstandsfähigkeit +1
Willensstärke +10
Als Bahe die starke Erhöhung seiner Willensstärke bemerkte, hätte er innerlich in Freudensprünge ausbrechen können, wenn er nicht gerade hüftabwärts verhindert gewesen wäre…
Ein dümmliches Grinsen konnte er sich aber trotzdem nicht verkneifen.
Andererseits fragte er sich wirklich, weshalb es mit der Fähigkeit Joggen so lange gedauert hatte. Ein wenig eher hätte ihm durchaus helfen können. Wahrscheinlich wollten die Entwickler Raoies es den Spielern nicht zu leicht machen, dachte er mürrisch.
Nachdem er sich ausreichend erholt hatte, aß und trank er zunächst was, um seine Bedürfnisse zu stillen und begab sich anschließend zum Bogenschießstand.
Durch das viele Schießen würde er sowieso wieder ins Schwitzen geraten, da konnte er mit seiner üblichen Routine des morgendlichen Schwimmens ruhig noch etwas warten.
Zumal er sowieso noch viel zu früh dran war. Normalerweise war er zu dieser Tageszeit noch in der Bibliothek, um der Dunkelheit der Nacht größtenteils zu entgehen.
Heute war schlicht weg eine Ausnahme, weil er einfach nicht länger warten konnte. Zu seinem Glück gab es auch auf dem Bogenschießstand magische Beleuchtung, auch wenn sie bei Weitem nicht so gut wie das Tageslicht war.
Bahe begann trotzdem. Er holte sich den Bogen, aus der für Spielanfänger vorgesehenen Waffenkammer und schoss einen Pfeil nach dem Anderen auf die Zielscheibe, die inzwischen zwanzig Meter weit entfernt stand.
Die zehn Meter vom Anfang waren ihm mit der Zeit zu leicht geworden, auch wenn es darum ging, dass er möglichst treffsicher war.
Die Pfeile flogen in den folgenden Minuten nur so dahin. Der enorme Kraft- und Ausdauerzuwachs erlaubten Bahe viel länger an einem Stück zu trainieren, als noch zu Beginn seiner Übungszeit.
Insgesamt stand er in der Pflicht achtundzwanzigtausend Schüsse zu absolvieren. Vierzehntausend hatte er über die letzten zwei Wochen vollbracht. Die andere Hälfte war sein heutiges Ziel.
Immer wieder spannte er den Bogen und legte zwischendurch kurze Pausen ein, um die Arme und Schultern zu entspannen.
Nach siebentausend erfolgreichen Schüssen zitterten seine Arme mal wieder so stark, dass er eine längere Pause einlegen musste.
Die Sonne war inzwischen aufgegangen und tauchte Raoie in ihr warmes Licht.
Zunehmend mehr Leute waren rund um den Übungsplatz zu sehen und während Bahe ein weiteres Mal seinen Hunger stillte, kam sein Ausbilder Fenrir mit erfreuter Mine auf ihn zu.
„Na, sieh mal einer an!“, sagte er lächelnd. „Du hast heute Morgen tatsächlich deinen Lauf geschafft?“
Bahe nickte und grinste zurück.
„Und bei den Schüssen scheinst du auch gerade aufzuholen, was?“
„Genau“, sagte Bahe und erklärte: „Ich habe vor, deine Vorgaben heute endlich zu erfüllen.“
„Oho… ich bin gespannt“, meinte Fenrir beeindruckt und sagte, während er sich zum Gehen wandte: „Ich bin bei der Kampftrainingsfestung, falls du mich später suchen solltest.“
Bahe nickte nur ein weiteres Mal und schluckte den nächsten Bissen seines Trockenfleischs runter.
Genug zu essen zu haben, war ja schön und gut, aber so langsam hing ihm das Trockenfleisch zum Hals heraus. Er machte sich gedanklich die Notiz, dass er sich in der Realität unbedingt mal mit dem Kochen beschäftigen sollte. Wenn er in jeder Spieleinheit ständig das Gleiche essen musste, würde er über kurz oder lang wahnsinnig werden!
Wenig später machte er sich frisch gestärkt und mit neuer Kraft erneut ans Pfeile schießen.
Die Minuten vergingen erneut wie im Flug, während er all seine Konzentration in das Training legte. Schweigend erfühlte er den Bogen und die Sehne, den ständigen Wechsel von Spannung und abrupter Entspannung. Er beobachtete wie seine Pfeile von der Sehne schnellten, wie er die Federn der Pfeile an seinen Fingern spürte.
Immer mehr Details fielen auf und halfen ihm sich auf die unmittelbare Aufgabe zu fokussieren.
All die anderen Spieler, die nach und nach den Trainingsplatz betraten bemerkte er kaum.
Einige Zeit später betrat unweit von Bahe eine dreiköpfige Gruppe von Spielern den Trainingsplatz und entdeckte einen Pulk von Schaulustigen am Ausbildungsgelände der Bogenschützen.
„Was ist denn hier los?“, fragte Geniella.
„Keine Ahnung“, zuckte HaHaHaHa die Schultern.
Von Neugierde getrieben liefen sie mit dem Rest ihrer Gruppe schnell hinüber.
„Hey Leute, was steht ihr hier alle so rum?“, verlangte der letzte des Trios, Trallala, zu wissen.
„Wir schauen dem Spieler da vorne zu“, erklärte einer Anwesenden. „Wie ein Wahnsinniger schießt der Typ jetzt schon seit Stunden Pfeile auf die Zielscheibe.“
„Hä?“, gab HaHaHaHa ungläubig von sich.
„Und was soll daran so besonders sein?“, meinte Geniella abwertend, die sich selbst auf das Bogenschießen verstand. „Der Spieler versucht doch bestimmt nur seine Tutorialmission abzuschließen…“
„Dir ist schon klar, welche Variante der Tutorialmission der Typ durchzieht?“, schaltete sich einer der anderen umstehenden Spieler ein.
„Was meint er, Geniella?“, fragte Trallala.
Geniella verzog bei der Frage das Gesicht. Meinte der Kerl das ernst? Der Spieler führte tatsächlich mehrere tausend Schüsse aus?
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten das Bogenschießen zu erlernen. Ich selbst habe Präzisionsschüsse ausgeführt, also mehrere festgelegte Ziele aus unterschiedlichen Entfernungen getroffen“, erläuterte Geniella. „Aber scheinbar arbeitet der Typ da vorne an der nervigsten Variante, um das Bogenschießen zu erlernen. Er feuert mehrere tausend Schüsse ab.“
„WTF?! So’ne Zeitverschwenung!“, stieß Trallala verblüfft aus.
„Wenn ihr mich fragt, hat der Kerl sie nicht mehr alle“, meinte auch HaHaHaHa.
„Ihr wisst ja das beste noch gar nicht“, rief ihnen noch ein anderer der Umstehenden zu. „Habt ihr von diesem Irren gehört, der die letzten Wochen täglich um Waldenstadt herum gelaufen ist?“
„Natürlich, wer nicht?“, sagte Trallala.
„Tja, das, ist der Kerl.“
„Was?!“, entfuhr es diesmal auch Geniella und auch HaHaHaHa und Trallala waren nicht minder überrascht.
Gemeinsam versuchten sie einen besseren Blick auf diesen komischen Spieler zu bekommen, der nun durch seine nächste ungewöhnliche Aktion auffiel.
„Schon ein merkwürdiger Kerl“, meinte eine zierliche Spielerin ganz in der Nähe.
„Du sagst es, Philia“, antwortete ihre Nachbarin. „Ich könnte nicht stundenlang immer und immer wieder das Gleiche machen.“
„Aber das ist ja das Krasse an der Sache“, sagte ein Anderer. „Meint ihr, dass etwas dafür bekommt?“
„Pah, selbst wenn er dafür eine Verbesserung seiner Stats bekommt, was bringt es mir ein Spiel zu spielen und nur Ewigkeiten stumpf die gleiche Tätigkeit auszuführen?
„Wieso hat er seine Tutorialquest nicht einfach abgebrochen und neu gestartet?“, fragte jemand anderes.
„Wenn es um Irre geht, hilft keine Logik, oder?“, kam es irgendwo aus der Menge zurück.
„Leute lasst uns von hier verschwinden. Wir sind hier her gekommen, damit ich endlich das zweite Tutorial abschließen kann. Wer weiß, wie lange der Typ noch dran ist“, verlangte Geniella.
„Sicher, die Kampftrainingsfestung ist da drüben“, nickte HaHaHaHa sofort und zeigte auf einen Steinmauerkomplex, der in circa achthundert Meter Entfernung hinter einigen Zelten aufragte.
„Das weiß ich…“, stöhnte Geniella, der die aufdringliche Art von diesem hohlen Zwillingen HaHaHaHa und Trallala langsam auf die Nerven ging. Für wie blöd hielten die Zwei sie eigentlich?
„Hey, machen wir ein Wettrennen, HaHaHaHa?“, fragte Trallala seinen Bruder.
„Sicher!“, antwortete dieser begeistert und fügte mit einem verschwörerischen Augenzwinkern in Geniellas Richtung hinzu: „Wer zuerst ankommt, bekommt einen Kuss der holden Maid, nicht wahr?“
Geniella wurde schon allein beim Gedanken daran schlecht. Wütend unterdrückte sie den Brechreiz und wollte gerade ihre Meinung kundtun, als die beiden Idioten auch schon losrannten.
„Fuck! Wieso muss ich immer an solche Idioten geraten!“
Vor vier Tagen waren die Beiden noch nützlich gewesen, da sie sich zu ihrem Leidwesen eingestehen musste, dass sie selbst gegen die einfachsten Monster noch arge Probleme hatte.
Sie hatte sich in den Kämpfen mit den Beiden immer schön im Hintergrund halten können und aus sicherer Entfernung ihre Pfeile geschossen. Die Wildwurzelkaninchen und auch die Breitmaulfrösche waren wie die Fliegen gefallen.
Inzwischen war sie zuversichtlich auch das zweite Tutorial bestehen zu können, welches allgemeinhin als das am schwersten zu bestehende Tutorial galt. Es hieß sogar, dass sich viele Spieler schon vollends daran die Zähne ausgebissen hatten.
Das es tatsächlich Spieler gegeben haben sollte, die das Tutorial erst mit Level 20 bestehen konnten, hatte sie schon längst als belangloses Gerücht abgetan.
Für sie stellte es nur den nächsten Schritt in ihre Unabhängigkeit dar. Ihr fehlte Training darin alleine klar zu kommen und das Tutorial sollte genau das beheben.
Nichts war ihr lieber, als schnellst möglich eine Ausrede zu finden, endlich von diesen beiden bekloppten Spinnern weg zu kommen.
Immer noch wütend seufzte sie und folgte notgedrungen den Zwillingen.