Immer noch begeistert beobachtete Kaiwen wie sich die Spieler ihrer Goldgrube vorsichtig näherten. Es war das reinste Vergnügen zuzusehen wie argwöhnisch und verunsichert sie sich Anael gegenüber verhielten.
Eine Spielerin schaffte es schließlich die Situation zu entschärfen, aber auch nur oberflächlich.
Die Begrüßung der Spieler lief dafür viel zu schnell ab. Sie bezweifelte ernsthaft, dass sich Anael auch nur einen Namen merkte. Sie zumindest, hätte es nicht getan.
Amüsant war auch der Moment, in dem Anael verdeutlichte, dass er als Bogenschütze agieren würde. Sein Schwert würde er nur im Notfall verwenden.
Einige Spieler ringen sichtlich mit ihrer Selbstbeherrschung. Am Ende schwiegen sie jedoch alle. Der verheerende Anblick der vielen Kadaver war Warnung genug, dass man es sich mit ihm nicht verscherzen sollte. Auch, wenn man im Tutorial vielleicht nicht wirklich sterben konnte. Außerhalb der Stadt gab es genug Möglichkeiten einem Spieler das Leben schwer zu machen. Das Anael erst Level 2 war, half angesichts dieser Tatsache auch nur bedingt.
Kurze Zeit später waren endlich alle an ihren Plätzen. Die Bogenschützen hatten sich in der Mitte der Freifläche, auf den erhöhten Überresten von früheren Festungsverschlägen, positioniert und spähten in alle Richtungen, während die Nahkämpfer einen schützenden Ring um sie herum bildeten.
Langsam senkte sich eine bedrohliche Stille über die Freifläche. Die Haltungen der Spieler hätten unterschiedlicher jedoch nicht sein können.
Manche zuckten bei jedem kleinsten Geräusch von rieselndem Gestein, andere waren die Ruhe in Person. Einigen war der Schrecken der letzten Minuten immer noch anzusehen, da sie sich ständig zu Anael umdrehten oder ihn aus den Augenwinkeln beobachteten.
Sie versuchten es zu verheimlichen, machten es damit jedoch nur noch offensichtlicher.
Wieder Andere waren voller Konzentration und Wachsamkeit.
Und dann war da noch Anael, der so tat, als würde er die Blicke der Spieler nicht bemerken und in aller Seelenruhe dabei war, die Krallenspuren an seinem Körper zu verbinden.
Kaiwens Mundwinkel zogen sich belustigt nach oben. Denn welcher Spieler hatte in solch einer Situation schon die Nerven, an die wenigen verloren gegangenen HP-Punkte zu denken?
Nur ihr Goldstück, dachte sie versessen.
Ein Brüllen erklang in unmittelbarer Nähe. Hastig stopfte Bahe die Verbände in seinen Speichergegenstand und ergriff wieder den Bogen samt Pfeil.
Aufgerichtet nahm er seine Umgebung ins Auge, entdeckte aber noch keins der Monster, die jeden Moment auftauchen müssten.
Stattdessen bemerkte er wieder einmal die Blicke der anderen Spieler. Er machte sich keine Illusionen. Die Wenigsten von Ihnen würden sich wirklich den Monstern entgegen stellen, wenn es hart auf hart kam.
Das Ganze hier war schließlich eine Tutorial-Mission zum ersten Erfahren von Kampfsituationen. So viel Kampferfahrung wie Bahe brachte wohl kaum ein Anderer in mit. Egal wie erfolgreich er letzten Endes gewesen war.
Außerdem war er sich relativ sicher, dass er beim Anblick der Kreaturen nicht reiß aus nehmen würde. Die Tatsache hingegen, dass die anderen Spieler ihn so misstrauisch beäugten, sprach Bände über deren Selbstwertgefühl.
Ganz davon zu schweigen, dass er sich dank der Präsentation seines Schwertes außerhalb der Stand von nun an in Acht nehmen musste. Es gab reihenweise Spieler, die ein solch starkes Artefakt im Anfangsstadium des Spiels nur zu gern ihr Eigen nennen würden.
Ein Fauchen in seinem Rücken durchbrach schließlich Bahes Gedanken. Hastig fuhr er herum und konnte beobachten, wie alle Bogenschützen außer ihm, ihre Pfeile auf eine, circa einen Meter große, Raubkatze abfeuerten, die in Windeseile zwischen die Nahkämpfer geprescht war.
Die Pfeile trafen ihr Ziel. Allerdings nicht schnell genug.
Die Kreatur hatte bereits zwei Schwertkämpfer mit ihren Krallen zerfleischt, ehe sie im Sprung zum dritten Spieler endlich zu Boden gestreckt wurde.
Die beiden Spieler hatten nicht mal mehr laut aufschreien können, ehe ihre HP auf 0 gefallen waren. Bahe nahm an, dass sie außerhalb der Festung sofort wiederbelebt worden waren, da sich ihre Körper nahezu augenblicklich dematerialisierten. Der kurze Augenblick jedoch, in denen die Gedärme aus ihren aufgeschlitzten Leibern quollen, hatte genug Schaden angerichtet. Fast alle übrigen Spieler waren kreidebleich geworden. Hier und da übergaben sich sogar Einige.
Unter anderem auch diese Geniella, die ihm erst den ganzen Mist mit der Verfolgungsjagd eingebrockt hatte und anschließend einen auf gute Freunde machte.
Wäre er in diesem Tutorial nicht auf die Hilfe der anderen Spieler angewiesen gewesen, hätte sie sich ihr dämliches tut mir leid sonst wohin stecken können! Von daher musste Bahe sich eher anstrengen, sich seine Belustigung über ihre missliche Lage nicht anmerken zu lassen.
Die Raubkatze war nur leider zu schnell verstorben. Da er mit seinem Pfeil gezögert hatte, konnte er keine Erfahrungspunkte mehr mit abstauben. War es ein Luchs?
Er kam aber nicht mehr dazu die Kreatur zu überprüfen, da er im Gegensatz zu den Anderen ein Geräusch hinter sich bemerkte. Die meisten anderen Spieler waren letztlich so sehr von den Auswirkungen des kurzen wie heftigen Angriffs gebannt, dass sie die nächste Attacke zu spät bemerkten.
„Vorsicht!“, hörte Bahe die Kreatur auf der gegenüberliegenden Seite kommen und wollte die Nahkämpfer noch warnen, da wurden diese aber auch schon von einem grölenden Bären durch die Gegend geschleudert.
Schmerzensschreie folgten und rissen endlich die anderen Spieler aus ihrem Schock. Die Bogenschützen legten an und feuerten ihre Pfeile ab, während sich die Nachkämpfer dem Bären entgegenwarfen.
„Was macht ihr denn da?!“, regte sich Bahe lauthals auf, wurde aber nicht erhört.
Wie blindwütige Berserker versuchten die Schwertkämpfer auf den Bären einzuhacken, nur um durch ein paar schnelle Prankenhiebe unter Schmerzensschreien zurückzuweichen. Die Pfeile waren diesmal, dank der eingeschüchterten Spieler, weit weniger zielgenau. Ein Schütze zu Bahes Linken, traf sogar einen der Nahkämpfer der bereits am Boden lag.
„Ah…“, erschrak der Schütze über seinen fehlerhaften Schuss, bevor der Nahkämpfer im hellen Licht erstrahlte und sich sein Körper dematerialisierte.
Wieder einer weniger, dachte Bahe nur. Wenn es so weiter ginge, würden sie nicht mehr lange überleben.
Du hast gemeinsam mit anderen Spielern einen gewöhnlichen Bären erlegt.
Exp +1
Zehn Pfeile und fünfzehn Schwerthiebe später, fiel der Bär endlich. Doch ihre Verluste waren desaströs.
Fast alle Nahkämpfer waren schwer verletzt und konnten sich kaum noch zur Wehr setzen, bis sie ihre Verletzungen heilten, oder sich ihre HP-Werte erholten. Doch bis auf Bahe schien keiner der Anwesenden auch nur einen Gedanken an heilende Bandagen oder gar Tränke verschwendet zu haben.
So konnte Bahe nur zusehen, wie zwei Schwertkämpfer verbluteten und sich dematerialisierten, ehe das nächste Monster überhaupt auftauchte.
„Hey Anael, hast du nicht noch ein paar Verbände, damit wir uns heilen können?“, fragte einer der Nahkämpfer als er die Auswirkungen der unbehandelten Wunden mit eigenen Augen beobachtete.
„Nein“, antwortete Bahe knapp und fing sich prompt die ungnädigen Blicke der Umstehenden ein.
Pah, er dachte ja gar nicht daran, seine selbst gekauften Verbände rauszurücken, nur um irgendwelchen Spielanfängern einen kleinen Aufschub in diesem Tutorial zu gewähren! Hatten diese Idioten eigentlich eine Ahnung wie teuer die Dinger waren?!
„Passt auf!“, rief plötzlich Geniella und zeigte auf ein weiteres Raubtier, das plötzlich aus den Gängen schoss und hinter einem Festungsverschlag verschwand.
„Verdammt! Ich kann es nicht sehen!“
„Ich auch nicht!“
Hatte Bahe richtig gesehen? Ein Vielfraß? Aber die Kreatur war mindestens eineinhalb Meter groß!
„Da ist das Viech!“, rief einer der Nahkämpfer und deutete auf einen dunklen Schatten, der sich intelligent zwischen den halbzertrümmerten Mauern hin und her bewegte.
Pfeile flogen, trafen jedoch nur steinerne Mauern.
Bahe schwante Böses… diese Kreatur war definitiv anders als ihre Vorgänger.
„Überprüfen!“, murmelte er schnell den Befehl, als der Vielfraß das nächste Mal durch sein Blickfeld schoss.