Bahe war nur zu froh gewesen vom Frühstückstisch verschwinden zu können. Seine Mutter hatte definitiv viel zu gute Laune für eine Frau, die noch vor kurzem vor dem Tode stand. Das seine Großmutter bei dem Thema um Huilan mitmachen musste, hatte dem Ganzen dann die Krone aufgesetzt.
Das sie auch immer gleich davon ausgingen, dass er anderweitige Interessen an einem Mädchen hatte, sobald er sich mal mit einem traf…
Frauen…
Vermutlich konnte der Weltuntergang gerade im vollen Gange sein und sie würden trotzdem noch jede Information über sein Liebesleben aus ihm heraus quetschen wollen…
Bahe schüttelte den Kopf. Als ob es in den letzten Monaten überhaupt etwas über sein Liebesleben zu berichten gegeben hätte… Er war so voller Sorgen gewesen, dass kaum einen Gedanken an das andere Geschlecht verschwendet hatte.
Zuletzt war es im Grunde genommen während seiner Schulzeit gewesen. Mit Feiying hatte er oft über die Größe bestimmter Körperregionen herum gealbert, nur um meistens böse Blicke der weiblichen Schülerschaft zu ernten, wenn sie mal wieder nicht diskret genug gewesen waren.
An die Erinnerung musste Bahe grinsen. Vollkommen unschuldig war er keinesfalls, manchmal hatten sich die Mädels durchaus zu recht beschwert.
Wobei ihm da gerade ein Gedanke kam… Hatten seine Hände in Roaie nicht zuletzt noch etwas zu greifen gehabt?
Das Gefühl von warmer Weichheit war erstaunlich real gewesen…
Verdammt, dachte er. Beim nächsten Mal musste er solch einen Moment mehr auskosten. Nicht, dass er es drauf anlegen würde, aber wenn schon, dann richtig, nicht wahr?
Was diese Geniella wohl jetzt gerade machte?
Eigentlich war es ihm egal. Hübsch war sie auf jeden Fall gewesen, aber ihre Art andere Spieler auszunutzen gefiel ihm gar nicht.
Ohne es wirklich zu merken hob sich nach und nach seine Stimmung und so genervt Bahe sich auch auf den Weg gemacht hatte, mittlerweile war seine Gereiztheit wieder guter Laune gewichen.
Er betrat gerade das Parkgelände, wo er sich mit Huilan treffen sollte. Nach fünf Minuten Fußmarsch über einen der Wege, kam er am verabredeten Wasserspiel an.
Bahe war sechs Minuten zu früh dran, aber Huilan wartete bereits auf ihn. Beim näher kommen, konnte Bahe jetzt nicht anders als seine Trainerin noch einmal genau in Augenschein zu nehmen.
Ihre vierzehn Jahre ließen ihre weiblichen Reize nicht unbedingt hervorstechen, aber sie waren durchaus vorhanden. Sie war definitiv eher der athletische Typ. Schlank, aber nicht dürr. Die eng anliegende Jacke ließ die kleinen Rundungen ihrer Brüste erkennen, die zu ihrer Figur passten. Über ihren Hintern, der in einer weiten Trainingshose steckte, konnte Bahe nur Vermutungen anstellen.
Doch es war ihr Gesicht, was ihn an meisten ansprach. Ihre dunkelbraunen Haare waren zu einer stylischen Kurzhaarfrisur frisiert, die im wilden Durcheinander abstanden und teilweise über die Stirn fielen. Zusammen mit ihren tiefbraunen Augen und den forschen, aber dennoch femininen Zügen, wirkte sie aufgeweckt und lebhaft. So ganz anders als die meisten chinesische Mädchen, die nur darauf bedacht waren ein perfektes Äußeres zur Schau zu tragen.
„Hallo Huilan“, begrüßte Bahe sie.
„Guten Morgen“, grüßte sie grinsend zurück und sagte gespielt bedrohlich: „Ich hoffe, du bist bereit, heute Höllenqualen zu erleiden.“
„Bitte habe Mitleid mit mir!“, flehte Bahe ebenso gespielt, was ihr ein Lachen entlockte.
„Ganz so einfach wird das aber nicht“, schüttelte sie den Kopf immer noch lächelnd, nur um daraufhin ernst zu werden. „Hast du die Liste mit Lebensmitteln dabei, um die ich dich gebeten habe?“
„Äh… ja“, antwortete Bahe und zog die Liste mit den Lebensmitteln, die sie zu Hause hatten, heraus.
„Gut“, nahm Huilan sie mit einem Nicken entgegen und fragte: „Und wie groß und schwer bist du?“
„Ich wiege circa 47kg.“
„Und die Größe?“
„1,62m…“, seufzte er deprimiert.
„Ok“, nickte sie als Zeichen ihres Verstehens und las aufmerksam die zusammen gestellte Liste der Lebensmittel.
„Alles klar“, meinte sie wenig später und sah ihn an. „Was weißt du alles über Training und Ernährung?“
„Nur das Übliche…“
„Und das wäre?“
„Man sollte sich ausgewogen ernähren und regelmäßig Sport treiben“, zuckte Bahe mit den Schultern.
„Und weiter?“
„Ähm… Bei der Ernährung sollte man darauf achten, dass ausreichend Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße aufgenommen werden und vor allem auch auf Vitamine und Mineralstoffe“, versuchte Bahe sein Glück.
„Und beim Sport?“, fragte Huilan unnachgiebig.
„Soweit ich weiß, sollte man nicht zu oft trainieren, höchstens dreimal die Woche oder so. Mehr weiß ich darüber nicht“, gestand Bahe.
„Ok“, nickte Huilan. „Für den Anfang war das gar nicht mal so schlecht. Aber du weißt schon, dass dein Gewicht nicht gerade gesund ist, oder?“
„Sicher, nur habe ich vor ein paar Wochen regelmäßig einige Mahlzeiten ausfallen lassen müssen, um für meine Familie Geld auftreiben zu können“, erklärte sich Bahe. „Mir war klar, dass ich das nicht ewig machen konnte.“
„Nicht ewig, du bist gut…“, schüttelte Huilan den Kopf. „Du bist extrem unterernährt, wenn ich mich nicht irre“, meinte sie ernst. „Die Mangelernährung ist vielleicht auch ein Grund dafür, weshalb du so klein bist, obwohl du ja europäischer Abstammung bist. Dabei ist das noch die kleinste… Nebenwirkung…“
Sie betonte das letzte Wort besonders stark, um ihn scheinbar auf den Ernst der Lage hinzuweisen.
„Was ich dir sagen will…“, setzte sie an und machte dann eine bedeutungsschwere Pause. „Wenn du so weiter gemacht hättest, wärst du wahrscheinlich in den nächsten Wochen zum ersten Mal zusammen gebrochen. Ein, zwei Mal hättest du das vielleicht noch überlebt. Aber danach hätte eine Anstrengung jederzeit tödlich enden können.“
Bahe brauchte einen Moment, um das Gesagte richtig verarbeiten zu können. Er war vollkommen baff.
„Ich…“, Bahe wusste gar nicht wie er darauf antworten sollte.
„Verstehst du jetzt, wie bedrohlich sich deine Mangelernährung auf dich ausgewirkt hat?“
„Ähm… ja… natürlich“, nickte Bahe aufgewühlt.
„Bevor wir mit deinem Training anfangen, werden wir dich deswegen erst mal wieder zu einem halbwegs unbedenklichen Gewicht bringen müssen“, erklärte Huilan. „Und da kommt jetzt spätestens die Ernährung ins Spiel.“
Soweit kam Bahe hinterher und nickte nur.
„Es gibt zwei grundsätzliche Regeln, die niemand wirklich brechen kann. Abnehmen kann man nur, wenn man weniger zu sich nimmt, als der Körper braucht und Zunehmen, indem man mehr, als der Körper braucht, zu sich nimmt“, stellte Huilan fest. „Im Großen und Ganzen kann man für jeden der beiden Prozesse sagen, dass neunzig Prozent die Ernährung ausmacht. Die anderen zehn Prozent sind dann der Sport, das Training, wie auch immer…“
„So viel?“, wunderte sich Bahe.
„Sicher, überlege doch nur mal. Was bringt es zu trainieren, wenn man direkt im Anschluss eine Pizza ist?“
„Nichts?“
„Nicht ganz“, sagte Huilan. „Das Training sorgt dafür, dass die Pizza relativ harmlos in deinem Körper abgebaut werden kann, ohne dass sich Fettpolster in deinem Körper anlegen. Es ist also nicht gänzlich umsonst. Aber auf der anderen Seite wird die Pizza deinen Körper nicht wirklich mit den Nährstoffen versorgen können, die er braucht. Vielmehr muss er sogar Energie aufwenden, um die Pizza zu verdauen und Muskeln können erst recht nicht aufgebaut werden.“
„Ok, wenn du es so formulierst“, musste Bahe ihr zustimmen.
„Deswegen wird es in nächster Zeit umso wichtiger sein, was du zu dir nimmst“, stellte Huilan klar. „Das Wichtigste ist, dass du zunächst ausreichende Mahlzeiten zu dir nimmst!“
„Keine Sorge, dass mache ich schon die letzten beiden Wochen wieder“, meinte Bahe und kratzte sich dann leicht verlegen den Kopf als er sagte: „Genau genommen habe ich schon ein Kilo zugenommen, seitdem ich wieder bei meiner Familie lebe.“
„Das ist überhaupt nicht schlimm!“, bekräftigte Huilan ihn. „Das ist vielmehr das Beste, was dir passieren konnte!“
„Na, dann…“, grinste Bahe.
„So gut es auch ist, ich habe mir deine Liste angesehen… und wir werden an einigen Dingen arbeiten müssen.“
„Was meinst du?“
„Es geht darum, was du wann zu dir nimmst“, sagte Huilan. „Gibt es bei euch regelmäßig traditionelles chinesisches Frühstück oder irgendwas Westliches?“
„Meine Großmutter macht immer chinesisches Frühstück.“
„Dann esse für die nächsten Wochen nur Congee. Ich will jetzt nicht total in die Details gehen. Das wäre für den Anfang zu viel. Aber kombiniere den Congee jeden Morgen mit etwas Obst und einer Hand voll Nüsse. Honig zum süßen ist erlaubt. Aber verzichte, wenn es irgendwie möglich ist, auf Wurst oder Käse.“
„Congee? Die nächsten Wochen?“, fragte Bahe, der davon alles andere als begeistert war, da er normalerweise gerne etwas Herzhaftes zum Frühstück aß.
Huilan nickte und hob hilflos die Hände: „Das ist der beste Ratschlag, den ich dir geben kann.
„Wenn du meinst…“, gab sich Bahe deprimiert geschlagen.
„Es ist wirklich lebenswichtig, dass du dich daran hältst. Dein Körper ist total angeschlagen, er kann so fettige Mahlzeiten am frühen Morgen noch nicht richtig verdauen. Warst du nicht total schläfrig als du in der Bahn unterwegs warst?“
Jetzt wo sie das sagte…
Bahe konnte sich noch genau daran erinnern, wie er bereits auf dem Weg zu U-Bahn zunehmend schlapper wurde. In der U-Bahn selbst, hatte er darum kämpfen müssen, wach zu bleiben. Sonst machte er nach dem Frühstück immer eine Verdauungspause… Oder er ließ das Frühstück komplett weg…
„Du hast recht“, stimmte er Huilan schließlich zu. „Soll ich auch für Mittags und Abends irgendwas beachten?“
Huilan schüttelte den Kopf: „Nicht so viel auf einmal, für den Anfang ist das in Ordnung. Sobald dein Gewicht die fünfzig Kilo Marke überschreitet, können wir mit deinem richtigen Training anfangen und dann wird es auch Vorgaben für die anderen Mahlzeiten geben.“
„Alles klar“, sagte Bahe.
„Ah, eins noch! Iss bloß kein FastFood!“
„Ok, das sollte ich hinkriegen“, meinte Bahe erleichtert, der schon mit Schlimmeren gerechnet hatte. „Aber andererseits heißt das Alles jetzt, dass ich quasi noch mit dem Training warten muss?“
„Hehe“, lachte Huilan auf einmal diabolisch. „Du kannst vielleicht noch nicht regulär trainieren, aber mach dir keine Illusionen. Auf dich warten Wochen voller harter Arbeit!“
Sofort fühlte Bahe sich unbehaglich. Irgendwas sagte ihm, dass diesmal nicht alles an Huilans Verhalten gespielt war.
„Und was meinst du damit…?“, fragte er zögerlich.
„Hmmm….“, zog sie ihre Antwort künstlich in die Länge, ehe sie fragte: „Wie steht es um deine Dehnbarkeit?“
Wieder ein sehr langer Teil! :-)
Teil 1/3!
RiBBoN
PS: Wer Fragen zur Ernährung oder Training hat, kann die gerne privat an mich stellen. In diesem Bereich kenne ich mich sehr gut aus. ;-)