Bahe wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Mauer zu und entdeckte wie die obere Hälfte plötzlich an zu wanken begann. Kurze Zeit später krachte der obere Teil nach vorne hinunter und sorgte für eine zweite Staubwolke, während Bahes Gedanken rasten.
Es war klar, dass er hier gerade einer Fähigkeit der Schwertkämpferklasse begegnet war und einer verdammt mächtigen noch dazu! Würde er diese Fähigkeit auch lernen?
Begeistert schaute er zu Tarat, welcher ihn selbstzufrieden angrinste.
„Nicht schlecht, was?“
Bahe nickte eifrig und fragte: „Was muss ich tun, um das auch zu können?“
„Haha“, lachte Tarat und schüttelte nur den Kopf. „Träum weiter, als ob so ein Zahnstocher wie du, einen solchen Schlag ausführen könnte.“
„Wieso denn nicht?“
„Darum ging es hier doch gar nicht“, ignorierte Tarat die Frage. „Es sollte dir vielmehr aufzeigen, wieso nicht jeder Mensch Magier werden möchte. Ist dir das klar geworden?“
„Weil Schwertkämpfer auch Fernkampfattacken erlernen können, die den Zaubern der Magier ebenbürtig sind?“, gab Bahe das Offensichtliche augenverdrehend von sich.
„Ganz genau. Wirst du gut genug in deiner Profession, ist es vollkommen egal, welche Richtung du eingeschlagen hast“, meinte Tarat ernsthaft. „Egal, ob Bogenschütze, Schwertkämpfer, Schmied oder Bauer. Sie alle haben die Möglichkeit Techniken zu erlernen, die es ihnen ermöglichen, den Kampf gegen einen Magier zu gewinnen.
„Das verstehe ich ja, aber was muss ich können, um diese Technik zu erlernen?“
„Du lässt auch nicht locker, was?“
„Ja, was erwartest du denn nach dieser Darbietung von gerade eben?“
„Hehe, ich wusste, dass meine Ausstrahlung etwas besonderes ist“, fühlte Tarat sich bestätigt und hakte die Hände in seinen Schwertgürtel ein. „Aber so einfach ist es nicht. Du musst nämlich dein Mana perfekt beherrschen können. Kannst du das schon?“
„War ja klar…“, seufzte Bahe. „Nein, kann ich noch nicht.“
„Siehst du?“, zwinkerte Tarat ihm zu. „Außerdem dürfte ich dir diese Technik nur dann beibringen, wenn du dich der Profession der Schwertkämpfer verschreibst.“
„Oh…“, verstand Bahe, dass es hier keinen Sinn machte nachzuhaken.
„Aber ich könnte sie dir noch ein paar Mal zeigen, rein zu eigenen Trainingszwecken, versteht sich“, zuckte Tarat die Schultern und grinste verschmitzt.
„In der Tat, dass könntest du. Du würdest mir ja auch absolut nichts beibringen“, bestätigte Bahe seinen Ausbilder.
„Allmählich verstehst, dass es keinen Sinn macht mir zuzuschauen.“
„Ganz genau, es ist einfach vollkommen sinnlos.“
„Na, wieso vertreiben wir uns dann mit diesem absolut sinnlosen Unterfangen nicht noch ein Bisschen die Zeit?“, stellte Tarat die Frage in den Raum und begab sich zurück zu der Steinformation am Ende der Halle.
Er verschwand erneut kurz hinter der Säule und wenig später erwachten plötzlich mehrere Steinformationen in der ganzen Halle zum Leben. Überall erhoben sich Mauern verschiedener Dicke auf magische Weise aus dem Boden und bildeten offensichtlich Ziele für Tarats Schwertkampftraining.
Die folgenden Minuten waren von dem Krachen und Zerbersten steinerner Mauern geprägt und erlaubten Bahe ein fürs andere Mal Tarats Technik zu beobachten.
Es war faszinierend.
Bei jedem Hieb löste sich dieses gräuliche Licht von Tarats Schwert und Bahe war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um Element geprägtes Mana handelte. Wenn er sich nicht irrte, dann nutzte Tarat das Element Luft, um seine Attacken schneller und wuchtiger werden zu lassen.
Es war kein Zauber, wie ihn die Magier ausführten. Zumindest soweit er das mit seiner geringen Erfahrung in Raoie bisher sagen konnte. Aber Tarat nutzte nichts desto trotz Mana, um eine Attacke über weite Entfernungen zu schmeißen, was eigentlich nicht möglich sein sollte.
Nach einer halben Stunde kam Tarat schwer atmend zu ihm zurück und sagte: „Boar, ich bin fix und fertig.“
Der Kommentar brachte Bahe zum Grinsen.
„Verbrauchst du bei dieser Technik Mana?“
„Ja“, nickte Tarat. „Aber es ist kein Zauber. Vielmehr nutzt man das eigene Mana, um die physischen Auswirkungen des Schlags zu verstärken.“
„Also, bringt Magieresistenz nichts dagegen?“
„Gut aufgepasst“, freute sich Tarat.
„Hmmm…“
„Aber so gut wie sie aussah, ist diese Technik gar nicht, Anael“, meinte Tarat und fragte erwartungsvoll: „Kannst du mir sagen, wieso?“
Bahe überlegte kurz und antwortete dann: „Dieser Hieb braucht Zeit in der Vorbereitung? In einem Kampf kommt es auf jede Sekunde an, aber hier hast du jedes Mal mehrere Sekunden still gestanden, ehe du ihn ausgeführt hast.“
„Sehr gut, hahaha!“, lachte Tarat los. „Das ist mein Schüler!“
„Ich habe doch gar nichts gesehen…“, zuckte Bahe nur die Schultern.
„Bwuahaha! Natürlich, natürlich, mein Schüler hat überhaupt nichts gesehen! Bwuahaha!“, grölte Tarat nach Bahes Kommentar nur noch lauter los.
„…“, Bahe schüttelte nur belustigt den Kopf. Wie konnte dieser Ausbilder bloß ständig so schnell zwischen seinen Verhaltensweisen wechseln?
„Aber jetzt mal ernsthaft“, meinte Tarat prompt, nachdem er sich beruhigt hatte. „Ich bin eine absolute Niete in der Ausführung dieser Technik. In einem Kampf kann ich solche Angriffe vergessen. Aber dennoch gibt es ihre Vorzüge. Denn im Gegensatz zu menschlichen Gegnern wissen Tiere und Monster nicht, mit was sie es zu tun haben und stürmen oft wie wild auf dich zu. Mit dieser Art von Attacken kannst du gefährlichen Kreaturen den ersten Schlag versetzen, ehe sie überhaupt an dich heran kommen und in seltenen Fällen, kann ein solcher Schlag den Kampf beenden, bevor er überhaupt begonnen hat. Damit meine ich nicht ausschließlich den Tod der gegnerischen Kreatur. Monster mögen weniger intelligent sein als Menschen, aber sie haben ein weit besseres Gespür für nahende Gefahr. Oftmals konnte ich mit einer solchen Attacke langen und ungewissen Kämpfen entgehen. Manchmal ist Bluffen besser als Durchhaltevermögen.“
„Da steckt so viel Wucht hinter jeder Attacke und du bist trotzdem noch eine Niete?“, fragte Bahe mit hochgezogenen Brauen.
„Na ja… Niete ist vielleicht übertrieben“, gab Tarat zu. „Aber für die Meister und Großmeister der Schwertkämpfer sind solche Attacken nicht schwerer als ein Fingerschnippen. Es geht eher darum, dass es ihnen möglich ist, solche Angriffe besser zu kontrollieren. Sie brauchen nur einen Sekundenbruchteil, um einen entsprechenden Schlag auszuführen und können ihn so auch in Kämpfen mit menschlichen Gegnern einsetzen.“
„Also… es ist kein magischer Angriff, oder?“, fragte Bahe nachdenkend.
„Nein.“
„Aber wie wehrt man sich dann dagegen?“
„Ah, jetzt verstehe ich“, meinte Tarat und erklärte: „Diese Angriffe sind mächtig, keine Frage. Aber letztlich kannst du sie mit deinem Schwert abblocken, mit der gleichen oder einer mächtigeren Attacke negieren oder du weichst aus. Natürlich hängt das alles auch von der Qualität deines Schwertes und deiner Verteidigung ab. Ablenken ist immer besser als blocken… Aber das führt jetzt zu weit. Du solltest froh sein, dass ich heute ein dringliches Bedürfnis verspürte, trainieren zu gehen…“
Zum Schluss beendete er seine Ausführungen mit einem Augenzwinkern.
Bahe seufzte.
Immer nur diese Teilerkenntnisse…
Aber zumindest hatte er heute eine Vorstellung von möglichen Techniken der Schwertkampfklasse bekommen. Noch dazu auf einem Niveau, welches die wenigsten Spieler wohl zu dieser Zeit vollbringen konnten.
Er besaß bereits eine legendäre Berufsklasse, was es schwierig machte Techniken anderer Berufsklassen zu erproben, ohne die eigene Berufsklasse aufgeben zu müssen. Wenn man noch eine Standard Berufsklasse besaß, war es kein Problem diese zu wechseln, um andere Klassen kennen lernen zu können und sich gegebenenfalls um zu entscheiden. Hier verlor man nichts. Aber sobald man eine Spezialisierung oder versteckte Berufsklasse entdeckte, würde man diese für immer verlieren, wenn man sich vorübergehend einer anderen Klasse zuwandte.
Bahe würde einen Teufel tun und seine legendäre Berufsklasse wegschmeißen, nur weil er auf Schwertkampftechniken neugierig geworden war. Er hatte von Anfang an eine magische Klasse wählen wollen, nur hätte er nie gedacht, dass diese legendäre Berufsklasse es ihm am Start so verdammt schwer machen würde…
„Wie dem auch sei“, riss Tarat ihn aus seinen Gedanken. „Du solltest jetzt wirklich nach oben gehen und an einer der Attrappen trainieren. Übe immer wieder den Oberhau und achte auf deine Beinarbeit. Führe Beides zusammen dreihundert Mal richtig aus und du kannst für die nächste Lektion zu mir kommen, verstanden?“
Quest [H]
Erfolgreiches Ausführen des Oberhaus
Der Ausbilder Tarat Derenir erwartet von dir 300 richtige Ausführungen des Oberhaus samt Beinarbeit an einer der Attrappen auf dem Ausbildungsgelände. [H]
Status: 0/300
„Klar“, bestätigte Bahe.
„Gut“, zeigte sich Tarat zufrieden. „Ich muss hier noch das Licht ausmachen, als geh ruhig schon vor. Und wer weiß… Vielleicht hat dir meine Demonstration ja doch die ein oder andere Einsicht beschert.“
Teil 1/2! :-)
RiBBoN