Teil 1
Ein Abenteurer liebt das Abenteuer. Doch ein Überlebender ist nur froh, überlebt zu haben.
Das ist der Unterschied zwischen ihnen.
Elodie
Adam. Schon seit Wochen drehte sich auf unserem idyllischen Hof hinter der windgeschützten Südseite der Hardrockberge alles nur noch um ihn. Mein bester Freund Jade, den ich schon seit dem Sandkastenalter kannte, hatte sich in der Gegenwart meiner Mom Shara über meinen Freund verplappert. Seitdem hing der Haussegen bei uns gründlich schief. Sie hatte den hübschen Jungen aus meiner Parallelklasse noch nie leiden können. Das konnte man ihr auch nicht verübeln: Schließlich wirkte Adam auf Menschen die ihn nicht kannten, wie ein Angeber. Ein Unruhestifter. Ein Rebell. Nur wen er an sich heranließ, erfuhr von dem Jungen, der er wirklich war und den er sorgfältig hinter seiner Maske verbarg. Ich liebte meine Mom. Seit mein Dad Taylor einen Vollzeitjob in Colorado, einem Bundesstaat in den USA, angenommen hatte, führte sie unseren großen Reiterhof weitgehend allein. Und das musste man ihr hoch anrechnen. Es war ein Knochenjob. Obwohl es oft hätte besser laufen können, ließ sie ihre schlechte Laune nie an uns aus. Noch nicht einmal hatte sie uns die Schuld für schlechte Zeiten gegeben, in denen das Geld knapp war oder nur wenig Reitstunden gebucht worden waren. Stets suchte sie nach ihren eigenen Fehlern. Mom war streng, aber in Ordnung. Doch sie hatte kein Recht, sich in meine Beziehung mit Adam einzumischen. Aber das tat sie. Und zwar mit allen Mitteln die ihr zur Verfügung standen. Jetzt, da sie wusste, wo ich die vielen Nachmittage und Abende verbracht hatte, setzte sie alles daran, dass ich nach der Schule nicht mehr von zu Hause wegkam. Klar hatte man auf einem Pferdehof immer viel zu tun und ich hatte auch schon früher hart mit angepackt. Doch seit sie von Adam und mir wusste, überschüttete sie mich mit schwierigen und langwierigen Arbeiten, die sonst immer meine ältere Schwester Suleika erledigt hatte. Natürlich konnte mir Mom nicht verbieten, mit Adam etwas in der Schule zu unternehmen, doch in den letzten Tagen war er krank gewesen, sodass wir uns schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen hatten. Re aDementsprechend schlecht gelaunt fuhr ich mit dem alten Omnibus über die holprigen Straßen der Hardrocks nach Hause. Seufzend parkte ich das alte Auto unter der prächtigen Eiche vor unserem Haus, schulterte meinen verhassten Schulrucksack, und ging durch den Hintereingang in die Küche. Mum saß am runden Esstisch, und putzte das Silberbesteck. „Hallo Schatz. Hattest du einen guten Tag in der Schule?", begrüßte sie mich erfreut. Ich murmelte ein paar undeutliche Sätze in ihre Richtung, während ich an ihr vorbei ging, um mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu nehmen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie sich zu mir umdrehte und mir einen prüfenden Blick zuwarf. „War Adam heute immer noch nicht da?", fragte sie. Obwohl sie die Anspannung in ihrer Stimme zu verstecken suchte, hörte ich sie deutlich heraus. „Nein, war er nicht", schnauzte ich genervt und gab unserer kleinen Babykatze Kitty etwas Futter in ihren Napf. Mum legte das Besteck auf den Tisch. „Nicht in diesem Ton, Fräulein!", ermahnte sie mich. Ich biss mir auf die Zunge, um ihr nicht eine weitere zickige Antwort zu geben und konzentrierte mich auf Kittys weiches Fell. Als ich keine Reaktion zeigte, stöhnte meine Mum. „Schatz, ich weiß du bist sauer, weil ich nicht will dass du mit diesem Jungen zusammen bist, aber du musst auch verstehen..." Mir platzte der Kragen. Wütend fuhr ich zu ihr herum. „Was muss ich verstehen? Das es einen Grund gibt, warum du mich von ihm fern hältst?" Ich holte tief Luft. Sie wollte etwas erwidern, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. „Mum, ich bin achtzehn und er ist mein erster Freund. Es ist ja nicht so, als hätte ich dauernd etwas mit irgendwem am Laufen gehabt. Im Gegensatz zu so manch anderem Mädchen. Am Wochenende treffen sich alle im Timonsbelle, auch Fiona und Drace. Ich bin die Einzige die nie dabei ist. Stattdessen bin ich hier, und helfe bei der Arbeit auf dem Hof, obwohl es dein Traum ist, nicht meiner. Ich bin erwachsen, verstehst du? Du hast kein Recht, mich von ihm fernzuhalten." Mum sah mich mit großen Augen an. Es kam nur selten vor, dass ich ihr so deutlich meine Meinung sagte. Aber wenn ich es doch tat, hasste ich mich irgendwie selbst ein bisschen. „Ich bin dir dankbar für Alles was du für unseren Hof tust, und das weißt du auch. Du bist erwachsen und das hast du auch schon allzu oft bewiesen. Ich war auch mal jung, ich wollte auch meine eigenen Erfahrungen machen. Aber du bist trotzdem mein kleines Mädchen und ich möchte nicht, dass du in schlechte Kreise gerätst", protestierte sie schließlich kopfschüttelnd. Ich schwang mich auf den Küchentresen, während ich dagegenhielt: „Ich bin eben nicht mehr dein kleines Mädchen. Du bist genau wie Dad, er versteht das auch nicht. Und ich gerate auch nicht in schlechte Kreise. Wenn du Adam besser kennen würdest, würdest du nicht so über ihn denken. Er ist lieb, nett und rücksichtsvoll. Es gibt überhaupt keinen Grund sich so zu sorgen." Mum hatte das Silberbesteck fertig geputzt, und räumte es nun sorgfältig in die Schublade zurück. „Glaubst du nicht, dass er dich nur benutzt? Sie können so charmant sein, und dennoch nur das Eine wollen...", gab sie zu Bedenken. Meine Wangen nahmen die Farbe eines dunklen Kirschrots an. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen. Ich hatte mich schon mehr als einmal gefragt, warum der beliebteste Junge der Schule ausgerechnet mit mir zusammen sein wollte. Meiner Meinung nach hatte ich nichts, was ich ihm bieten konnte. Ich trug weder einen Adelstitel, noch war ich reich, oder hochbegabt und meine beiden Schwestern Suleika und Faun waren viel schöner als ich. „Adam benutzt mich nicht!", fuhr ich sie ungehalten an. Mum sah mich lange an, und begegnete meinen vor Zorn funkensprühenden Augen mit bewundernswerter Gelassenheit. „Woher willst du das wissen?" Darauf wusste ich keine Antwort. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich rutschte vom Küchentresen herunter, schnappte meinen Rucksack und lief aus der Küche. „Häng bitte die Wäsche im Garten auf!", rief Mum mir hinterher. Genervt verdrehte ich die Augen, ging aber nach unten zur Waschmaschine. Mit einem lauten Knall ließ ich die Kellertür ins Schloss fallen. Mit dem vollbeladenen Wäschekorb in den Händen stieg ich die Treppe zu unserem privaten Nutzgarten hoch. Hinten hatte Mum eine Obstbaumplantage angelegt, davor lagen einige ungepflegte Gemüsebeete, während über dem viel zu hohen Rasen einige Wäscheleinen gespannt waren. Es war ein fruchtbares Fleckchen Erde, aus dem man etwas Schönes hätte machen können, doch wegen der Arbeit die wir mit dem Rest des Hofes hatten, kamen wir nur selten dazu den Nutzgarten zu pflegen. Mitgenommen von dem Streit über Adam, begann ich die Wäsche aufzuhängen. Plötzlich hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich wandte mich um. Suleika rannte auf mich zu. Als sie näher kam, erstarrte ich und ließ das Wäscheteil erschrocken zu Boden fallen. Ihre Klamotten hingen ihr in Fetzen vom Leib. Ihre Arme und Beine waren mit Schrammen und oberflächliche Wunden übersät und eine blutende Platzwunde entstellte ihre Stirn. „Elodie! Lauf! Lauf, und schau nicht zurück!", schrie sie. Ihre Stimme überschlug sich. Noch nie hatte ich sie so panisch erlebt. „Was ist passiert?", wollte ich alarmiert wissen, unfähig mich aus meiner Erstarrung zu lösen. „Sie sind über die Hardrocks gekommen! Wir müssen von hier verschwinden!" Sie hatte mich erreicht, packte meinen Arm und zog mich mit sich, ohne anzuhalten. Ich stolperte über einen Stein, und wäre fast gestürzt, wenn sie mich nicht festgehalten hätte. „Wer ist gekommen?", fragte ich verwirrt, während wir auf die Obstbäume zuliefen. „Ich weiß nicht", keuchte sie atemlos. „Du weißt es nicht?", hakte ich verständnislos nach. Wir hatten die Baumgrenze erreicht und bahnten uns einen Weg zwischen den dicken Stämmen hindurch. „Riesige Spinnen. Mindestens zwei Meter groß! Sie sind über uns hergefallen, und haben die Reitschüler angegriffen! Ich habe überall auf dem Hof gesucht, aber ich konnte Mum und Faun nirgends finden. Wir müssen hier weg!", erklärte sie, nachdem wir etwas langsamer werden mussten, weil das Gelände immer unebener wurde. Mir entfuhr ein heiseres Kichern und ich blieb abrupt stehen. Suleika verlor das Gleichgewicht und fiel hin. „Oh Suleika! Fast hätte ich dir abgekauft, dass etwas wirklich Schlimmes passiert ist! Wie hast du die Verletzungen so gut hinbekommen? Sie sehen täuschend echt aus! Aber Riesenspinnen? Ernsthaft? Da musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen!" Ich stemmte die Hände in die Hüften, und konnte mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Schallend tönte es über die Plantage. „Elodie, sei still! Du lockst sie an, sie werden kommen und uns holen!", rief Suleika panisch, während sie sich hastig aufrappelte. Ich lachte so sehr, das mir die Tränen über die Wangen liefen und mein Bauch anfing zu schmerzen. „Ich mache keine Witze!", versuchte mich Suleika weiter zu überzeugen. Immer noch grinsend ließ ich sie kopfschüttelnd hinter mir und ging zurück zu den Wäscheleinen. Obwohl sie meinen Namen rief, kam sie mir nicht nach. Ich hörte auf zu lächeln. Langsam fand ich es nicht mehr witzig. Warum hörte sie nicht damit auf? Sie war ja schon immer ein Spaßvogel gewesen und besaß einen Humor mit dem sich nicht jeder anfreunden konnte, aber sonst hatte sie eigentlich immer gewusst, wo die Grenzen waren. Ich hatte das Ende der Obstbaumplantage schon fast erreicht, als ich den Schrei meiner Schwester hörte. Laut, schrill, erfüllt von unerträglichem Schmerz und Todesangst. Ich wirbelte herum und sah die Bestie. Sie war riesig. Wie Suleika gesagt hatte, mindestens zwei Meter groß. Ihr Körper wurde durch einen festen Panzer aus einem eigenartig glänzenden Material geschützt, dass in der Sonne wie Metall glänzte. Ein großer Kopf, mit rabenschwarzen Augen und spitzen Hauern versank fast im Rumpf des harten Schutzpanzers. Aus dem Bauch der Spinne wuchsen acht dicke Beine, mit vier deutlich sichtbaren Knüppelgelenken. Mein Mund öffnete sich zu einem stillen Schrei. Die Spinne hatte Suleika gegen einen Baum gedrängt und warf sie mit ihren Vorderbeinen zu Boden. Mein erster Gedanke war, wegzurennen. Doch meine Schwester lag da zwischen den Bäumen, der Bestie hilflos ausgeliefert. Ich konnte sie nicht einfach zurücklassen. Zögernd setzte ich mich in Bewegung und näherte mich dem kämpfenden Paar. Die Spinne wickelte Suleika nun langsam mit einem schwarzen Netz ein, sodass sie ihre Beine nicht mehr bewegen konnte. Ich war kaum noch in der Lage, mich auf den Beinen zu halten. Meine Knie zitterten wie Espenlaub und ich kam nur im Zeitlupentempo vorwärts. Trotzdem trieb ich mich zur Eile an. Auf halben Weg musste mich Suleika bemerkt haben, denn sie schrie: „Lauf! Du hast keine Chance! Sie wird uns beide töten!" Dazu entschlossen nicht auf sie zu hören, lief ich einfach weiter. Doch dann wandte die Bestie mir ihren monströsen Kopf zu. Geifer lief in langen Fäden aus ihrem Maul heraus und tropfte auf die Erde. Ihre Hauer bewegten sich, als würde sie etwas sagen. „Renn! Wenn du mich liebst, dann renn!", schrie Suleika. Ich wurde von meiner Schwester abgelenkt, als sich uns eine weitere Spinne näherte. Sie bewegte sich beinahe geschmeidig. Obwohl sie etwas kleiner war als die andere Bestie, wirkte sie breiter und muskulöser. Sie hatte ein schneeweißes Fell, das mit kleinen braunen Tupfen durchsetzt war. Ihre Hauer reichten bis zum Boden hinunter, und ihre Augen glänzten in einem milchigen Weiß. Sie wurde schneller, und während sie mir immer näher kam, schob sie sich vor meine Schwester, sodass ich sie nicht mehr sehen konnte. Erst da wurde mir klar, dass die Spinne es auf mich abgesehen hatte. Ich wirbelte herum und rannte los. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, Angst wurde von Adrenalin abgelöst, während ich immer schneller wurde. Ich ließ die Obstbaumplantage hinter mir, hetzte über die Gemüsebeete, trampelte achtlos die Pflanzen nieder und stürzte, als ich die Kellertreppe mit einem Satz hinuntersprang. Ich schlug mir das Knie auf. Blut floss aus der Wunde. Heiß lief es mir das Bein hinunter und durchnässte meine Jeans. Ich merkte es noch nicht mal richtig. Ich warf einen Blick zu der Bestie zurück. Sie hatte den Rand der Obstbaumplantage erreicht und hielt kurz inne, offenbar um sich zu orientieren. Möglichst leise zog ich die Kellertür hinter mir zu, hetzte die Stufen zur Küche hinauf und riss die Glastür auf. Der Raum war leer. „Mum?" Meine Stimme war nur ein Flüstern. Keine Antwort. Dabei war sie doch erst vor wenigen Minuten hier gewesen! Ich rannte durch das große Fachwerkhaus, suchte jeden Raum nach ihr und Faun ab, aber ich konnte sie nicht finden. Das Haus lag leer und verlassen da. Verzweifelt entfuhr mir ein Schluchzer. Da hörte ich, wie die Spinne mit einem ihrer Hauer das Wohnzimmerfenster zerschlug. Wieder erstarrte ich für einen Moment, bevor ich mich in Bewegung setzen konnte. Ich sprintete in mein Zimmer, riss den Wanderrucksack den ich letztes Jahr zum Geburtstag bekommen hatte aus dem Schrank und warf die erstbesten Klamotten, die ich in die Hand bekam, hinein. Unten hörte ich die Bestie die Zimmer absuchen. Es würde nicht lange dauern, bis sie mich gefunden haben würde. Zwar müsste sie sich erst die enge Wendeltreppe hoch quälen, aber mit ihren mächtigen Hauern konnte sie das Haus auch einfach zu Kleinholz verarbeiten. Ich musste hier weg! Als ich das Zimmer schon verlassen wollte, fiel mein Blick auf eines unserer seltenen Familienfotos. Ich stürzte zurück und ließ es im Rucksack verschwinden. Dann klappte ich die Holztreppe zum Dachboden herunter, öffnete die Klappe und lief über die knarrenden Dielen zu einem der Dachfenster. Unten verstummten die Geräusche. Dann setzte sich die Spinne wieder in Bewegung, schneller diesmal. Sie wusste wo ich war. Der Hebel ließ sich problemlos bewegen. Doch das Fenster klemmte. Es war schon lange nicht mehr geöffnet wurden. Mit einem kräftigen Hieb schlug ich es mit der Faust ein. Spitze Scherben fielen auf mich herab. Ich schirmte meinen Kopf mit den Armen ab, ehe ich an die Rahmen griff. Scherben schnitten in meine Handfläche hinein und blieben stecken. Ungeachtet dessen zog ich mich hoch, schwang ein Bein über den Sims und ergriff die Feuerleiter, die das Dach hinunter führte. Die letzten Sprossen ließ ich mich einfach hinunter fallen. Doch ich hatte mich in der Höhe verschätzt. Der Aufprall war hart, obwohl ich mich abrollte. Hastig rappelte ich mich auf, übersprang die niedrige Gartenmauer und lief auf einem schmalen Trampelpfad um unser Haus herum. Wenig später war ich auf dem öffentlich betriebenen Teil des Geländes. Ich huschte hinter die Weinblätter der Veranda. Von hier konnte ich den ganzen Hof überblicken. Er war von den Bestien vollständig zerstört worden. Der Reitstall und die Reithalle waren zusammengebrochen. Aus der Sattel- und Futterkammer quoll dichter Rauch. Auf den Feldern weiter hinten waren einzelner Feuer zu sehen. Aber alles war still und leer. Die Pferde hatten sich anscheinend befreien können. Weder Mum noch Faun waren zu sehen. Auch die von Suleika erwähnten Reitschüler schienen wie vom Erdboden verschluckt. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung war. Doch zu spät. Die weiße Spinne mit den braunen Tupfen und ihr Artgenosse mit dem metallischen Panzer kamen nebeneinander die Einfahrt hinunter. Ich duckte mich hinter eine besonders dichte Stelle der Weinblätter und machte mich so klein wie möglich. Zwischen den Ästen schaffte ich mir unauffällig ein kleines Guckloch, durch das ich die Bestien im Blick behielt. Obwohl sie direkt auf mich zukamen, wusste ich, dass sie mich nicht sahen. Etwas entfernt von meinem Versteck bleiben sie stehen. Der Widn drehte sich. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich menschliche Worte hörte. Sahen die Leute etwa die Bestien nicht? Erst als mein Blick auf die riesigen, sich bewegenden Hauer der Spinnen fiel, verstand ich, dass sich die Tiere miteinander unterhielten. Leise würgend übergab ich mich ins Gebüsch. Der widerliche Gestank stieg mir unangenehm in die Nase. Ich hoffte, dass die Spinnen ihn nicht riechen würden. Doch ich konnte unbesorgt sein, denn die Bestien waren voll auf ihr Gespräch konzentriert. Als ich genau hinhörte, konnte ich sie sogar verstehen. Sie sprachen gebrochenes Englisch, mit einem deutlichen französischen Akzent. Manchmal verschwammen die Worte zu eigenartigen Aqualauten. Ich vermutete, dass sich so ihre Muttersprache anhörte. „Wir werden das geflohene Menschenmädchen nicht mehr finden. Sicher ist sie längst über alle Berge", hörte ich die Bestie mit dem weißen Fell sagen. Die Spinne mit dem merkwürdig metallenen Panzer nickte zustimmend. Es war eine langsame und schwerfällige Bewegung. „Dann schaffen wir die Anderen jetzt nach Talaisya?", hakte die weiße Bestie nach. „Ja. Falls wir das Menschenmädchen noch finden, können wir sie fressen", schlug die Schwarze vor. Der Körper der anderen Spinne bebte vor Lachen. „Du weißt, dass Tarantal alle Menschen braucht. Ich halte ihre Idee allerdings für unmöglich." Ich hatte keine Ahnung, was genau damit gemeint war. Doch das andere Tier schien zu verstehen. „Das kannst du laut sagen. Außerdem muss Tarantal ja nicht wissen, dass wir uns nicht nur von Tieren ernähren. Ich habe so einen Hunger. Bestimmt schmeckt ihr Fleisch sehr gut. Das Blut des alten Jägers heute Nacht hatte irgendwie einen ekligen Beigeschmack", antwortete es. Wieder konnte ich den Brechreiz nicht ignorieren und übergab mich erneut. Während die Bestien sich langsam über die brennenden Felder von mir entfernten, atmete ich erleichtert auf. Doch dann stockte ich kurz. Suleika hatte gesagt, die Tiere wären über die Berge gekommen. Direkt dahinter lag unser Hof. Nur einige Kilometer von uns entfernt lebte Jade in einer wackeligen Wellblechhütte. Und nahezu direkt dahinter befand sich das Dorf. Die Felder führten direkt darauf zu. Mein Herz setzte für drei Schläge aus. Oh Schreck! Adam! Jade! Ich sprang auf, rannte zurück über den Trampelpfad an unserem Haus vorbei und sprang in den Omnibus. Der alte Motor protestierte knatternd. Oh nein, bitte nicht jetzt! Als er endlich ansprang, trat ich aufs Gaspedal und raste in halsbrecherischem Tempo los. Ungeachtet der zahlreichen Naturschutzgesetze nahm ich die Abkürzung durch den Wald. Außerdem würden die dicht stehenden Bäume mich vor den Augen der Bestien verbergen. Kurz darauf war ich bei Jades Wellblechhütte. Er kam mir rennend entgegen. Offensichtlich hatte er in den Feldern gearbeitet und hatte die Riesenspinnen bemerkt. Ich fuhr ihm soweit es ging entgegen. Er riss die Tür auf. Noch ehe er sie geschlossen hatte, gab ich erneut Gas. „Wir müssen Adam holen", erklärte ich. Meine Stimme klang heiser. Schrill. Panisch. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst gehabt. Vor wenigen Minuten war noch alles normal gewesen. Ich hatte mich über Mum geärgert und Adam vermisst. Nun hatten die Bestien sie in ihrer Gewalt und ich wusste nicht, ob ich sie jemals wieder sehen würde. Ich hatte Suleika verraten. Hatte sie mit der Bestie zurück gelassen und lieber meine eigene Haut gerettet. Doch noch war die Gefahr nicht gebannt. Adam war dem Tod geweiht, wenn wir ihn nicht vor den Tieren erreichten. Mit jeder Sekunde die verging, konnte es für ihn für immer zu spät sein. Ich trat das Gaspedal vollends herunter, doch der Wagen konnte nicht noch mehr beschleunigen.
Ende von Kapitel 1