Ich stand auf einem kleinen Hügel in mitten einer Weide. Der Himmel zog sich wie ein blaues Schleifenband über meinen Kopf hinweg. Die kleinen Wölkchen, die ihn zierten, wirkten so fluffig wie Zuckerwatte. Die Sonne schien auf mich herab, tauchte alles in ein goldenes Licht und hinterließ ein warmes prickelndes Gefühl auf meinen Armen. Ich blickte mich um. Weit und breit nur das Grün der Weide, wohin ich mich auch drehte. Unter meinen nackten Füßen spürte ich, wie sich die saftig grünen Grashalme an meinen Zehen vorbei schlängeln wollten, um sich auch im warmen Schein der Frühlingssonne zu baden. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und streckte mein Gesicht gen Himmel. Zu lange hatte ich den kalten Winter und den ständig grauen Himmel ertragen müssen. Die Sonne tat mir gut. Sie entspannte meine Glieder und mir entfloh ein wohliger Seufzer. Eine leichte Brise durchstreifte meine Haare und kitzelte an meiner Nasenspitze. Sie roch nach Blumen. Ich konnte nicht genau sagen, nach welcher Art. Es war auch weniger eine einzelne Blume, sondern vielmehr ein bunter Blumenstrauß, der seinen Duft verbreitete.
Neben mir erklang das Wiehern eines Pferdes. Obwohl es so plötzlich und unerwartet kam, fiel es in vollkommene Harmonie mit all den anderen Geräuschen um mich herum. Langsam öffnete ich meine Lieder und drehte mich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Vor mir stand ein großes weißes Pferd und schaute mir direkt ins Gesicht. Ich erschrak ein klein wenig, doch nur, um im nächsten Moment belustigt aufzulachen. Durch seine rosafarbenen Nüstern stieß es mir heiße feuchte Luft entgegen. Immer in demselben Rhythmus. Dabei bliesen sich seine Nasenflügel, wenn man das bei Pferden auch so nannte, auf und sanken wieder ab. Ich hatte noch nie einem Pferd so nah gestanden, geschweige denn überhaupt eins außerhalb meines Fernsehers gesehen. Das Ganze war solch ein süßer Anblick, dass ich gar nicht anders konnte, als zu lachen. Es musterte mich mit seinen kleinen dunklen Augen und ich starrte zurück.
Da schwang sich ein junger Mann hinab und landete elegant auf dem Boden. Er trug eine dunkelrote Hose, die mich etwas an eine Art Pumphose erinnerte. Dazu strahlend weiße Kniestrümpfe und braunrötliche Schuhe. Mein Blick wanderte weiter hinauf. Unter seiner eng taillierten Jacke, welche in derselben Farbe wie seine Hose war, trug er ein dünnes Leinenhemd, welches sich nur vorteilhaft an seine Brust schmiegte. Sein ganzer Körperbau wirkte muskulös und nett anzusehen. Seine dunklen Locken hatte er unter einer etwas merkwürdig aussehenden roten Mütze gebändigt und in seinem graziösen Gesicht hatten sich vereinzelte Sommersprossen verirrt. Das breite charmante Grinsen, welches seine perfekten Zähne zum Vorschein brachte und bis zu seinen Augen reichte, hatte sich allerdings definitiv nicht verirrt. Es verzauberte mich und ließ meine Mundwinkel ebenfalls in die Höhe wandern.
Der Mann machte einen Schritt auf mich zu und verbeugte sich.
„My Lady!" sprach er und erhob dabei kurz seine Mütze von seinem Kopf.
Ich kannte diesen Mann nicht. Ich hatte ihn noch nie zuvor in meinem Leben gesehen und dennoch fühlte ich mich auf eine sonderbare Art und Weise zu ihm hingezogen. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust und drohte gleich auszubrechen und ihm entgegen zu springen.
„Hallo" entgegnete ich ihm.
Sehr charmant, dachte ich. Doch mir fiel einfach nichts besseres ein. Ich war immer noch wie hypnotisiert von seinem eleganten Auftritt.
„Wie ist Euer Name?" fragte er mich, griff nach meiner Hand und küsste sie.
Na hoppala, wie sprach er eigentlich? Die Männer heutzutage hatten gewohntermaßen leider ganz andere Sätze auf Lager. Doch dieser Mann war anders. Er war nicht im Ansatz vergleichbar mit allen Männern, denen ich sonst jemals in meinem Leben begegnet war.
Blut schoss in meinen Kopf und meine Wangen begannen zu glühen, weil er immer noch meine Hand auf seinen Fingern balancierte.
„Alyssa" antwortete ich mit stockenden Atem.
Er war so wunderschön, die Welt war plötzlich so wunderschön. Ich war selbst von mir überrascht. Solch ein Verhalten kannte ich von mir überhaupt nicht. Aber ich konnte an nichts anderes denken, als an seine leuchtenden Augen und meine Hand in seiner.
Er strahlte nun noch viel heller. „Welch ein wundervoller Name! Er ist wie ein leiser Windhauch, der liebevoll mein Herz umspielt."
Eigentlich hätten spätestens bei diesem Satz meine Alarmglocken gebimmelt und ich hätte so schnell wie möglich das Weite gesucht. Männer, die so reden, sind meistens keine, mit denen man ohne Gefahr auf einer verlassenen Weide sitzen konnte. Aber ich suchte nicht das Weite. Ich schmachtete ihn nur weiter an und konnte meine Augen nicht von ihm lassen. Er hatte mich verzaubert, in seinen magischen Bann gezogen.
„Wie ist denn Euer Name?" ich versuchte in derselben Sprache, wie der fremde Mann zu sprechen, aber aus meinem Mund klang es irgendwie seltsam. Bei ihm klang es normal, wie alltäglich gebraucht. Doch bei mir wirkte es eher unbeholfen und bedauernswert.
Aber er schien es gar nicht zu bemerken.
Er öffnete die Mund und ich konnte noch die Worte „Ich bin ..." verstehen, dann ließ ein ohrenbetäubend lautes Piepen mich zusammenzucken. Es war so schrill, dass meine Sicht verschwamm und ich in völlige Dunkelheit tauchte.
Im nächsten Atemzug saß ich senkrecht in meinem Bett und blickte auf den kleinen Digitalwecker auf meinem Nachtschränkchen. Er zeigte sechs Uhr in der Früh – Zeit aufzustehen.