Langsam wühlte ich mich aus meinem warmen, bequemen Bett. Ich wollte gar nicht aufstehen. Es war so kuschelig. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und meinen Traum von eben weiter geträumt. Nur zu gerne hätte ich gewusst, wie der geheimnisvolle perfekte Mann mit dem Pferd und der komischen Mütze hieß. Aber nein, mein Wecker hatte im richtigen Moment Alarm geschlagen. Gerade, als er mir von seinem Namen erzählen wollte. Dann hätte ich jetzt wenigstens einen Namen zum Anschmachten. Ich konnte ihn nur den geheimnisvollen Fremden nennen.
Hatte auch was aufregendes, dachte ich und schwang meine Beine über die Bettkante.
Meine Gedanken drehten sich immer noch um ihn und sein charmantes Lächeln, als ich ins Bad schlurfte und mich unter die Dusche stellte.
Nachdem ich mich gewaschen und in Schale geworfen hatte für meinen neuen Job, zog ich die Jalousie hoch und warf einen Blick aus dem Fenster. Es regnete, wie üblich. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wie die Hochhäuser, die ich von meinem Schlafzimmerfenster aus betrachten konnte in der Sonne glitzerten und sich kleine bauschige weiße Wolken an ihnen vorbei zwangen. Seit Wochen gab es nur einen Zustand: eine graue Wolkenfront, die ab und zu ihre Wassertank entleerte.
Ich sehnte mich nach ein bisschen Sonne und dem Gefühl, das sie mir in meinem Traum gegeben hatte.
Enttäuscht riss ich mich aus meinen Gedanken, wandte mich vom Fenster ab und schaute auf meine Uhr. Schon kurz nach sieben. Ich musste mich beeilen!
Ich kam völlig außer Atem in der Kanzlei an. Ich hatte die letzten paar Meter rennen müssen, um nicht zu spät zu kommen, was auf meinen High Heels gar nicht so einfach gewesen war. Aber ich wollte nicht an meinem dritten Tag schon einen schlechten Eindruck hinterlassen. Mein Chef verstand sowieso nur wenig Spaß, wie ich schon herausgefunden hatte.
Ich schlüpfte schnell auf meinen Stuhl hinter meinen Schreibtisch, da öffnete sich auch schon die Tür. Mr. Clover kam mit seinem typischen Gesichtsausdruck herein. Er hielt es nicht für nötig an zu klopfen. Seine Mundwinkel hingen schlapp in Richtung Boden und seine kleinen Schweinchen Augen hatte er zusammengepresst. Er starrte mich hinterhältig an, als würde er nur darauf warten, dass ich einen Fehler machte und er einen Grund hatte mich auf der Stelle wieder zu feuern.
„Mrs Roberts, ausgesprochen spät heute" näselte er in einem ruhigen aber lauernden Ton.
„Entschuldigen Sie vielmals, aber ich bin pünktlich. Meine Arbeitszeit beginnt genau in dieser Minute." Mir klopfte das Herz bis zum Hals.
„Ich erwarte von Ihnen völlige Konzentration auf ihre Aufgaben. Sie müssen sich voll und ganz der Arbeit hingeben. Verstehen Sie das?"
Ich nickte kleinlaut. Er verengte seinen Blick noch ein wenig mehr.
„Sie wissen, was mit Ihrer Vorgängerin geschah?" fragte er mich, immer noch halb in der Tür stehend. Seine Stimme wurde immer leiser, was sie nur umso bedrohlicher machte.
Wieder nickte ich und schluckte schwer. Ich wusste nicht die genauen Gründe, aber ich hatte gehört, dass Mr Clover, ein sehr bedeutender Anwalt hier in der Stadt, sie fristlos gekündigt hatte. Als sie damit vor Gericht ging, verlor sie bitterlich. Es hatte schon fast unmenschliche Folgen...
Ich brauchte diesen Job. Ich brauchte das Geld. Auch wenn die Arbeit vielleicht nicht so angenehm war, wurde ich als seine Sekretärin ordentlich bezahlt. Ich musste ja irgendwie über die Runden kommen. Ich war gerade von zuhause ausgezogen, konnte aber keine Unterstützung von meinen Eltern erwarten. Deshalb konnte ich es mir keinesfalls leisten Mr. Clover zu wiedersprechen.
„Aus diesem Grund erwarte ich außerdem von Ihnen, dass Sie besser sind als Ihre Vorgängerin." Diese Worte spukte er mir von seinem Platz in der Tür förmlich lauthals ins Geschicht.
Hinter ihm konnte ich einige Gesichter erkennen, die durch den plötzlichen Lärm neugierig ihre Hälse in unsere Richtung steckten.
„Sicher" versuchte ich mit fester Stimme zu antworten, aber sie zitterte merklich. Ich konnte noch nie gut damit umgehen, wenn jemand mich anschrie.
„Das bedeutet mehr Leistung, bessere Ergebnisse und vor allem pünktlichere Pünktlichkeit!"
Die letzten beiden Worte schrie er so laut, dass ich mir sicher war, dass die Menschen, welche sich zwei Stockwerke unter uns befanden, ihn sogar gehört haben mussten.
Ich zuckte zusammen und wurde immer kleiner auf meinem Drehstuhl. Am liebsten hätte ich ihn dem Rücken zu gedreht und angefangen zu heulen.
Alyssa, ermahnte ich mich, reiß dich zusammen und biete ihm die Stirn! Für eine standhafte Antwort reichte mein Mut noch nicht, aber wenigstens konnte ich meine Tränen im Zaum halten und halbwegs ruhig atmen. Ich schaffte es sogar ihm in seine kleinen fast pechschwarzen bösen Augen zu sehen, als ich abermals nickte.
„Wunderbar" er setzte ein falsches Lächeln auf und verließ mein Büro. Schnell zogen sich die neugierigen Köpfe zurück und versuchten fieberhaft den Schein zu bewahren, sie würden arbeiten, um nicht Mr. Clovers ungebändigten Zorn spüren bekommen zu müssen.
Die Tür fiel krachend ins Schloss. Kaum war ich wieder allein, flossen die Tränen meine Wangen hinunter. Es war nicht einfach für mich gewesen, wenn mich jemand angeschrien hatte. Das weckte die schlimmsten Erinnerungen meines Lebens, welche ich krampfhaft versuchte zu verdrängen. Die meiste Zeit gelang es mir recht gut, aber manchmal, in einer Situation wie dieser, kam alles wieder hoch, was damals geschehen war. Es war einfach nur... schrecklich.
Ja, am liebsten hätte ich sofort gekündigt. Aber hier konnte ich nun mal am meisten Geld verdienen, was ich dringend benötigte und weshalb ich alles daran setzen musste meine Job zu behalten.
Ich wischte mir über das verheulte Gesicht. Schnell kramte ich meinen kleinen Spiegel aus meiner Handtasche um mein Make-Up zu richten. Ich sah schon gar nicht mehr so schlimm aus. Meine verquollenen Augen würden sich auch gleich wieder beruhigen.
Ich startete den Computer. Auf dem Bildschirmschoner erschien eine hübsche Fotografie einer großen Wiese, die mich sofort an meinen Traum von letzter Nacht denken ließ. Das wiederum führte zu dem geheimnisvollen Fremden mit den schönen Augen. Bei dem Gedanken an ihn wurde mir warm ums Herz. Er schaffte es sogar trotz meines Verlangen mich heulend unterm Tisch zu verkriechen, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Egal was ich machte, egal welche Seite ich öffnete, irgendwas erinnerte mich immer wieder an den geheimnisvollen Fremden aus meinem Traum. Gedankenverloren fertigte ich kleine Skizzen von ihm auf meiner Schreibtischunterlage an oder starrte in die Luft, im Kopf bei ihm.
Hätte ich doch nur gewusst, wie er hieß...