„Huh.“ Mit einem Sturz landete ich mitten in einer widerlichen Pfütze. „Igitt.“
Kurt fiel auf mich.
„Au!“, rief ich.
„Oh, tut mir leid. Habe ich dich verletzt?“
„Nur ein unbedeutender Kratzer.“ Ich sah mich um. Wir befanden uns mitten in einer Pfütze. Um uns herum war nur Matsch und Schlamm.
„Dies muss das Land der Stinkstiefel sein“, sagte ich. „Wir sind da.“
„Ja“, sagte Kurt und blickte sich mit grimmiger Miene um. „Aber jetzt müssen wir erst mal herausfinden, wo die Goldene Klobürste ist.“ Er stand auf, schüttelte notdürftig Regenwasser ab und reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. „Dann sehen wir uns mal um, ob hier irgendwo so was rumliegt.“
„Pass auf, Kurt“, warnte ich. „Das Reich der Stinkstiefel ist voller Gefahren.“
„Ja, ja. Hat dein sexy Schicksal irgendwelche Hinweise gegeben, wo wir hier suchen müssen?“
„Nein.“ Erstmals wurde mir bewusst, dass der Baum nur von dem Weg ins Reich der Stinkstiefel gesprochen hatte, aber nie davon, wie es in dem Reich weiterging.
„Er hat mir dies hier gegeben“, sagte ich plötzlich und zog den Gegenstand hervor, den Schicksal mir damals vor über vier Monaten im zeckenüberfluteten Wald gegeben hatte.
„Was ist das?“, fragte Kurt. „Gift?“
„Parfüm.“
Kurt prustete los. „Und das soll uns jetzt helfen?“
„Ich bin sicher, dass Schicksal mir keinen sinnlosen Rat gegeben hat.“
„Nein, er hat uns ja auch sonst so unheimlich toll geholfen“, murmelte Kurt missmutig vor sich hin.
„Kurt, bitte!“, flehte ich.
Er hob ergeben die Hände. „Schon gut, schon gut, er ist sexy und geheimnisvoll, also hat er recht.“
„Sieh mal“, sagte ich. „Was ist das?“ Ein paar Meter vor uns hüpften seltsam geformte Gegenstände durch die Luft.
„Sieht aus wie Stiefel“, stellte Kurt stirnrunzelnd fest. „Komm, wir gehen mal näher.“
„Kurt, pass auf!“, schrie ich noch, aber es war schon zu spät – Kurt fiel mitten in einen Sumpf und innerhalb von zwei Sekunden lugte nur noch sein Kopf hervor.
„Kurt!“, schrie ich und rannte zu ihm. Ich griff mit der Hand nach seinem Kinn und versuchte ihn rauszuziehen, aber es gelang mir nicht. Immerhin erreichte ich, dass er nicht weiter einsank. „Kurt, halte durch! Ich hole Hilfe!“ Doch ich konnte ihn nicht verlassen. Wenn ich ihn losließ, würde er ganz einsinken. Ich war verzweifelt. Ich konnte doch nicht ohne Kurt weiter, er war mein bester Freund, der sich vollkommen selbstlos für mich aufopferte, obwohl er wusste, dass er nie eine Chance bei mir haben würde, und davon abgesehen war ich ohne ihn aufgeschmissen. Sollte unser Weg nun, da wir das Reich der Stinkstiefel gefunden hatten, zu Ende gehen? So kurz vor dem Ziel?
„Kann ich helfen?“, fragte eine Stimme an meinem Ohr. Ich sah überrascht auf. Vor mir schwebte einer der Stiefel und von ihm kam die Stimme!
Ich schrie erschrocken auf und ließ Kurt los, der bis fast zum Haaransatz in den Sumpf hineinrutschte.
„Oh nein, verflucht!“, rief ich und versuchte ihn wieder rauszuziehen. „Verdammte, verquirlte Scheiße!“ Ich war so verzweifelt, dass ich sogar Schicksals Anweisung, nicht zu fluchen, vergaß. „Kurt!“
„Vielleicht versuchst du’s mal damit“, riet mir der Stiefel. Über seinem Ende, dort, wo normalerweise die Zehen drinstecken, hing ein Seil. Ich wusste nicht, wo es herkam und wieso mir der Stiefel half, aber ich ergriff das Seil, band es um Kurts Ohr und fing an zu ziehen. Langsam wurden seine Augen sichtbar, aber ich schaffte es nicht, ihn ganz herauszuziehen, er war zu schwer.
„Warte mal“, sprach der Stiefel. „Lass mich mal.“ Mehrere Stiefel kamen heran und stellten sich an verschiedenen Enden unter das Seil. Dann schwebten sie nach oben. Und mit ihnen kam Kurt aus dem Sumpf heraus. Er war dreckig, bis zur Unkenntlichkeit verschmutzt und er roch, aber er lebte.
„Oh Kurt!“, rief ich, als die Stiefel ihn auf einen Stein absetzten, und fiel ihm um seinen schmutzigen Hals. „Du lebst!“
„Wasser!“, stöhnte er. Er spuckte mir Schlamm ins Gesicht. „Pfui Teufel, ist das widerlich!“
Ich wandte mich an die Stiefel, die immer noch um uns herumschwebten. „Ihr Stiefel, ich danke euch! Ich weiß nicht, wer ihr seid und wieso ihr hier seid noch woher ihr kommt, doch ihr habt meinem Freund das Leben gerettet. Ich stehe tief in eurer Schuld.“
„Bist du die zukünftige Elfenprinzessin oder Königin oder so was?“, fragte einer der Stiefel.
„Ja“, antwortete ich verblüfft. „Woher weißt du das?“
„Ich habe einen Brief bekommen von einem Elfen. Er sagte, du würdest kommen.“ Er sah zu Kurt. „Doch von deinem Begleiter hat er nichts gesagt.“
„Ihr kennt Schicksal?“, rief ich.
„Keine Ahnung, wie er heißt. Der Brief war ziemliches Gelaber, und wir hatten nicht mehr wirklich dran geglaubt, dass er ernst gemeint war.“
„Er ist mein Verlobter“, erzählte ich ihnen glücklich. Mein Herz schlug höher, nun, da ich von ihm hörte. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn vermisste.
„Wisst ihr vielleicht, wo die Goldene Klobürste ist?“, fragte Kurt, während er versuchte, den Dreck abzureiben.
„Oh, die Goldene Klobürste. Niemand von uns hat sie je gesehen, doch einer Legende zufolge heißt es, dass sie unweit von hier in den Kloaken des Grunzimonos liegt und darauf wartet, an ihren rechtmäßigen Ort zurückgebracht zu werden.“
„Die Kloaken des Grunzimonos?“, fragte ich. „Wo sind sie?“
„Wenn du von hier aus drei Meilen nach Süden, dann vier Meilen nach Westen wanderst, wirst du sie sehen.“
„Ich danke euch!“, rief ich überschwänglich.
„Ich nehme an, ihr seid die Stinkstiefel?“, fragte Kurt. „Faszinierend.“
„Ihr mögt uns Stinkstiefel nennen, wir selbst bezeichnen uns mit dem Namen Schlaue Schuhe.“
„Oh, ihr holden Stinkstiefel“, sprach ich. „Ihr habt uns sehr weitergeholfen. Wenn wir zurückkommen werden und ich Elfenkönigin bin, werde ich an euch denken und euch eure Güte tausendfach zurückzahlen. Doch nun müssen wir weiterziehen.“
„Nehmt das Seil mit“, meinte einer.
Ich umarmte alle Stinkstiefel und dann machten wir uns auf zum nächsten Ziel unserer Reise: der Kloake des Grunzimonos.
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Nun erwies sich der Kompass, den uns Berthold gegeben hatte, als unsere Rettung, denn so war es ein Leichtes herauszufinden, wo Süden und wo Westen war.
Doch noch bevor wir unser Ziel erreichten, schlug uns eine Welle entsetzlichen Gestanks entgegen, so schrecklich, dass ich Magenkrämpfe, Kopfschmerzen und Schwindel bekam und mich nur noch mühsam auf den Beinen halten konnte. Ich sah Kurt an, dass es ihm auch nicht besser ging. Als ich über einen Kieselstein stolperte, schwanden mir endgültig die Sinne und ich nahm nichts mehr wahr außer Schwärze. Mein letzter Gedanke, bevor mich die Dunkelheit umfing, galt Schicksal, der nun vergebens auf mich wartete.
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„Merle?“, fragte eine leise Stimme. Ein wunderbarer Geruch nach Veilchen erfüllte die Luft.
Ich musste tot sein. War es Schicksal, mein Verlobter, der mit mir sprach? Würde er enttäuscht sein, weil ich den Auftrag nicht erfüllt hatte? Doch nein, er hatte mich nie mit meinem Menschennamen angesprochen, er hatte stets nur Kosenamen wie Holde, Liebste und Schönste verwendet.
„Merle? Hörst du mich?“
Ich öffnete die Augen. Es war Kurt. Natürlich: der stets treue, unerschütterliche Kurt, der mit mir ins Paradies eingegangen war.
„Geht’s dir besser?“, fragte er und strich mir über die Stirn.
„Mh“, machte ich. Ich richtete mich ein wenig auf und zu meiner Überraschung befanden wir uns immer noch in einer hässlichen, sumpfigen Landschaft.
„Wo sind wir?“, fragte ich. „Leben wir noch?“
Kurt lachte ein wenig. „Wir leben noch und wir sind immer noch im Reich der Stinkstiefel. Du bist von dem Gestank in Ohnmacht gefallen.“ Sein Blick wurde ernst. „Ich fürchte, ich muss meine Meinung über deinen Schicksal revidieren: Er ist doch nicht ganz so unbrauchbar. Wenn auch immer noch ziemlich.“
„Was meinst du?“, fragte ich schwach.
Er hielt meine Parfümflasche hoch. „Das hier hat dich wiederbelebt. Es schützt uns vor dem widerwärtigen Gestank um uns herum.“
„Oh Schicksal, ich danke dir!“, flüsterte ich innig. Schicksal, mein Liebster, er hatte mich nie verlassen! Wieder einmal hatte er uns das Leben gerettet.
„Tja, damit sind wir wohl am Ziel unserer Reise angekommen“, sagte Kurt. „Bist du bereit?“ Vor uns befand sich ein Loch im Boden, das zu dem Kanal führte. „Das muss sie sein, die Kloake des Grunzimonos.“