Kapitel 9
Elmer war ungewöhnlich müde geworden. Doch dies war wohl der ungeheueren Menge an Information geschuldet, welche er aufgenommen hatte. Er ging auf sein altes Zimmer, um sich hin zu legen. "Schlafe Dich mal so richtig aus Elmer und achte auf Deine Träume", gab ihm seine Oma mit auf den Weg. Ihr viel sagender Blick begleitete ihn zur Tür. Elmer sah sich um. Großmutter hatte das Bett für ihn frisch bezogen. Alles sah noch genau so aus wie damals. Der Schreibtisch am Fenster, das Bücherregal, der kleine Kleiderschrank und das massive Eichenbett, das Großvater selber gebaut hatte und in dem er immer so gut geschlafen hatte. Er lies sich in das bauschige Kopfkissen fallen. Hhmm, es roch so gut! Erinnerungen an früher stiegen in ihm hoch. Die erste Zeit nach dem plötzlichen und frühen Tod seiner Eltern war sehr schlimm für ihn gewesen. Er fühlte sich trotz der Fürsorge seiner Großeltern so alleine und glaubte, dass diese tiefe Verletzung nie wieder heilen würde. Er hatte das Gefühl, dass alles keinen Sinn mehr machen würde ohne seine Eltern.
Elmer zog sich aus, ging ins Bad und machte sich fertig für's Bett. Er kuschelte sich in das dicke Kopfkissen und warf das weiche Oberbett über sich. Er liebte diese Bettwäsche. Er kehrte gedanklich zurück in die Zeit, als er bei seinen Großeltern Aufnahme fand. Elmer konnte dieses Gefühl noch ganz genau spüren. Alles war sinnlos. Diese Leere. Kein eigener Antrieb mehr. Als hätte ihm jemand das Herz ausgerissen. Doch dann war plötzlich etwas anders. Er hatte wieder Lebensmut gefasst. Hatte es an der Liebe und der grossen Zuwendung seiner Großeltern gelegen? Sicher auch, aber da war noch etwas in seiner Erinnerung. Es hatte mit einem Ring zu tun und mit dem Keller unter diesem Haus.....und mit Großvater.....und....Elmer schlief ein.
Schlagartig versank er in Tiefschlaf. Er musste sich zunächst erholen und seinen Körper regenerieren. Nach etwa drei Stunden kehrte Elmer in die Traumphase zurück. Er sah Szenen aus dem alten Atlantis und den Untergang. Die Flucht seiner Familie nach Ägypten. Die tiefe Freundschaft, die seinen Vater mit dem Pharao verband. Seine Heirat mit Nanchi-ankh-sun und ihre grosse, tiefe Liebe. Sein Weg zum Hohepriester war vorgegeben. Er sah seine Vorbereitungszeit. Die letzte Prüfung. Drei Tage lang. Dunkelheit. Bewegungslos. Nur sein Geist war frei. Jemand rief nach ihm. Sein Name. "Elmer!" Es schüttelte ihn. "Elmer!" "Du musst aufstehen!" Elmer schreckte hoch. Großmutter sass auf der Bettkante und sah ihn liebevoll an. Ihr gütiger Blick beruhigte ihn sofort und er wusste, er war in Sicherheit. "War es schlimm?", fragte sie. "Nein". Elmer schüttelte den Kopf. "Komm, steh' auf und mache Dich fertig. Wir frühstücken gemeinsam und dann hat Großvater noch etwas mit Dir vor", sagte sie geheimnisvoll.
Kurz darauf sassen alle drei gemeinsam am Frühstückstisch. Großvater beobachtete Elmer unentwegt. "Du hast Dich verändert in den letzten Tagen Elmer", sagte er. "Und das ist auch gut so!" Elmer sah ihn an. "Es gibt noch viel mehr zu sagen, oder?", fragte Elmer. "Ja", entgegnete Großvater kopfnickend. "Ich möchte es Dir unten erklären, was noch zu erklären ist und ich möchte, dass Du es unten tust, was noch zu tun ist - im Keller - Du erinnerst Dich?"Elmer fiel jetzt gerade etwas ein, dass er gestern im Bett bereits im Kopf hatte. "Der Ring", sagte Elmer. "Du hast damals etwas mit dem Ring bei mir gemacht, nicht wahr?" "Ja, Du hast Recht, Elmer. "Nach dem plötzlichen Tod von Mama und Papa ging es mir so schlecht, dass ich sterben wollte und dann hast Du etwas mit dem Ring bei mir gemacht, stimmt's?" "Ja, so war es, Elmer - komm' und lass' uns nun runter gehen, ich erkläre Dir dann alles".
Großmutter blieb oben zurück und Elmer stieg mit seinem Großvater die Treppe hinab. Der Kellerraum wirkte auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Vorratsraum. Alle möglichen Konserven, Getränke und andere Vorräte waren ordentlich in verschiedenen Regalen links und rechts im Raum eingeräumt. An der Kopfseite des Raumes stand ein Regal, dass mit alten Büchern gefüllt war. Großvater hantierte kurz zwischen zwei bestimmten Exemplaren herum und betätigte einen Mechanismus. Ein leises Klicken war zu hören. Nun zog er das Regal wie eine Tür auf und es eröffnete sich der Blick auf eine weitere Türe, die mit einer Tastatur versehen war. Er schaute Elmer an. "Weisst Du's noch?", fragte er. "Du meinst die Zahlenfolge?", fragte Elmer. Großvater nickte. Elmer ging nach vorne zur Tür. Er hob seine rechte Hand, legte sie auf die Tastatur und überlegte kurz. Elmer schloss die Augen. Dann gab er ein: 06 05 1928. Er wartete zwei Sekunden. Dann gab er ein: 26 09 2018. Ein leises Summen ertönte und die Tür schwang nach innen auf.
Elmer konnte sich noch erinnern. Er war nur ein einziges Mal hier unten gewesen. Es war der Tag, an dem Großvater ihn mit dem Ring "behandelt" hatte. Großvater lächelte ihn an und wies mit der Hand nach vorne in den Raum und nacheinander traten sie ein. Sie setzten sich zunächst in eine gemütliche Couchecke und Großvater begann zu erzählen.
"Du weisst ja inzwischen, dass unsere Geschichte im alten Atlantis begann. Die ersten beiden Katastrophen hast Du selber nicht miterlebt, aber bei der letzten, welche die endgültige Zerstörung und den Untergang von Atlantis nach sich zog, warst Du als Ultied inkarniert, dem Sohn des Inkh-Suat. Die Flucht nach Ägypten war letztlich ein Glücksfall für alle Beteiligten und es erwuchsen daraus Vorteile für unser Volk und das der Ägypter. In dieser Zeit befand sich Atlantis an einem Scheideweg. Es ging darum, sich weiter zu entwickeln, aufzusteigen in eine nächste Dimension mit den Möglichkeiten, welche uns damals zur Verfügung standen. Doch waren die meisten Menschen einfach noch nicht bereit, diesen Schritt zu gehen und so kam es durch einige verblendete und selbstsüchtige Menschen zu einer Verkettung von sehr ungünstigen Umständen, welche letzlich zu der größten Katastrophe führten.
Es gab und gibt in der Menschheitsgeschichte immer wieder Zeiten, die eine grosse Entwicklungsmöglichkeit bereit halten. Es besteht dann zu diesen bestimmten Zeiten die Möglichkeit, grosse
Entwicklungsschritte zu gehen. Umgekehrt können sich auch, wie im Fall Atlantis, grosse Katastrophen daraus entwickeln. In der vergangenen Zeit haben die Menschen viele Gelegenheiten für eine positivere Veränderung verpasst. Die zeitlichen Abstände für mögliche Veränderungen werden immer kürzer, da die Notwendigkeit für Veränderungen immer dringender geworden ist. Zur Zeit bewegen wir uns in einer geschichtlichen Phase, die der vom alten Atlantis sehr ähnlich ist. Grosse positive Veränderungen wären möglich, wenn die Weichen richtig gestellt würden und bestimmte Menschen in Führungspositionen die Zeichen erkennen würden und ihre persönlichen Belange zum Wohle aller Menschen hinten an stellen würden. Veränderungen in Richtung von mehr Menschlichkeit, Gemeinsamkeit, Frieden und Gerechtigkeit und Fortschritt."
"Aber dazu ist es nun leider schon zu spät und wir können nur noch versuchen, dass Schlimmste zu verhindern." Elmer stutzte. "Zu spät?", "aber warum?" "Es gibt einfach Zeitfenster, in denen gewisse Dinge passieren müssen, um eine positive Veränderung auf den Weg zu bringen, verstehst Du?" Und dieses Zeitfenster wird bald geschlossen. Du kennst es bereits, Elmer!"
"Dann ist es der 26.09.2018, nicht wahr?", fragte Elmer.
"So ist es".
"Du hast die Daten der Zeitfenster als Code für die Geheimtür genommen?", fragte Elmer.
"Genau!"
"Das sind keine zwei Monate mehr", sagte Elmer. Großvater nickte nur.
"Ich möchte Dir nun noch etwas über die Ringe sagen, Elmer. Beim Untergang von Atlantis konnten wir zwei Ringe retten. Einerseits ist dies "Anchor-Mu", den ich in meiner Obhut habe". Er hielt den Ring zwischen Zeigefinger und Daumen in die Höhe, so dass Elmer ihn genau sehen konnte. "Es ist Atlantisch und bedeutet "der Wissende". In ihm ist sehr viel Wissen über die gesamte Menschheitsgeschichte gespeichert und ausserdem hat er enorme Heilkräfte. Gesteuert und aktiviert wird er über die eigene Wunschenergie des Trägers. Hierzu ist allerdings ein spezielles vorher gehendes Ritual erforderlich."
"Der zweite Ring, - Aira-Mu - ist momentan nicht verfügbar. Er befindet sich etwa dreissig Meter unterhalb der Sphinx in der grossen Halle der Aufzeichnungen, welche Du in Deiner Inkarnation als Ultied hast erbauen lassen. Aira-Mu bedeutet so viel wie "schwebender Tod". Mit der entsprechenden Einweihung ist man in der Lage, durch ihn Steine zum Schweben zu bringen und die Schwerkraft aufzuheben. So wurden die Pyramiden erbaut. Es wohnen ihm aber auch gewaltige zerstörerische Kräfte inne, die einst zum Untergang von Atlantis geführt haben. Es sollten niemals - und ich betone - niemals - beide Ringe gemeinsam getragen werden, da sich hierbei Energien vermischen, welche nicht mehr zu kontrollieren sind. Aira-Mu ist nun nicht mehr sicher dort unten. Machtgierige Menschen sind ihm auf die Spur gekommen."
"Und noch etwas musst Du wissen, Elmer: Wir haben uns hier sozusagen verabredet. Es ist fast so etwas wie eine innere Uhr, die bestimmte Menschen immer wieder zu bestimmten Zeiten veranlasst, sich hier zu inkarnieren, um die Geschicke der Welt zu lenken und zu beeinflussen. Und wie es immer so ist, gibt es Menschen mit guten und weniger guten Absichten. Wir alle sind uns in vorhergehenden Leben schon begegnet. So kannte ich Dich schon als Ultied, den Sohn meines besten Freundes Inkh-Suat, denn ich war der Pharao. Deine Großmutter war meine Geliebte in dieser Zeit. Deine Eltern waren ein Herrscherpaar im alten Atlantis und sind hier inkarniert, um den Ring zu finden und zu sichern, damit grosses Unheil abgewendet werden kann. Sie fanden tatsächlich Anchor-Mu und fanden auch einen Weg, ihn mir zu schicken. Ihr eigener Weg wurde dann leider von ihren Gegenspielern gekreuzt und machte Dich zu einem Waisenkind."
"Was ist nun wichtig, Großvater - was ist zu tun, um das Schlimmste abzuwenden?", fragte Elmer nach einer Weile. "Und was wäre das Schlimmste überhaupt?".
"Gewisse Leute suchen nach dem Ring. Sie sind schon auf dem Gizeh-Plateau. Nun, das Schlimmste wäre, sie würden ihn tatsächlich finden und für ihre eigenen Zwecke einsetzen, dass könnte unsere Welt, wie wir sie kennen zum Einsturz bringen. Dass Allerschlimmste wäre aber, wenn sie den Ring finden würden und den zweiten Ring auch in ihren Besitz bringen würden. Das könnte unsere gesamte Erde vernichten."
"Zu unserem Inkarnations-Szenario fehlen mir nun noch zwei Personen, die ich noch nicht gefunden habe, von denen ich aber weiss, dass sie hier sein müssen. Dies wäre zum Einen Nanchi-ankh-sun, Deine ehemalige Gemahlin aus ägyptischer Zeit und zum Anderen Anchor-ankh-sun, welche damals ihre Schwester war und auch heute wie damals nicht auf unserer Seite stehen wird. Nun gut - sie werden sich noch offenbaren. Doch nun mein lieber Elmer ist es Zeit, Dich wieder mit der Energie des Ringes vertraut zu machen." Großvater stand auf und ging an einen Schrank, dem er ein Gewand entnahm, um es anzulegen. Elmer kannte das Gewand, aber er hatte es schon sehr lange nicht mehr gesehen.....