Kapitel 25
Sie hatten die Stablampen alle ausgeschaltet. Vorsichtig schob Elmer seine Kopf ein kleines Stück um die Ecke. Er sah zwei Fackeln, die sich immer weiter auf sie zu bewegten. Angestrengt versuchte er zu erkennen, wer die Träger dieser Fackeln waren. Doch es konnte nichts sehen. Wer kannte diesen Gang? Er überlegte den Ring nochmals einzusetzen, um ein Zusammentreffen mit den Eindringlingen erst einmal zu verhindern, bis er mehr wusste. Er hob seine Hand. Doch dann hielt er inne. Er hatte eine Stimme gehört. Sie hörte sich vertraut an. Elmer hörte ganz genau hin. Die beiden Fackeln waren nur noch höchstens zehn Meter von Ihnen entfernt. Er konnte nicht länger warten, wenn er sie alle ungesehen ausser Reichweite bringen wollte. Dann hörte er die Stimme wieder. Es war eine Frauenstimme. "Wir müssen nach Rechts, Howart". Elmer glaubte sich verhört zu haben. Doch nach der nächsten Antwort war er sich sicher. "Ich weiss Gerda. Ich war zwar lange nicht mehr hier, aber diesen Weg kenne ich immer noch im Schlaf".
"Grossvater! Grossmutter!, platzte Elmer hervor, was um Himmels Willen macht ihr denn hier?" Er trat einen Schritt in den Gang. Howart erstarrte vor Schreck. Gerda hatte ihre Fackel aus der Hand herunter fallen lassen, so sehr hatte sie sich erschrocken. Nacheinander gingen drei Taschenlampen an und in den Lichtkegeln erkannten Elmers Grosseltern, wen sie getroffen hatten. "Elmer mein Junge", rief seine Grossmutter aus und ging mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Gott sei Dank, dass es Dir gut geht". "Nani! Schön dass Du hier bist und hilfst!" Grossvater nahm die Fackel in seine rechte Hand und ging mit seinem ausgebreiteten linken Arm auf Nani zu, um sie in den Arm zu nehmen. Mit zitternden Händen hatte Ahmed die Szene beobachtet. Als Elmer und Nani wieder aus den Armen der Grosseltern entlassen waren, sah er die beiden alten Menschen an und fiel vor ihnen auf die Knie. Er beugte sein Haupt auf den Boden und murmelte: "Mein Pharao, nach so langer Zeit!"
Howart hob seine Hand empor. "Stehe auf Ish-Thar! Mit grosser Freude sehe ich, dass Du uns wieder erkennst, aber es ist eine andere Zeit. Komm' und erhebe Dich - hier bist Du uns gleich gestellt. Der Grund und die Vorzeichen, warum wir hier zusammen gekommen sind, sind andere als bei unserer letzten Begegnung." Langsam erhob sich Ahmed und sah Howart und Gerda lange an. Alte, lange vergangene Szenen huschten an seinem inneren Auge vorbei. Szenen, die ihn glücklich machten. Momente, die ihn mit Stolz erfüllten. Er wusste, dass dieser Mann für immer "sein Pharao" sein würde, so prägend waren die Erlebnisse von damals für ihn gewesen.
"Jetzt sagt endlich mal - was macht ihr hier", sprach Elmer seine Grosseltern mit ausgebreiteten Armen und fragendem Gesichtsausdruck an. "Wir taten einen Blick nach vorne, sagte Grossvater "und entschlossen uns dann hierher zurück zu kommen. Hier her - an den Anfang und das Ende. Wo ist Aira-Mu jetzt, Elmer?" "Er ist in der unentdeckten Kammer der Kristalle, unterhalb der Pyramidenspitze, verschlossen hinter Stein, Grossvater." "Das ist gut einstweilen, antwortete Howart, aber ich denke dort wird er nicht auf Dauer bleiben können." Fragende Blicke richteten sich auf Howart. "Aber dieser verrückte Amerikaner ist tot und Angie, also Anchor-ankh-sun ist auch nicht mehr unter uns. Was sollte also nun noch so gefährlich sein, dass der Ring dort nicht sicher wäre?", fragte Elmer. "Es gibt Dinge, die noch in der Entstehung sind. Dinge, die noch geschehen werden und von denen wir nicht wissen, wie sie geschehen werden, aber sie werden geschehen - und zwar sehr bald. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen guten Plan haben, mit dem wir auf möglichst alle Eventualitäten reagieren können. Wir sollten uns irgendwo zusammen setzen und alles in Ruhe besprechen."
Ahmed schlug vor, dass alle in sein Haus kommen sollten. Dort war genügend Platz für alle. Sein Vorschlag wurde angenommen und die Pyramidenbesucher machten sich auf den Rückweg. Gemeinsam begleiteten sie Elmers Grosseltern zum Hotel und fuhren anschliessend alle in Ahmeds Vorstadthaus, das nun für die nächsten Tage ihre Basis sein sollte. Nachdem sie ausgiebig gegessen hatten, ergriff Howart das Wort und wollte ihnen erzählen, was er und Gerda im Kristall gesehen hatten. "Nun, in einem Punkt hast Du völlig Recht Elmer. Zwei unserer Gegner sind für diesen Teil der Geschichte aus dem Spiel und können uns nun nicht mehr gefährlich werden. Es gibt jedoch noch eine Wesenheit, die in der Jetztzeit noch garnicht aufgetaucht ist, obwohl ich ganz genau weiss, dass er inkarniert ist. Im alten Atlantis war er unter den Namen Voltuid bekannt. Man nannte ihn damals auch "den Grossen", weil er alle Atlanter um ein bis zwei Köpfe überragte. Bevor die erste grosse Katastrophe unser Land heimsuchte, brachte Voltuid einige sehr starke atlantische Kristalle in seine Gewalt. Im geschickten Zusammenspiel dieser Kristalle konnte man erreichen, dass körperliche Veränderungen statt fanden. Bei ihm selber äusserte sich dies in der Form, dass er eben grösser war, als die meisten Menschen. Er missbrauchte aber jene Kristalle dazu, sich einige Wesenheiten zuwillen zu machen, die es in ihrem damaligen Leben eh schon schlecht angetroffen und ein schweres Schicksal gebucht hatten."
"Durch dieses besonders abartige und bösartige Verhalten hatte er sich natürlich auch Feinde gemacht. Einer davon war ich. Letztlich lief alles darauf hinaus, dass wir uns in einem finalen Endkampf gegenüber standen, den ich am Ende mit viel Glück für mich entscheiden konnte. Ich tötete ihn. Voltuid schwor mir Rache durch alle Inkarnationen hindurch. Ich habe ihn bisher nie wieder getroffen, aber nun in diesem Leben ist er hier, das fühle ich. Ich konnte seine Energiemuster durch den Kristall sehr deutlich wahrnehmen. Ich bin mir sehr sicher, dass er ins Geschehen um die Ringe oder die vielen Kristalle die noch in der Pyramide sind, eingreifen will. Von Euch ist ihm bisher übrigens noch keiner begegnet in den jeweiligen Inkarnationen. Letztlich geht es ihm darum, die Macht der Ringe und Kristalle an sich zu reissen - er war schon damals besessen davon."
"Ein weiterer Punkt der mir sehr zu denken gibt ist die Tatsache, dass Ägypten ein schweres Erdbeben bevorsteht. Es wird gewaltige Zerstörungen geben. Auch die Pyramide wird Schaden nehmen. Ich kann nicht sagen, wann es genau sein wird, aber die Zeit ist sehr nahe. Deshalb bin ich dafür, dass wir dafür sorgen, dass möglichst viele Kristalle und natürlich der Ring aus der Pyramide heraus geholt und an einem anderen sicheren Ort deponiert wird. Die Sicherheit ist in der Pyramide nicht mehr gewährleistet." Elmer schaltete sich ins Gespräch ein: "Hast Du eine Idee, wo sie in Sicherheit sein könnten?" Howart nickte. "Ja! Wadi xu-lakh. Mitten in der Wüste. Eine alte, längst vergessene Oase. Einige verschüttete Gebäude, welche tief unter die Erde reichen. Kannst Du Dich erinnern, Elmer?" Elmer lächelte seinen Grossvater an. "Ja, ich habe sie bauen lassen, wenn ich mich recht erinnere! Einer unserer letzten Aussenposten zum Feindesland in alter Zeit"
"So ist es", bestätigte Howart.
Und so vereinbarten sie am Nachmittag des kommenden Tages mit der Umlagerung der Kristalle und des Ringes zu beginnen. Alles sollte zur alten Oase nach Wadi xu-lakh gebracht und dort versteckt werden. Details wurden besprochen, kleine Zeichnungen gemacht und Zeitpläne aufgestellt. Gegen 02.00 Uhr in der Nacht war alles besprochen und alle begaben sich ins Bett. Man wollte sich morgen früh erst einmal ausschlafen, denn der Tag würde lang werden. Ahmed schlief als Letzter von allen ein. Das Wiedertreffen mit Howart hatte ihn dermassen aufgewühlt, dass er die alten Erinnerungen kaum abstellen konnte, die ihm ins Gedächtnis kamen. Doch dann holte auch ihn die Müdigkeit ein....
Mehmet war in dieser Nacht auf dem Gizeh-Plateau als Wächter eingeteilt. Er langweilte sich. Um diese Zeit war hier natürlich nichts mehr los. Er griff in seine Jacke, um sich eine Zigarette aus der Packung zu holen. Als er den Deckel der Schachtel öffnete merkte er es. Ein leichtes Zittern am Boden. Mehmet zündete sich die Zigarette an, nahm einen tiefen Lungenzug und ging in Richtung der Sphinx. Das Zelt über der Vorderpranke stand noch immer hier und Mehmet lehnte sich an einer der Zeltstangen an. Da! Wieder dieses Zittern. Stärker diesmal. Mehmet sah sich erschrocken um. Nichts war zu sehen. Plötzlich schaukelte der Boden mit heftigen Bewegungen. Wie eine Welle hob und senkte sich die Erde. Mit lauten Knall fiel ein steinernes Ohr der Sphinx auf ihre Vorderpranke und zerbarst vor Mehmets Augen in tausende Stücke. Panisch wich Mehmet zurück. Was war das? Dann begann der schlimme Teil des Bebens. Rudernd suchte Mehmet irgendwo Halt. Aber vergeblich. Der Boden unter ihm schaukelte dermassen stark. Eine neue Welle die durch den Boden fuhr warf ihn drei Meter in die Höhe. Er landete unsanft auf einem der Steine, die aus der Sphinx herausgebrochen waren. Blut tropfte von seiner Stirn. Mehmet schrie vor Entsetzen laut auf. Dann ging der Boden unter seinen Füssen einfach weg. Der Sand floss einfach in die Tiefe, als hätte jemand in einer Badewanne den Stöpsel gezogen. Mehmet fand keinen Halt mehr. Hunderte Tonnen Sand und ein Nachtwächter, dessen Schreie im Sand erstickt wurden, sanken unaufhaltsam in die Tiefen der Wüste.
Die Ausläufer des Bebens erreichten den kleinen Vorort, in dem das Haus von Ahmed stand. Die Strassenbeleuchtung fiel aus. Das erste leichte Zittern hatte noch keinen der fünf schlafenden Menschen geweckt. Ein kleiner Riss zeigte sich in der Decke des Schlafzimmers, in dem Howart und Gerda schliefen. Er verbreiterte sich rasch und erreichte die Mitte des Raumes, an dem ein mächtiger grosser Leuchter hing.
Dann erreichte die erste Bebenwelle den Vorort....