Eins war klar, er konnte sich angenehmere Situationen vorstellen als die, in der er sich gerade befand. Daton wollte am Fluss östlich des Dorfes fischen und hatte Feinaar angeboten mitzukommen. Auch, wenn an dieser Tatsache durchaus nichts auszusetzen war, so lag das Problem eher darin, was Feinaar sich vorgenommen hatte.
Er hatte Ajanelle in jener Nacht, vor gut zwei Wochen, sein Herz geschenkt und sie hatten sich daraufhin noch viele Male heimlich getroffen. Doch nagte diese Heimlichtuerei auch an ihnen und so hatten sie zusammen beschlossen, dass er Ajanelles Vater über ihre Liebe zu einander aufklärte.
Dies allein wäre keine solch große Barriere gewesen wie die eigentliche Frage, die ihm auf dem Herzen lag. Denn ein Esiew band sich nur einmal im Leben und er glaubte das passende Wesen endlich gefunden zu haben. In seiner Heimat vergingen manchmal Jahrzehnte, bis man sich zu diesem Schritt entschied. Aber nun war er in Lamatas, der Heimat der Menschen und wollte sich an deren Gepflogenheiten halten.
Dazu gehörte auch, dass man den Vater der Auserwählten, um seinen Segen bat, bevor man seiner Angebeteten den Antrag machte. Zumindest soweit Feinaar sich richtig zu erinnern vermochte. Und das war letztendlich der Grund dafür, weshalb ihm gar nicht wohl in seiner Haut war. Irgendwie war es schon merkwürdig, er hatte sämtliche Gefahren in Wulvenien überstanden und die Angreifer des Dorfes zurückgeschlagen, nur damit er beim Gedanken Daton eine Frage zu stellen, schon das dringende Bedürfnis verspürte reiß aus zu nehmen.
„Was macht dich so nachdenklich, Feinaar?“, fragte ihn Daton, als sie sich gerade daran machten durch die letzten Dickichte zu schlüpfen.
„Ajanelle wollte, dass ich mich unbedingt einer Sache annehme und ich bin bis jetzt einfach noch nicht dazu gekommen.“
Daraufhin musste Daton lachen und Feinaar atmete in dem Glauben auf, wenigstens einen kurzen Aufschub damit gewonnen zu haben.
Doch Daton schien nicht geneigt zu sein, ihm diesen Augenblick zu gewähren: „Also, was genau wollte meine Kleine denn von dir?“
Feinaar rutsche nun doch das Herz in die Hose, der Moment war gekommen.
„Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten, fürchte ich“, rang sich Feinaar zu einer Antwort und brachte Daton damit prompt wieder zum Lachen.
Feinaar schwieg während sich der Mensch vor ihm lachend durch das Dickicht kämpfte.
„Nun Feinaar, dann lass mich dir eine andere Frage stellen. Wieso sind wir wohl nur zu zweit unterwegs?“
„Ich dachte Anton hat andere Dinge zu tun und du wolltest nicht alleine sein… deswegen…“, plapperte Feinaar drauflos und endete verhalten, als er Datons bedeutungsschweren Gesichtsausdruck bemerkte und ihm plötzlich etwas schwante.
Der Mensch weiß es!
Du musst ihm die Wahrheit sagen!
Aber wird das genügen? Will er einen Esiew in der Familie haben?
Will er…? Will er… will er…
Vor Schreck über das plötzliche Ertönen der Stimmen stolperte er und konnte sich gerade noch rechtzeitig mit den Händen abfangen. Keuchend erhob er sich und hatte das zwiespältige Vergnügen in Datons grinsendes Gesicht zu schauen.
„Ich hätte ja nicht gedacht, dass dich ein Mensch so aus der Fassung bringen könnte“, meine er amüsiert.
„Du weißt es also“, meinte Feinaar leise.
„Was weiß ich?“
„Und einfacher wirst du es mir wohl auch nicht machen, was?“
„Ich denke nicht, dass ich dir das schuldig bin“, antwortete Daton ernst und sah ihn mit verschlossener Miene an.
Hier stand er also nun, mitten im Wald und musste einem Menschen Rede und Antwort stehen.
„Ich…“, setzte Feinaar an, als plötzlich ein Schatten am Rande seines Blickfelds durch die Büsche huschte.
Gefahr!
Du musst hier weg!
Lauf!
„Ähm… können wir erst mal weitergehen?“
Ohne Datons Antwort abzuwarten, setzte er sich bereits wieder in Bewegung und
stürmte regelrecht vorwärts durch das Dickicht des Waldes.
Daton folgte ihm kurze Zeit danach und Feinaar reduzierte seine Geschwindigkeit zu einem flotten Schritt in dem unwegsamen Gelände. Immer wieder blickte sich Feinaar um, doch der Schatten schien verschwunden.
Wenige Minuten später lichteten sich die Bäume und auch die Büsche und Sträucher wurden spärlicher und machten Platz für einen felsigen Untergrund. Feinaar kam zum Stehen und lauschte. Außer einem leisen Plätschern war nichts zu vernehmen. Der Fluss musste bereits in der Nähe sein und ein felsiger Abhang wenige Zort vor ihnen bestätigte diese Vermutung. Von dem Schatten fehlte jedoch jede Spur. Hinter ihm trat Daton näher. Ihm schuldete er wohl eine Erklärung.
„Höre mal, Daton. Ich…“, setzte Feinaar an, wurde jedoch von dem Menschen unterbrochen.
„Du musst dich nicht so quälen, Feinaar“, meinte Daton schlicht und ging an ihm vorbei. „Wir haben alle Zeit der Welt. Lass uns erst mal da vorne an den Felsen runter zum Fluss klettern. Alles Weitere können wir dann immer noch besprechen.“
„Nein, darum ging es nicht. Ich dachte ich hätte etwas gesehen…“
„Was gesehen?“, fragte Daton, ging jedoch weiter.
„Ich bin mir nicht sicher… vermutlich habe ich mich getäuscht“, meinte Feinaar unsicher und lief ihm hinterher. „Was aber die Situation von vorhin betrifft, da wollte ich dir nicht ausweichen. Bitte Daton, warte kurz.“
Daton drehte sich um, zog die Augenbrauen hoch und wartete auf eine Erklärung. Wahrlich, dachte Feinaar, dieser Mensch denkt wirklich nicht daran mir das Ganze leicht zu machen. Aber er hatte lange genug gewartet. Es war Zeit, dass er sich dazu aufraffte, wofür er mitgekommen war.
Bist du sicher?
Und wenn er dagegen ist?
Wir könnten das nicht ertragen…
Kannst du es ertragen?
Kannst du? Kannst du… kannst du…
Ruhe! Schrie er innerlich. Feinaar hatte die Stimmen seit dem Angriff auf das Dorf nicht mehr vernommen und ausgerechnet jetzt machten sie sich wieder bemerkbar. Doch er würde sich diesmal nicht davon beirren lassen.
„Ich liebe Ajanelle, Daton.“
„So? Tust du das?“, stellte Daton mit ausdrucksloser Miene fest.
Siehst du? Er ist dagegen!
Er ist verschlossen… abweisend…
Der Mensch will dich nicht!
Seid ruhig! Dachte Feinaar, während er sich bemühte die Stimmen zu ignorieren.
„Ja und Ajanelle empfindet nicht anders für mich.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, schien sich Datons Miene noch weiter zu verdüstern.
Da!
Ich habe es dir gesagt!
Wir haben es dir gesagt!
Er verachtet dich!
Er will dich nicht und macht sich lustig über dich. Warte nur ab, erst lässt er dich alles aussprechen, nur um anschließend deine Träume mit Füßen zu treten.
Du besitzt nichts. So Einen wollen die Menschen nicht. So Einen wollen…
Seid still! So ist Daton nicht.
Bist du dir da sicher?
Verzweifelt bemühte sich Feinaar seine Fassung zu bewahren, konzentrierte sich auf Daton und stellte die wichtigste Frage in seinem Leben: „Ich liebe sie mehr als mein Leben, Daton. Und um mich an die Gepflogenheiten der Menschen zu halten, bitte ich dich, würdest du uns deinen Segen geben? Darf ich deine Tochter zur Frau nehmen?“
„Ist dir klar was du mich da fragst, Feinaar? Du bist vollkommen mittellos und doch bittest du mich darum, dir meine Tochter anzuvertrauen?“, fragte Daton.
„Mir ist klar…“, setzte Feinaar an, um plötzlich geschockt inne zu halten. Er hatte den Schatten in seinem rechten Augenwinkel gesehen. Mit einem Satz sprang er herum und spähte in den Wald hinein.
„Feinaar, was ist los?“, hörte er Daton besorgt fragen, konzentrierte sich aber trotzdem auf die Suche nach dem Schattenwesen.
Es war da!
Ich habe es gesehen. Wir haben es gesehen.
Du hast es gesehen.
Es war da! Es war… da…
Diesmal war er sich sicher. Er hatte es gesehen. Die Flüsterstimmen waren auch seiner Meinung. Wie konnte dieses Wesen sich immer am Rande seines Blickfeldes herumtreiben? Und wo war es jetzt?
Angestrengt dachte er nach, er hatte sich rechts herum gedreht aber erst als das Wesen schon wieder verschwunden war. Es näherte sich immer von hinten aber da befand sich Daton, er würde es sehen. Wo könnte es nun aus dem Wald kommen?
Feinaars Blick huschte in alle Richtungen, als ein sanftes Flüstern ihn erstarren ließ.
Und wenn Daton das Schattenwesen ist?
Niemals! Er kannte ihn jetzt schon so lange, es wäre ihm aufgefallen.
Was wenn er erst vor Kurzem zu dem Wesen geworden ist? Was, wenn der Schatten Datons Körper übernommen hat?
Nein, das war nicht möglich. Er war die ganze Zeit bei ihm gewesen.
Warst du das wirklich? Bist du nicht kurzzeitig in deiner Panik voraus gestürmt?
Bilder durchströmten seine Gedanken. Er sah sich selbst wie er das Schattenwesen zum ersten Mal wahrnahm. Wie er durch den Wald rannte und Daton zurückließ. Beim großen Licht, was hatte er getan?
„Daton…“, tiefe Trauer schwang in seinem Flüstern mit als er in seiner Haltung zusammensackte.
Und genau in diesem Moment erklang ein leises Kichern hinter ihm und steigerte sich in grausames Gegacker.
Plötzlich brach es ab und machte der besorgten Stimme Datons Platz: „Feinaar… alles in Ordnung mit dir?“
Diesmal erkannte Feinaar den spöttischen Unterton und ein Schauder lief seinen Rücken hinab. Langsam drehte er sich um und blickte Daton ins Gesicht. Oder der äußeren Hülle die von Daton noch übrig war, dachte er traurig.
„Was ist, Feinaar?“, fragte das Wesen mit Datons Gesichtzügen besorgt und verhöhnte ihn zugleich damit.
Feinaar verkrampfte sich. Daton sah vollkommen unverändert aus. Die besorgte Haltung und die sanften Gesichtszüge… doch seine Augen… seine Augen waren kalt. Grausam und seelenlos blickten sie ihn an und verhöhnten ihn, es solange nicht bemerkt zu haben.
Wie ich es befürchtet habe… Wie wir es befürchtet haben…
Was sollen wir tun? Was wirst du tun?
Es ist gefährlich. Sei vorsichtig…
Das Flüstern der Stimmen erklang nun sanft, fast so als wollten sie ihn trösten. Doch das Wesen war zu weit gegangen, eine sengende Wut breitete sich in ihm aus. Es hatte Ajanelles Familie angegriffen, die Familie die bald seine werden sollte. Er würde nicht zulassen, dass es Daton weiterhin für seine Zwecke missbrauchte.
„Na, Feinaar? Wie gefällt dir mein neuer Körper?“, sprach das Wesen amüsiert und ließ jegliche Maskerade fallen. „Ich frage mich, wen deiner neuen Freunde ich als nächstes übernehmen soll. Es macht so einen Spaß ihre Seelen zu verschlingen. Wie wäre es mit Anka? Es wäre ja nur gerecht das sie ihrem Mann Gesellschaft leistet.“
„Das werde ich nicht zulassen!“, presste Feinaar zwischen den Zähnen hervor.
„Ach, ja? Und was genau willst du dagegen unternehmen? Mich töten? In Datons Körper?“ rief es herablassend und breitete auffordernd die Arme aus.
Feinaar zitterte vor Wut. Fieberhaft überlegte er wie er diesem Monstrum beikommen könnte.
„Aber vielleicht sollte ich mich lieber einem anderen kleinen Menschlein widmen… Wie wäre es mit Ajanelle?“
Niemals!
Das. Werden. Wir. Nicht. Zulassen.
Nie zuvor hatte er den Flüsterstimmen mehr zustimmen können.
„Ich könnte ihren Körper übernehmen und bei anderen Männern liegen. Oh und am besten zwinge ich dich dabei auch noch zuzusehen!“, redete das Wesen immer noch weiter und brach am Ende in schallendes Gelächter aus.
Das war endgültig zu viel für Feinaar. Er griff nach dem Quell seiner Macht und rannte auf das Wesen zu.
Er wird es vernichten! Wir werden es vernichten!
Er wird töten! Wir werden töten!
Das Böse muss vernichtet werden!
TÖTE!
VERNICHTE!
LEBE!
BEWAHRE!
Die Stimmen kreischten in seinem Kopf und trieben ihn an.
Das Wesen versuchte auszuweichen, doch Feinaar war schneller und packte es an Datons Kleidung. Den Schwung nutzend trieb er es vor sich her und stürzte sich mitsamt dem Wesen den Abhang hinunter.
Im Fallen wollte Feinaar gerade loslassen und sich seiner Macht bedienend retten, als das Wesen plötzlich nach seinen Handgelenken griff und ihn mit höhnischer Fratze angrinste.
Er riss sich los, doch der winzige Moment der Ablenkung genügte, um Feinaar das Ausweichen eines Felsvorsprungs unmöglich zu machen. Er versuchte noch sich wegzudrehen, prallte jedoch mit der Schulter auf und sein Kopf wurde gegen die Felswand geschleudert. Dann gab es nur noch schwarz und Feinaar fiel bewusstlos zu Boden.