Als es am Samstagmorgen an unserer Haustür klingelt, stehe ich langsam auf und gehe zur Quelle des Geräusches, um die Tür öffnen zu können. Wer klingelt zu so einer frühen Stunde bei mir? Es ist ja nicht mal neun Uhr morgens und ich stehe echt ungern um diese Uhrzeit auf. Der einzige Grund warum ich jetzt wach bin, ist das Ryder mich am Morgen lautstark geweckt hat. Zum Glück bin ich angezogen, da es echt peinlich wäre in dem Giraffen Onesie, den ich bis vorhin noch getragen habe, zur Tür zu gehen. Stattdessen trage ich ein weißes Sommerkleid und habe meine Haare mit einem weißen Haargummi zu einem Pferdeschwanz gebunden, der mein Gesicht irgendwie schmaler wirken lässt. Unsicher drehe ich den Türgriff herum und reiße die Tür auf.
Dort, vor meiner Tür, steht Morgan mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen: “Guten Morgen, Katy.“ Ich reibe mir kurz die Augen, bis diese sich an das gleißende Sonnenlicht gewöhnt haben. “Was machst du hier?“, frage ich leise und blinzele mehrmals. “Ich hole dich ab, um mit dir shoppen zu gehen. Was sonst?“, fragt sie verwirrt. Ein ernüchtertes Stöhnen entflieht meiner Kehle: “Oh Gott, wieso willst du so früh am Morgen Kleidung kaufen gehen?“ “Erstens kannst du neun Uhr nicht froh nennen und zweitens sind die Läden morgens viel leerer, wodurch die Schlangen nicht zu lang und die besten Sachen nicht vergriffen sind“, ein begeisterter Gesichtsausdruck erscheint auf ihrem Gesicht. Da ich weiß, dass sie nicht locker lassen wird, greife ich nach meinem Haustürschlüssel, der rechts neben mir am Schlüsselbrett hängt und streife meine Jacke über, damit ich nicht friere. Dann husche ich für eine Sekunde wieder komplett ins Haus, um nach meinem Handy und meinem Portmonee zu suchen und es dann einzustecken. Als ich dann auch meine weißen Ballerinas angezogen habe, husche ich nach draußen und schließe die Tür hinter mir ab: “Also ich bin fertig!“ Meine Freundin beginnt wie wild zu grinsen und mit ihrer Freude steckt sie auch mich an. Energiegeladen streckt sie ihre Hand nach mir aus und ich lege meine eigenen in ihre. Der Wind bläst sanft und wirbelt die losen Strähnen, die sich aus meinem Zopf gelöst haben, durcheinander. Gemeinsam steigen wir in Morgans Auto. Während sie den Motor startet, ziehe ich mein Handy wieder aus der Tasche und tippe eine schnelle Nachricht an meine Mutter, die erklärt, wo ich bin, da ich weiß, dass meine Eltern noch nicht aufgestanden sind, was ich durchaus verstehen kann. Wieso muss Morgan nur so eine Frühaufsteherin sein, wenn am Morgen eine Shoppingtour ansteht. Ich wünschte, sie wäre auch mal so pünktlich, wenn sie am Morgen zur Schule muss. Sonst ist sie nämlich weder pünktlich noch eine Frühaufsteherin.
In der riesigen, dreistöckigen Mall, die so gar nicht in die kleine Stadt passt, schaue ich mich um und checke nochmal meine Nachrichten, um nachzusehen, ob Mom schon gesehen hat, was ich geschrieben habe. “Was wollen wir uns zuerst schnappen?“, fragt sie ehrgeizig und reibt die Hände aneinander. Wenn Shopping eine olympische Disziplin wäre, würde sie ganz klar den ersten Platz belegen. Das kann mir jeder bestätigen, der mit ihr wenigstens in den Supermarkt gegangen ist. Immer wenn sie einen Laden betritt, in dem man was kaufen kann, ist sie wie hypnotisiert und gar nicht mehr das Mädchen, welches man sonst kennt. “Ich denke, zuerst sollten wir für dich ein Kleid besorgen“, rate ich ihr an, da ich genau weiß, dass es das ist, was sie hören will. Um das zu wissen, muss man mindestens dreimal mit ihr shoppen gewesen sein, um das zu wissen. Erst holt sie sich immer ein Kleid oder auch ein Oberteil mit einem Rock oder einer Hose. Dann geht es weiter zu den Schuhen, damit sie auch ja zu Kleid passen und das letzte, was sie will, ist dann vielleicht noch eine Tasche. Aber die kauft sie nur manchmal. “Stimmt, du kennst mich so gut“, erkennt sie an und zieht mich mit sich in den ersten Kleidungsladen, den sie finden kann.
Dort angekommen sucht sie sich zahlreiche Kleider heraus, die sie mir alle reicht, damit ich sie für sie trage. Komplett beladen wandern wir dann weiter zu einer Umkleidekabine, woraufhin sie mir die Kleider abnimmt, nachdem wir angekommen sind, und sich hinter dem Vorhang versteckt. Einige Zentimeter entfernt setze ich mich auf einen Stuhl, der extra für die Kunden hingestellt wurde, und warte auf ihn. Mehrmals kommt sie nach draußen, um mir das Kleid zu zeigen und sich meine Meinung einzuholen. Als sie nach einer langen “Anprobier-Saison“ wieder in ihrer normalen Kleidung aus der Umkleide hinaustritt und mich forschend ansieht:“Okay, ich glaube, dass ich jetzt vier und fünfzehn wirklich nehme.“ “Das ist eine gute Nachricht“, erwidere ich augenzwinkernd und werfe einen Blick in die Kabine: “Welche denn?“ Sie zeigt mir zwei schwarze, ein schwarz-weiß gestreiftes und ein weißes Kleid hervor. “Jetzt suchen wir was für dich raus“, erwidert sie grinsend und schaut sich um: “In Schwarz siehst du sicher super aus.“ Ich verdrehe die Augen, da ich wenig Lust darauf habe ebenfalls etwas anzuprobieren. Mit Sicherheit werde ich sowieso nicht hingehen, aber das kann ich ihr nicht sagen, sonst wird sie nur mit mir diskutieren und jetzt habe ich darauf echt wenig Lust: “Muss das sein?“ “Ja, muss es“, sie geht zu einer Kleiderstange und zieht ein schwarzes Kleid hervor, welches sie mir reicht:“Probier das hier an!“Genervt schaue ich mich nach einer Ausrede um, um es nicht anprobieren zu müssen, doch der Versuch schlägt fehl. Als ich jedoch nichts finde, nehme ich dir das Kleidungsstück aus der Hand. Damit verschwinde ich dann in eine der freien Kabinen.
Langsam ziehe ich das Kleid, welches ich gerade noch getragen habe, über den Kopf und falte es auf dem kleinen Schemel, aus hellem Holz, zusammen. Für einen kurzen Moment mustere ich mich in einem der drei Spiegel. Eigentlich bin ich nicht hässlich, aber ich versuche nicht mich perfekt in Szene zu setzen und stehe nicht lange vor dem Spiegel, um andere glücklich zu machen. Lieber bin ich selbst glücklich und fühle mich wohl, was, wenn ich genauer darüber nachdenke, ein ziemlich selbstsüchtiger Gedanke ist, aber ich habe mich eben noch nie für andere verstellt. Nicht einmal für die Liebe wie viele es tun. Stattdessen setze ich mehr Wert auf Intelligenz und Wissen, als auf teure Kleidung und Beliebtheit. Trotzdem gehe ich hin öfters mit Morgan in die Mall, wenn sie mich darum bittet. Als Morgan mich bereits zu fragen beginnt, warum das alles so lange dauert, öffne ich den Reißverschluss des schwarzen Kleides und schlüpfe hinein. Fast wirkt es, als könnte Morgan in die Zukunft schauen, als sie genau im richtigen Moment den Vorhang zur Seite schiebt und mir ein Paar schwarze High Heels in die Hand drückt: “Die passen perfekt zu dem Kleid. Würdest du sie mal anprobieren? Für mich?“ Ich komme ihrer Bitte nach und ersetze meine weißen Ballerinas durch die Heels, welche tatsächlich sehr gut zum Kleid passen. Mit einer sanften Handbewegung zieht sie dann, ohne meinen Protest zu beachten, das Haargummi aus meinen Haaren, woraufhin sich meine hellbraune Mähne über meine Schulter ergießt. “Wow, du siehst einfach perfekt aus“, gibt sie nach einer kurzen Überlegung zu und verschwindet dann zurück in ihre Kabine. Über die Wand hinweg ruft sie: “Kauf es.“ “Was?“ “Das Kleid! Kaufe es. Es passt dir wie angegossen.“
Als wir nach einer gefühlten Stunde endlich unsere Einkäufe bezahlt haben, steigen wir zurück in ihr Auto und schaue auf mein Handy und hoffe, dass sie nicht wieder mit der Party anfängt. Meine Hoffnungen werden sofort enttäuscht. “Also gehst du jetzt hin?“ “Wohin?“, frage ich scheinheilig. Um zu wissen, dass sie gerade den Kopf schief legt und mich prüfend anblickt, weiß ich auch ohne sie ansehen zu müssen: “Du weißt genau wohin.“ “Stimmt“, gebe ich zu: “Und ich habe meine Meinung nach wie vor nicht geändert. Ich werde es mir überlegen!“ “Wenn du sagst, dass du es dir überlegst und so lange daran fest hältst, heißt das immer “Nein“ und das wissen wir beide nur zu gut“, sie wirkt beleidigt, als ich den Kopf hebe und sie anblicke. “Stimmt nicht“, sage ich, denke dabei aber “Ja, stimmt, aber das würde ich nie zugeben“. Sie verdreht nur die Augen. Um nicht weiter diskutieren zu müssen, was ich heute schon ausreichend getan habe, schaue ich konsequent aus dem Fenster und versuche meine Gedanken zu ordnen. Das war ein merkwürdiger Tag und er wird noch merkwürdiger werden, wenn ich mich doch dazu entscheiden sollte zur Party zu gehen. Leider ist dieser einer der Tage, an denen ich unentschlossener bin als sonst.