Sanft lässt mein Nachbar mich, gegen meinen Willen, auf das moosgrüne Sofa im Wohnzimmer seines Hauses fallen. Zwar hatte ich ihn darum gebeten mich einfach nur nach Hause zu bringen, aber er hat nicht auf mich gehört, sondern darauf bestanden, dass ich mit zu ihm komme, damit ich mich bei ihm ausruhe, bis ich nachgeben habe. Er musste mir aber versprechen, dass ich wenigstens meine Eltern anrufen kann. Zwar weiß ich, dass er recht damit hat, dass ich lieber mit zu ihm kommen sollte, da meine Eltern sicher unangenehme Fragen stellen würde, aber trotzdem möchte ich nicht, dass meine Eltern und mein besonderes mein Bruder sich Sorgen machen.
Auf dem weichen Sofa zu liegen, ist viel besser als auf im Wald auf irgendwelchen Baumstämmen zu sitzen. Cameron lässt mich los und hockt sich vor mich: “Hast du hunger?“ Kurz überlege ich und merke, dass ich tatsächlich hungrig bin. Erschöpft lasse ich meinen Kopf in eines der schwarzen Kissen fallen und seufze laut: “Ja, einen Bärenhunger.“ “Gut, dann mache ich dir eben etwas zu essen. Bitte bleib liegen“, schnell verschwindet er in die Küche, die direkt an das Wohnzimmer anschließt. “Wo ist das Telefon?“, frage ich laut, doch er antwortet nicht. Genervt verdrehe ich die Augen und mache mich mit den Augen selbst auf die Suche nach dem Telefon, da ich mein Handy zu Hause gelassen habe, was im Nachhinein eine echt blöde Idee war.
Fast will ich aufgeben, da sehe ich das Telefon auf einem kleinen Tisch, der etwa eine Armlänge von dem Sofa, auf dem ich mich gerade befinde, entfernt ist. Ehrgeizig strecke ich meine Hand aus, um an das Telefon zu gelangen und schaffe es auch fast geschafft, da stelle ich fest, dass mein Arm zu kurz ist. Verzweifelt versuche ich mich zu strecken, um auch die letzten paar Millimeter zu überwinden, doch ich bin einfach zu klein. Oh man, mein Leben hasst mich echt. “Was machst du da?“, fragt Cameron. Erschrocken fahre ich herum und blicke ihn überrascht an. “Wow, du guckst gerade wie ein Auto“, stellt er grinsend fest und stößt sich vom Türrahmen ab, an den er sich bis gerade gelehnt hat. In der Hand hält er einen Teller mit einem Sandwich, welches zugegebenermaßen ziemlich lecker aussieht, darauf. Schnell versuche ich mein Gesicht irgendwie wieder normal zu machen und setze mich wieder normal hin: “Ist das für mich?“ “Nein“, sagt er knapp und kommt dann auf mich zu. Ich schmolle ein bisschen, weil ich dachte, dass er mir etwas machen wollte. Er stellt den Teller auf dem Couchtisch vor uns und hebt dann meine Beine hoch, um sich auch hinzusetzen. Dann lässt er meine Beine wieder fallen und nimmt sich denn Teller. Doch anstatt sich das Brot wirklich in den Mund zu schieben, gibt er den Teller an mich weiter: “Das war nur ein Scherz. Natürlich habe ich das für dich gemacht, Kat.“ Ich kann nicht anders, als zu grinsen. Wie schafft er es immer wieder mich aus der Fassung zu bringen? Beim ihm ist bald echt schon ein Talent!
“Kannst du eigentlich nur Sandwiches oder auch richtige Sachen?“, frage ich, um ihn ein bisschen zu necken. Beleidigt blickt er mich an und tut mir sogar fast leid. Sein schmollender Blick bringt mich erneut zum Lachen, weshalb ich schnell zu essen beginne, um mein Lachen zu unterdrücken und meinen Hunger zu stillen. “War nur ein Scherz“, nuschele ich aber dann: “Sandwiches sind klasse.“ Er beginne aus seiner vollen Unterlippe herumzukauen und ich wende schnell den Blick ab, damit es nicht so aussieht, als würde ich seine Lippen anstarren. Schließlich weiß ich echt nicht, was er darein interpretieren würde.
“Willst du Milch?“, fragt er. Als ich ihn wieder aufsehe, fällt mir sein verschmitztes Grinsen aus. “Wenn du dir dieses gruselige Grinsen aus dem Gesicht wischst, nehme ich gerne welche“, sage ich deshalb und grinse ihn frech an, weil ich weiß, dass ihn das zur Weißglut bringen wird. Diese kleinen Neckereien sind einfach wunderbar und erinnern mich an unsere Vergangenheit. Schließlich tun wir das schon seit wir Kinder sind.
Ich erinnere mich sogar an ein Video von uns als Kleinkinder, da lagen wir auf unserer Spieldecke und ich ihn mit seiner eigenen Rassel auf den Kopf haue. Das schauen Ryder und ich uns sogar manchmal immer noch an – spätestens an Weihnachten – und mit sechzehn haben Morgan und ich daraus zusammen ein Gif gemacht, welches wir uns immer schicken, wenn der jeweils andere traurig ist, weil man einfach lachen muss, wenn man das sieht. Traurig sein ist nicht mehr möglich, wenn man sich das angesehen hat.
Sofort hört er auf zu grinsen: “Okay, die Milch ist im Kühlschrank und die Gläser stehen in dem Schrank über dem Herd.“ Sprachlos sehe ich ihn an: “Du hast mir doch Milch angeboten. Wieso muss ich dann losgehen?“ “Guck, ich weiß auch wie man ärgert“, grinst er und steht dann auf, um in der Küche zu verschwinden. Grinsend drehe ich die Augen. Auch ohne seine kleine Demonstration hätte ich gewusst, dass er perfekt weiß, wie man andere Leute ärgert. Das habe ich ja lange genug zu spüre bekommen.
Nachdem ich den Geräuschen, die mein Nachbar verursacht hat, gelauscht habe, kommt er mit einem Glas Milch zurück zu mir. Er reicht es mir und setzt sich dann wieder hin: “Wie geht’s dir eigentlich, nachdem du all das erfahren hast?“ Kurz überlege ich: “Ehrlich gesagt habe ich das alles noch gar nicht realisiert. Wahrscheinlich werde ich morgen eine Panikattacke bekommen.“ “Wahrscheinlich“, erwidert er nickend: “Willst du deine Eltern jetzt anrufen oder noch ein bisschen warten.“ “Kann ich ihnen mit meinem Handy schreiben? Ich habe wenig Lust darauf, dass meine Mom mich anschreit, weil ich nicht rechtzeitig zu Hause war“, gebe ich zu und schaue ihn flehend an. “Klar“, er zückt sein Handy und reicht es mir dann.
Mit flinken Fingern tippe ich die Nummer und dann die Nachricht ein. Ich überlege nicht lange, weil ich dann wahrscheinlich irgendwas Dummes schreiben und mich dann in die Situation verstricken würde.
Als ich fertig bin, gebe ich es ihm zurück: “Kann ich wenigstens kurz zu mir rüber gehen und mir neue Sachen holen gehen, wenn du unbedingt darauf bestehst, dass ich hier bleibe.“ “Nein, du kannst meine oder die meiner Schwester haben“, sagt er stattdessen und sieht mich mahnend an. Ich verdrehe die Augen, willige dann aber ein, um keinen Streit vom Zaun zu brechen: “Willst du dann auch, dass ich hier schlafe?“ “Ja, auf jeden Fall“, erklärt er: “Das ist sicherer für dich, während das Rudel unsere Feinde bekämpft. Ich will einfach kein Risiko eingehen, wenn es um dich geht.“ Von seinen Worten überrascht, fange ich keinen Streit an, sondern stehe vom Sofa auf:“Okay, dann gib mir mal die Sachen, die ich anziehen kann.“ Zufrieden lächelnd steht er auf und verschwindet die Treppe hinauf. Kopfschüttelnd folge ich ihm. Was hat mir das Schicksal da nur für eine schwierige Aufgabe gegeben?