Unsicher trete ich von einem Fuß auf den anderen und starre immer wieder durch den langen Gang, um die Leute, die vor mir dran sind, zu zählen. Nur noch drei Leute sind vor mir dran und Morgan ist noch nicht da. Zwar hatte sie mir vor einer Stunde noch versichert, dass sie kommen würde, aber nun ist sie echt spät und ich habe Angst, dass sie nicht mehr zu mir stößt. Wir haben die Schritte zwar lange genug zusammen geübt, aber wahrscheinlich werde ich vor Aufregung wieder alles vergessen, wenn sie nicht da ist, um mich zu unterstützen.
Die Cheerleaderuniform unserer Schule musste ich schon anziehen, als das Vortanzen begonnen hat, und ehrlich gesagt fühle ich mich in der Kleidung nicht gerade sicherer. Die Kleidung besteht aus einem kurzen, blauen Rock, der am unteren Ende einen weißen Streifen hat, und einem, ebenfalls blauen Oberteil mit der Aufschrift "Legals", dem Namen unsere Schulteams. Während die anderen Teams irgendwelche coolen Tiernamen haben, wie zum Beispiel "Tigers" oder "Bulldogs", ist unser Name irgendwie total lahm und nichts sagend. Meine Haare musste ich oben mit einem Band in den Schulfarben, weiß und blaue, zusammenbinden. In jeder Hand halte ich einen weiß-blauen Pompon, der so gar nicht zu mir passt. Am liebsten würde ich einfach weglaufen und nicht wiederkommen, doch ich weiß leider auch wie wichtig das hier ist, also muss ich es wenigstens versuchen.
Die Leute vor mir werden immer weniger und irgendwann stehe nur noch ich da. Meine Angst steigt immer weiter, während meine letzte Konkurrentin sich gerade in der Turnhalle befindet.
"Katherine Freeman und Morgan King", als mein Name ertönt, zucke ich überrascht zusammen und verspüre ein festes Ziehen in der Magengrube, als mir bewusst wird, dass Morgan nicht mehr kommen wird. Einerseits bin ich enttäuscht darüber, dass sie mich im Stich gelassen hat, aber andererseits kann ich auch verstehen, dass sie echte Panik davor hat, vor fremden Menschen zu tanzen. Wahrscheinlich hätte ich in ihrer Situation nicht anders gehandelt.
Mit schlotternden Knien bewege ich mich langsam in die Halle und starre in den riesigen Raum. Sofort fällt mein Blick auf das weinende Mädchen, welches noch vor wenigen Minuten vor mir in der Schlange war. Ihre Wimperntusche, die sie viel zu dick aufgetragen hat, ist verschmiert und so schnell sie kann huscht sie an mir vorbei.
Ashley, die in der Mitte einer Bank sitzt und ein Klemmbrett auf ihr Knie gelegt hat, muss sie schrecklich fertig gemacht haben. Ihre Kolleginnen tragen genau die gleiche Kleidung wie Ashley und auch ich selbst. Sofort erkenne ich Claire, die links neben meiner langjährigen Feindin sitzt und ebenfalls ein Klemmbrett bei sich hat. Sie beurteilen also beide. Meine Chancen erhöhen sich aber wahrscheinlich trotzdem nicht. Langsam bewege ich mich auf die Gruppe zu und stelle mich davor, während das fremde Mädchen die Tür laut hinter sich zu knallt. Am liebsten würde ich es ihr gleich tun und einfach wegrennen, doch jetzt geht das nicht mehr. Jetzt muss ich das, was ich angefangen habe, auch beenden, sonst bin ich ein Angsthase und werde mir immer vorwerfen, dass ich es nicht versucht habe. Das nennt man Ehrgeiz, Schätzchen! Schon wieder verfluche ich diese leise Stimme in meinem Kopf innerlich, versuche mir aber äußerlich nichts anmerken zu lassen.
"Katy? Wo ist Morgan?", fragt Claire freundlich, da sie bemerkt zu haben scheint, wie unsicher ich bin, weil Morgan nicht da ist. Gerade als ich den Mund öffnen und sagen will, dass sie nicht gekommen ist, wird die Tür aufgerissen und jemand stolpert unbeholfen in die Halle. Überrascht blicke ich zu dem Mädchen, welches gerade hineingekommen ist und muss zweimal hinschauen, bis ich Morgan erkenne, weil sie in der Uniform so anders aussieht. Ihre schwarzen Haare hat sie in zu einem hohen Zopf gebunden und das weiß-blaue Band darum gebunden, was sie freiwillig sonst nie tut. Schon seit sie klein ist, hat sie einen schrecklichen Hass auf Zöpfe. Sie findet, dass ihr Gehirn dann immer zusammengequetscht wird, was natürlich totaler Quatsch ist.
"Ich bin hier", ruft Morgan und kommt zu mir gesprintet. Ein Schauer der Freude überkommt mich und am liebsten würde ich meine Arme um sie schlingen und meine beste Freundin einfach nur abknutschen, weil sie doch gekommen ist, aber das geht nicht, weil wir gerade in sowas wie einer Prüfungssituation sind, obwohl das hier wohl die Unangenehmste seit langem ist. Anstatt sie also in meine Arme zu schließen, lächele ich nur erleichtert und sehe zu wie sie es, nach Luft schnappend, erwidert.
"Perfekt, dann können wir ja anfangen", lächelt Claire zufrieden und gibt einer Freundin ein Zeichen, die daraufhin das Lied, welches ich vorher auf einer Liste eingetragen habe, anschaltet. "New Rules", das Lied zu dem wir geübt haben, beginnt sofort.
One, one, one, one ...
Talkin' in my sleep at night. Makin' myself crazy
Morgan beginnt mit ihrem Teil und kann alles perfekt ohne irgendeinen Fehler zu machen.
Wrote it down and read it out. Hopin' it would save me
Ich spüre, wie auch mich die Lust einfach darauf loszutanzen überkommt, als mein Part beginnt, und wie sich ein zufriedenes Grinsen auf meine Lippen schleicht, welches Ashley dazu bringt, ihr Gesicht zu verziehen.
My love, he makes me feel like nobody else, nobody else. But my love, he doens't love me so I tell myself, I tell myself
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich die Tür einen Spalt breit öffnet und jemand wenige Sekunden später hindurchschlüpft. Sofort erkenne ich Cameron, der sich gegen den Türrahmen lehnt und mich interessiert beobachtet.
One, don't pick up the phone. You know he's only calling' cause he's drunk and alone. Two don't let him in. You'll have to kick him out again
Seine Anwesenheit macht mich nervös, doch ich versuche mich mit aller Kraft nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, was sich ziemlich schwer gestaltet, doch irgendwie bekomme ich es doch hin, bis auch Ashley ihn bemerkt und ihren Blick von uns abwendet, um Cameron zu beobachten.
Three, don't be his friend. You know you're gonna wake up in his bed in the morning and if you're under him, you ain't getting over him
Zwar versuche ich dagegen anzukämpfen, doch ein wenig Eifersucht macht sich schon in mir breit, als Ashley Cameron mit einem, ziemlich falschen, Lächeln zu winkt und ihm zu zwinkert, doch ich versuche ernst zu bleiben. Sicher ist das ihre Taktik um mich aus der Ruhe zu bringen und nicht mehr. Außerdem empfindet er ja sowieso nichts mehr für die Blondine. Er hat schließlich gestern noch gesagt, dass er mich liebt und, wenn er nicht total sprunghaft ist, wird das wohl auch noch heute so sein.
I got new rules, I count' em. I got new rules, I count' em. I gotta tell them to myself. I got new rules, I count' em. I gotta tell them to myself
Da jeder nur etwas eine Minute und zwanzig Sekunden Zeit hat, schaltet Claires kleine Helferin das Lied wieder aus, nachdem wir unseren Tanz beendet haben. Mit aller Kraft versuche ich nicht Ashley einzugehen, die all ihre Kraft darauf verwendet meinen Nachbarn auf sich aufmerksam zu machen, was überraschend schlecht klappt, weil er sich ohne Unterbrechung auf unseren Tanz konzentriert hat und sofort zu klatschen beginnt, als wir fertig sind. Zu meiner Überraschung steigen auch alle anderen Cheerleader, abgesehen von Ashley, mit ein. Meine Feindin starrt nur stur geradeaus und trommelt mit ihrem Stift auf dem Papier herum. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass die Vorstellung so gut ankommt, aber ein bisschen stolz bin ich schon, doch mein Stolz gilt nicht mir, sondern Morgan. Schließlich hat sie fast die ganze Arbeit gemacht.
Ich schaffe es nicht mich zurückzuhalten und falle meiner besten Freundin, nach wie vor energiegeladen, um den Hals. Leise flüstere ich ihr, sodass nur sie es hören kann, etwas ins Ohr: "Danke, dass du gekommen bist." Sie erwidert in der gleichen Lautstärke: "Natürlich, bin ich gekommen. Ich kann dich bei sowas doch nicht im Stich lassen." Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Dieses Mädchen ist einfach unglaublich.
Ashley räuspert sich laut und sofort lösen Morgan und ich uns grinsend voneinander. "Also, was denkt ihr?", fragt sich Claire an ihre Teamkolleginnen gewandt. "Das war grottenschlecht", platzt Ashley heraus und steht von ihrem Platz auf: "Ich selbst konnte sowas schon im Alter von drei Jahren. Da waren ja alle anderen, die wir bisher gesehen haben, um Längen besser." "Also ich fand es sehr gut", gibt Claire freundlich zu bedenken. "Ach rede doch keinen Unsinn. Das war einfach nur schlecht", widerspricht Ashley hartnäckig, was Morgan, mich und fast dem ganzen Cheerleaderteam hinter ihr dazu bringt mit den Augen zu rollen. Scheinbar sind wir also nicht die Einzigen, die nicht viel von Ashley halten.
Nun schaltet sich auch Cameron ein: "Du machst du gerade einen Witz, richtig, Ash?" Ruckartig dreht Ashley ihren Kopf soweit merkwürdig zu Cameron um, dass ich sie fast für eine Eule gehalten hätte: "Nein, ganz und gar nicht, Cameron! Deine Meinung ist hier aber auch gar nicht gefragt." Er muss lachen: "Seit wann das denn? Also vor etwa einer Woche hat meine Meinung dich noch brennend interessiert, besonders wenn es darum ging, in welchem Kleid dein Hintern fett aussieht." Sofort brechen alle Anwesenden, abgesehen von Ashley selbst, in Gelächter aus. Claire ist die Einzige, die sich wenigstens zu beherrschen versucht, aber dabei ziemlich scheitert.
Um das Thema schnell wieder von Ashleys Arsch weg zu lenken, schlägt Claire:"Na gut, dann ziehen wir eben die Demokratie zur Rate und stimmen ab. Wer ist dafür, dass Morgan und Katherine bei den Cheerleadern aufgenommen werden?" Viele heben die Hände, aber vereinzelt bleiben auch Hände unten. Wie zu erwarten, ist Ashleys Hand hartnäckig nach unten gerichtet, während Claire und ihr Zwillingsbruder ihre Hand in die Luft recken. "Gut, dann steht der Entschluss fest", Claire erhebt sich ihrem Platz: "Morgan! Katherine! Ihr gehört von heute an und so lange ihr euch das wünscht zu den Legales, dem Cheerleaderteam der Delaware High School."
Grinsend blicken und Morgan und ich uns im selben Moment an und schließen uns erneut in die Arme. Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass mir das ganze so wichtig ist, doch jetzt spüre ich, wie glücklich mich dieses Ergebnis eigentlich macht.
Über Morgans Schulter blicke ich zu Cameron, der immer noch am Türrahmen steht, und sehe gerade noch, wie er mir verschmitzt zu zwinkert, bevor die Tür öffne und wieder auf den Flur hinaus huscht. Ich sage es ungern, aber diesen Triumph heute habe ich ein Stück weit auch ihm zu verdanken und dafür Schuld ich ihm etwas.