Das rote Licht der Leuchtröhren erleuchtet den Platz um das große Gebäude um uns herum. Es ist eine kleine Bar oder eher ein Diner, mitten im Nirgendwo. Auf einem großen Schild steht der Namen “Seven-Eleven Bar“. Interessiert beobachte ich alles. An der linken Seite des Steinbaus stehen mehrere protzige Motorräder, die vielleicht zu einer Motorradgang gehören könnten. Zwar war mir die Bar schon vorher aufgefallen, da sie das einzige Gebäude ist, was man sieht, wenn man die Stadt verlässt, weshalb ich mich tatsächlich zu fragen beginne, was wir hier sollen. In der Stadt gibt es schließlich auch genug Bars, wo wir etwas trinken oder essen gehen können. Vielleicht hat Cameron sich ja auch einfach nur verfahren oder der Tank ist leer. Ich starre auf die Anzeige. Nein, das Auto ist fast komplett vollgetankt. “Sind wir hier richtig?“, frage ich verwundert. Der Fahrer schnallt sich mit flinken Fingern ab und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss: “Ja, goldrichtig.“ Er klingt enthusiastisch und wenn sein Tonfall ein Gesichtsausdruck wäre, wäre es ganz sicher ein fröhliches Lächeln. Von seiner plötzlichen Freude überrascht, befreie ich mich auch von meinem Gurt und steige, genau wie Cameron, aus dem Auto. Ich schlage die Tür fest zu und drehe mich dann zu meinem Nachbarn um, der sich neben mir ans Auto gelehnt hat und mich grinsend ansieht: “Bist du bereit, Kat?“ Verspielt verdrehe ich die Augen: “Ja, mehr als bereit, Cam!“ Bei der Erwähnung des Spitznamens beginnt er zu lachen: “Der Spitzname ist gut, Kat.“ “Ich weiß“, gebe ich zurück und schaukele auf meinen Fußballen unsicher immer ein wenig vor und wieder zurück. Er kommt auf mich zu und legt seine Hand in meine, um mich mit sich zu ziehen. Ein wenig überrumpelt laufe ich ihm hinter. Ich muss besonders große Schritte machen, damit es mir überhaupt möglich ist ihm zu folgen.
Mit einer Hand stößt mein Nachbar die gläserne Tür zum Diner auf und bleibt dann stehen, um durch das Großraumgebäude zu blicken. Langsam beugt er sich zu meinem Ohr hinunter oder flüstert mit samtig weicher Stimme: “Hast du hunger?“ Sein Tonfall lässt meine Nackenhaare zu Berge stehen und raubt mir fast den Atem. Wieso hat er mich plötzlich so sehr in der Hand? Kurz räuspere ich mich erneut und antworte dann mit fester Stimme: “Ja, komm wir setzen uns.“ Als ich ihn mit mir zu einem Tisch ziehe, versuche ich mich so selbstsicher wie möglich zu wirken. Locker lasse ich mich auf die Sitzfläche fallen und ziehe ihn mit mir.
Sofort versenke ich meine Nase in einer der Speisekarten, deren weiß-rote Farbe perfekt zu dem Laden passt, in dem wir uns gerade befinden, und beginne nach etwas zu suchen, was gesund ist und satt macht, bis ich feststelle, dass ich da lange suchen muss und mich deshalb einfach für Pommes mit Ketchup und einen Erdbeermilchshake entscheide. Was habe ich auch erwartet? Ich muss aber auch zugeben, dass Pommes mir viel besser schmecken, als Gartensalat.
Als ich meinen Blick wieder hebe und die Karte weiter an Cameron gebe, hätte ich sie mir am liebsten wieder geschnappt, um mich vor den Blicken der Leute um mich herum, die mich anstarren als würde, ich irgendwie komisch aussehen, zu schützen. “Wieso starre die alle mich so an?“, frage ich den blonden Jungen neben mir. Verwundert blickt er mich an und runzelt die Stirn, bevor er es auch bemerkt und zu lachen beginnt. “Was ist so witzig?“, frage ich überrascht. Er beißt sich fest auf die Lippe: “Du wirst es wahrscheinlich nicht so lustig finden, aber du wirst so angestarrt, weil du meine Mate bist.“ Ich starre ihn total verwirrt an und verstehe nur Bahnhof: “Wie meinst du das? Sind die Leute um mich herum etwa auch Werwölfe, genau wie du?“ “Exakt“, erwidert er und legt die Tasche zur Seite, um mich sanft an sich zu ziehen, was mich in diesem Moment am wenigsten stört: “Das ist die Bar, in der unser Rudel sich meistens trifft. Sowas wie unser Hauptquartier, wenn wir Menschen sind.“ Nun macht das alles doch Sinn. Das erklärt, weshalb er mich hierher gebracht hat. Will er mich etwa meinem Rudel vorstellen? “Woher wissen die, dass ich deine Mate bin?“, frage ich verwundert: “Können sie das spüre, oder so?“ “Nein, das kann nur ich“, grinst er verspielt: “Ich habe ihnen von dir erzählt.“ “Hast du mich deshalb hierher gebracht? Damit ich dein Rudel kennenlerne?“, harke ich nach. Betreten blickt er zur Seite: “Ja, schon, aber ich wollte auch einfach eine schöne Zeit mit dir haben und dir zeigen wie ich als Werwolf lebe und wie wir zusammen leben könnten.“ Die Vorstellung mit ihm richtig zusammen zu leben ist zwar ein bisschen viel, aber irgendwie süß ist es ja auch. Sein Leben hat sich in den Jahren, in denen wir keine Zeit miteinander verbracht haben, stark verändert und nun will er mir alles zeigen und mich sogar seinem Rudel, welches für ihn sicher sowas wie eine Familie ist, vorstellen. Langsam habe ich das Gefühl, dass er sich wirklich verändert hat und dass ihm wichtig ist, wie ich mich fühle und dass ich glücklich bin: “Wen willst du mir zuerst vorstellen?“ Kurz ist er still und es scheint so, als würde er tatsächlich stark darüber nachdenken. Nach wenigen Sekunden antwortet er: “Ich denke, dass du als Erstes auf Tony treffen solltest.“ “Wer ist das?“, frage ich interessiert. “Ich bin das“, schaltet sich plötzlich eine tiefe Männerstimme neben unserem Tisch ein. Ein wenig überrumpelt zucke ich erschrocken zusammen und starre zu der Quelle herüber.
Dort steht ein großer Mann, der etwa in seinen Dreißigern zu sein scheint. Aus seinem Kiefer sprießen viele dunkelbraune Haare, die einen Drei-Tage-Bart bilden, während ihm seine etwas längeren Haare, die die gleiche Farbe haben, in die Augen hängen, weshalb er sie sich alle drei Minuten mit einer Hand hindurchfährt, um richtig sehen zu können. Seine Augen haben eine wunderschöne Bernscheinfarbe mit hellbraunen Sprenkeln im Inneren. Solch eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Die Schultern des Mannes, die um einiges breiter als Camerons sind, stecken in einem engen schwarzen T-Shirt, während seine langen Beine in einer dunkelblauen Röhrenjeans stecken. Seine tiefe Stimme lässt mich erschaudern und ich spüre Camerons argwöhnischen Blick auf mir: “Hey, ich bin Tony Cortez. Mir gehört die Bar!“ Freundlich streckt er mir seine Hand entgegen, während seine dünnen rosafarbenen Lippen zu einem Lächeln formen und einen Blick auf seine strahlend weißen Zähne ermöglichen. Erfreut ergreife ich die Hand und schüttele diese, währen dich mich selbst auch vorstelle: “Schön dich kennen zu lernen, Tony. Ich bin Katy Freeman, Camerons …“ Tony unterbricht mich lachend: “Ich weiß, wer du bist, Katy. Jeder kennt die Werwolfprinzessin!“ Werwolfprinzessin? Geschockt schaue ich zu Cameron. Nennen mich etwa alle hier so? Dieser zuckt jedoch nur mit den Schultern, grinst Tony dann aber verschmitzt an, was mir Zeit, dass dieser Titel wohl auf seinen Mist gewachsen ist. Verzweifelt verdrehe ich die Augen, stupse ihn dann aber verspielt und sanft in die Seite: “Wag es nicht mir noch mal hinter meinem Rücken so einen Spitznamen zu geben.“ “Tut mir leid, aber es passt doch“, rechtfertigt er: “Schließlich bin ich bald ein Alpha und dann wirst du die Königin meines Rudels sein, Kat.“ Mit seinen Worten überrumpelt er mich total und ich kann meine Kinnlade davon nicht abhalten hinunterzuklappen. Als er meine Überraschung zu bemerken scheint, fügt er schnell hinzu: “Natürlich nur wenn du das willst. Ich kann und will dich schließlich nicht zwingen!“ Erleichtert lache ich auf und lege meinen Kopf wie automatisch auf seine Schulter, bevor ich ehrlich antworte: “Ich bin mir noch nicht sicher, was ich will, aber ich habe gesehen, wie sehr du dich bemühst.“ “Also habe ich meine zweite Chance genutzt?“, fragt er unsicher, während er mir ununterbrochen in die Augen sieht. Ich nicke grinsend: “Ja, du hast mich heute richtig überrascht!“ Zufrieden grinsend wendet er sich an Tony: “Das müssen wir feiern. Bring mir bitte einen Cappuccino und einen Teller Pommes.“ Dann fragt er mich: “Was willst du?“ Auch ich bestelle grinsend. Mein ganzer Körper prickelt vor Euphorie und mein Herz klopft so laut, dass ich Angst habe jemand könnte es hören.