Die silbernen Sterne blinken über mir und liefern mir bei jedem Blick in den Nachthimmel ein wunderschönes Bild. Auf der Treppe sitzend, habe ich den Kopf in meine Hände gestützt und genieße die kühle, sommerliche Abendluft. Entspannt betrachte ich die Sonne, die hinter den Häusern in unserer Nachbarschaft untergeht. Mit meinen Gedanken bin ich ganz bei den Neuigkeiten die Cameron mir heute hat zukommen lassen, weshalb ich kaum bemerke, dass ich gedankenverloren den kleinen Zettel, den er mir heute zugeworfen hat, aus meiner Tasche krame. Nun bereue ich es ziemlich, dass ich ein wenig wütend auf ihn war, weil er sich nicht gemeldet hat. Schließlich hatte er sicher einiges zu tun, nachdem die Werwölfe aus seinem Rudel angegriffen wurden.
Manchmal habe ich schon oft darüber nachgedacht, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich auch eine Werwölfin wäre. Dann könnte würde ich alles mitbekommen, was im Rudel passiert und könnte Camerons Probleme viel besser verstehen, als ich es als normaler Mensch kann, aber andererseits müsste ich mich auch irgendwie verwandeln lassen. Zwar weiß ich nicht wirklich wie das geht, da ich mit Cameron nie darüber geredet habe, aber sicher ist das nicht so leicht wie man es vielleicht denkt. Außerdem müsste ich dann für immer als Werwölfin leben und könnte es nicht mehr rückgängig machen. Kurz gesagt, ich stecke in einer richtigen Zwickmühle, über die ich mit niemandem reden kann.
Cameron würde meine Probleme nicht verstehen, weil er nicht in meiner Situation, sondern ein Wolf, ist und Morgan oder Kyle kann ich sowieso nicht von den übernatürlichen Wesen erzählen. Auch Ryder wäre dafür sicher völlig unzugänglich und würde versuchen mir das auszureden. Also muss ich wohl selbst irgendwie eine Entscheidung treffen.
Wie aus weiter Ferne nehme ich wahr, wie nur wenige Meter von mir entfernt ein Auto laut quietschend bremst und dann brutal vom Fahrer abgewürgt wird. Überrascht hebe ich blinzelnd den Kopf und mustere das Auto.
Es ist matt schwarz lackiert und trägt ein mir bekanntes Nummernschild. Verwundert über die Ankunft dieses Autos stehe ich auf und versuche herauszufinden, was Kyles ältere Schwester Mia hier will. Langsam laufe ich durch den Garten und versuche den Fahrer zu erkennen. Gespannt sehe ich zu, wie sich die Tür auf der Fahrerseite des Autos öffnet und wie dann Kyle aussteigt. Automatisch wandern meine Augenbrauen in die Höhe und zeigen meine Verwunderung, denn ihn hätte ich heute am wenigsten hier erwartet.
Schließlich war er in der Mathestunde heute Morgen ziemlich schlecht gelaunt und hat sich auch wenig Mühe gegeben das zu verstecken. Deshalb bin ich nun auch so überrascht von seinem erscheinen. “Kyle? Was tust du denn hier?“, platzt es mir unbeholfen heraus und am liebsten hätte ich mich dafür einen festen Klaps gegeben. Das war echt nicht sonderlich einfühlsam.
Kyle antwortet jedoch nicht, sondern läuft einfach weiter auf mich zu. Sein Verhalten bereitet mir ziemliche Sorgen, weshalb ich weiter spreche: “Willst du rein kommen?“ Kurz vor mir bleibt er stehen: “Nein, ich will nicht rein kommen, Katy.“ “Warum bist du dann hier?“, frage ich verwirrt weiter. “Ich will dir etwas sagen“, antwortet er und sieht mir tief in die Augen, während er seine Arme sanft auf meine Schultern legt. Misstrauen macht sich auf meinem Gesicht breit und am liebsten würde ich ihn bitten mich loszulassen, da er auf mich heute ganz und gar nicht so klingt wie sonst, doch ich lasse es, weil ich wenig Lust auf einen handfesten Streit mit ihm habe: “Na gut, dann frag mich.“
Für einen kurzen Moment scheint es so, als würde er überlegen wie er fragen sollte, bevor er seine Frage stellt: “Bist du mit Cameron zusammen?“ Sein Ton ist kalt und lässt mich bei seinen Worten zusammen. Nachdem ich einmal unsicher geschluckt habe und versuche das ungute Gefühl, was mich beschleicht zu verstecken, antworte ich mit, glücklicherweise, fester Stimme: “Ich bin mir nicht sicher, ob dich das etwas angeht, Kyle.“ Das plötzlich Blinzeln seinerseits zeigt mir, dass er nicht auf diese Antwort vorbereitet war: “Ach komm schon, Katy. Wir sind doch Freunde und können über alles reden, also antworte mir einfach auf die Frage, ja?“ Die Kälte, die zuvor noch in seiner Stimme lang, hat sich nun mit Verzweiflung und Unsicherheit abgewechselt, und sorgt dafür, dass ich ihm nun doch antworte: “Ja, ich bin mit ihm zusammen, aber wenn du nochmal so unfreundlich fragst, werde ich beim nächsten Mal nicht mehr antworten.“
Während ich immer weiter spreche, scheint es fast so, als würden sich Tränen in seinen Augen sammeln, was für ihn total untypisch ist. Zwar würde ich ihn niemals als Heulsuse oder ähnliches bezeichnen, doch trotzdem verstehe ich in diesem Moment nicht, warum er so reagiert. “Kyle? Geht es dir gut?“, frage ich unsicher und will ihn in den Arm nehmen, um ihn zu trösten, doch stattdessen schiebt er mich weg und dreht mir den Rücken zu, sodass ich sein Gesicht nicht mehr sehen kann. Es tut weh ihn so zu sehen.
Mit urplötzlicher Wut in seiner Stimme beginnt er zu sprechen: “Du machst einen riesigen Fehler.“ Erschrocken taumele ich einige Schritte rückwärts: “Wie meinst du das?“ “Cameron ist ein totales Arschloch und nutzt dich nur aus“, spuckt er wütend aus. Nun kann ich auch nicht anders, als wütend zu werden, da Kyle keine Ahnung hat, was er sagt, denn er weiß nicht das über meinen Freund, was ich weiß. Doch innerlich weiß ich genau, dass die meisten Leute das von Cameron denken, denn früher war er genau das. Ein, jeden ausnutzendes, Arschloch, das sich um die Gefühle von niemandem gekümmert hat. “Hör auf Kyle. Du hast nicht das Recht so etwas zu sagen“, sage ich und versuche dabei ruhig zu bleiben, obwohl ich spüre wie die Wut in mir immer höher brodelt. “Nein, ich werde nicht aufhören, denn wir sind Freunde und ich will nur das Beste für dich, Katy. Erinnere dich doch mal daran, was er dir früher angetan hat und was für einen Hass du noch vor wenigen Wochen für ihn verspürt hast“, versucht mir mich verzweifelt zu erinnern und greift nach meinen Oberarmen, doch ich versuche mich von ihm zu befreien, was er nicht zu lässt. Heute sind seine Stimmungsschwankungen echt ziemlich schlimm. “Cameron hat sich verändert und ich habe ihm verziehen“, murmele ich und versuche mich von ihm zu befreien, um ins Haus zu gelangen. Ich muss unbedingt Abstand zwischen uns bringen, sonst bin ich nicht sicher, was er tun wird. Sein Verhalten macht mir Angst. “Man, Katy. Er ist nicht der Richtige für dich. Sieh das doch ein! Ich liebe dich und du liebst mich doch auch“, beginnt er zu sprechen: “Wenn ich dich sehe, will ich dich nur packen und küssen. Und du empfindest doch auch so, oder?“
Seine Worte lassen mich erstarren und ich sehe ihn überrascht an. Zwar hatte Morgan mir immer wieder so etwas gesagt, doch ich habe ihr nie geglaubt. Schließlich habe ich ihn immer nur als Freund gesehen und tue das immer noch, doch ihm scheint das anders zu gehen, was ich nie bemerkt habe. Und nun bin ich in dieser miesen Situation, aus der ich am liebsten sofort flüchten würde. Innerlich hoffe ich, dass Cameron in der nächsten Sekunde dazu kommt, um mich rettet.
Wie aus einem Neben heraus nehme, ich war, wie Kyle mir immer näher kommt und dann seine Lippen auf meine zu bewegt. Seine Finger schließen sich fest um mein Schultern, während seine Nägel sich tief in mein Fleisch graben. Erneut bin ich von seinem Verhaltet erschrocken und überrascht. Noch nie zuvor habe ich ihn so gesehen. Mich, mit ängstlich schlagendem Herzen, zu befreien versuchend, bitte ich mich erstickter Stimme: “Hör auf! Du tust mir weh, Kyle.“ Doch er hört nicht auf mich, sondern bewegt sich immer weiter auf mich zu.
Aus einer panischen Reaktion heraus, ramme ich ihm mein Knie in die Magengrube, sodass er mich keuchend loslässt und sich den Bauch hält. Endlich sind meine Arme wieder frei und ich schubse ihn von mir weg.
Überrascht starrt Kyle mich mit funkelnden Augen an, wendet seinen Blick aber nicht ab.
Nun packt mich die Wut und ich erwache aus meinem kurzen Zustand des Schocks über das, was gerade geschehen ist. Mit vor Wut bebender Stimme, schreie ich beinahe unkontrolliert: “Ich fasse es nicht, was du das gerade versucht hast, Kyle. Cameron und ich sind zusammen und das musst du akzeptieren. Du musst es nicht verstehen und auch nicht gutheißen, aber du kannst es auch nicht ändern, also komm damit klar. Bis du dich wieder abgeregt hast, hältst du dich von mir fern, verstanden?“ “Aber Katy …“, stottert er von meiner Reaktion überrascht, worauf ich aber nicht eingehe, sondern einfach weiter spreche: “Verschwinde jetzt oder ich hole mir Verstärkung!“
Erst bleibt er regungslos stehen und starrt mich weiterhin an, doch dreht er sich einfach um und läuft zu seinem Auto weiter. Mit zitternden Händen öffnet er die Tür und steigt ein. Glücklicherweise steigt er schnell ein und startet den Motor.
Als er weit genug weg ist, lasse ich mich einfach kraftlos auf den Rasen fallen und lege meine Hände an den Kopf. Was war das gerade? So habe ich Kyle ja noch nie erlebt.