“Pack das ein“, ich drehe mich zu meiner Freundin um.
Mein Blick fällt auf das Stück Stoff in den Händen des Jungen.
“Warum sollte ich ein Cocktail Kleid mit auf eine Farm nehmen?“, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
“Weil er es an dir sicher heiß findet“, lächelt Morgan.
Sofort verdrehe ich die Augen und wende mich wieder meinem Schrank zu: “Vergiss es! Ich pack sicher kein Kleid ein.“
“Schade“, ich brauche sie nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie ein, mit Sicherheit gespieltes, Schmollen aufgesetzt hat.
“Keine Diskussion. Ich brauche Kleidung, die für einen Aufhalten auf dem Land praktisch ist und für keine Nacht im Club“, ich muss mir einen vorwurfsvollen Blick verkneifen.
“Na gut, was ist dann damit?“, fragt sie.
In den Händen hält sie einen hellbraunen Cowboyhut: “Den habe ich in einer Schublade gefunden. Willst du ihn mitnehmen?“ Langsam komme ich auf sie zu. Auf meinen Lippen macht sich ein zufriedenes Grinsen breit: “Ja, der kann vielleicht mit kommen.“
Vorsichtig nehme ich ihr den Hut aus der Hand und setze ihn mir auf. Mein Lächeln wird noch breiter. Irgendwie sorgt das Accessoire in mir für ein Gefühl von Freiheit und das Gefühl den Alltag endlich loslassen zu können.
“Der kommt sogar mit Sicherheit mit“, ich nehme ihn ab und werde ihn in meine Tasche.
Nach einer Weile vernehme ich das laute Hupen eines Autos. Schnell laufe ich zu meinem Zimmerfenster und starre auf die Straße vor unserem Haus, die Straße in der ich wohne.
Dort steht ein schwarzer Pick Up, der vor unserem Haus geparkt hat. Darin befindet sich ein Junge. Durch die Scheibe des Autos erblicke ich sein hellbraunes Haar, das von der warmen Sonne beschienen wird. Sofort erkenne ich meinen Mate, der sowohl mein Freund und mein Nachbar, aber auch derjenige ist, der mich in der Vergangenheit nicht gerade gut behandelt hat.
“Ich denke, dass ich dann wohl mal runtergehen sollte“, erkläre ich der Schwarzhaarigen.
“Pass auf mich dich auf“, sagt sie und zieht mich in ihre Arme. Von der Geste bin ich völlig überrumpelt: “Das klingt ja, als würde ich auf eine Selbstmordmission gehen.“
“Früher war ein Wochenende mit Cameron für dich auch sowas ähnliches“, erinnert Morgan mich, bevor sie sich wieder von mir löst.
“Aber das hat sich mittlerweile doch geändert. Jetzt verbringe ich mit ihm gerne Zeit. Es fühlt sich ein wenig so an, wie früher“, gebe ich nachdenklich zu.
Man könnte jetzt zwar denken, dass ich das nur sage, um eine Erklärung für unsere plötzliche Beziehung zu finden, doch ehrlich gesagt ist alles wahr, was ich ihr gesagt habe. Wenn ich mit ihm zusammen bin, fühlt es sich wirklich an manchen Stellen so an, als wären wir wieder Freunde wie wir es als Kinder waren.
“Soll ich dir tragen helfen?“, fragt sie und nimmt die Henkel meiner Tragetasche. Dankbar nicke ich und setze den Rucksack auf, den ich gepackt habe.
Gemeinsam steigen wir die Treppe hinunter. Mit jeder Stufe steigt meine Vorfreude auf das Wochenende auf der Farm nur noch weiter und bald ist ein angenehmes Flattern in meiner Magengrube zu verspüren.
Mit meinen Eltern habe ich den Ausflug bereits abgesprochen, weshalb ich mir jetzt nicht die Mühe machen und sie anrufen muss. Denn beide sind noch bei der Arbeit. Nur Ryder und Alyssa sind da.
“Ryder?“, ich winke vor den Augen meines Bruders, der auf dem Sofa sitzt und wie gebannt auf den Fernseher starrt, hin und her.
“Boah, Katy! Nimm deine Hand weg. Ich muss das sehen“, beschwert er sich und bewegt sich von rechts nach links, um mir auf den Fernseher schauen zu können.
“Seit wann schaust du dir den Sportkanal an?“, frage ich verächtlich grinsend.
“Na gut, was willst du?“, er dreht sich kurz zu mir um und sieht mich fragend an. Wahrscheinlich hofft er mich so möglichst schnell abschütteln zu können. Leider klappt diese Taktik viel zu oft.
“Cameron ist gerade gekommen, um mich abzuholen“, erkläre ich: “Ich wollte mich nur von dir verabschieden.“ Sanft lege ich meine Arme um seinen Hals und umarme ihn so, auf eine mehr als merkwürdige Art und Weise.
“Okay, ich erinnere Mom und Dad dann auch nachher nochmal dran. Sonst bekommen sie sicher Panik, wenn sie dich nicht finden können“, erklärt er und legt seine Hände auf meine Ellenbogen, um meine Umarmung sozusagen zu erwidern.
“Aww“, kommentiert Morgan diese Geste, woraufhin sie von uns beiden einen wütenden Blick kassiert und sofort den Mund hält. Aber sie hat recht. Unsere Bruder-Schwester Beziehung ist wirklich schön, wenn man sie mit der von vielen anderen Geschwistern vergleicht. Allerdings kann Morgan aber auch nicht wissen, dass was uns verbindet. Schließlich gehören wir zu dem kleinen Teil von Menschen, die das Geheimnis der Ross Zwillinge kennen.
Erneut ist von draußen ein Hupen zu vernehmen, weshalb ich mich wieder von meinem Bruder löse und mich dieses Mal wirklich auf den Weg zur Haustür mache.
Nachdem ich sowohl Jacke als auch meine Schuhe angezogen und meinen Schlüssel eingepackt habe, bin ich endlich fertig und verlasse zusammen mit meiner besten Freundin das Haus. Bevor sie sich auf den Weg zu ihrem eigenen Haus zurückmachen kann, ziehe ich meine Freundin erneut in eine Umarmung und flüstere: “Mach dir bitte auch ein schönes Wochenende und unternimmt gefälligst mal was mit Dan.“
“Dan? Welchen meinst du?“, ihre Stimme trieft vor Sarkasmus.
“Hm, keine Ahnung. Vielleicht deinen Arbeitskollegen, der schon seit geraumer Zeit in dich verschossen ist“, erkläre ich grinsend, nachdem ich sie losgelassen habe, obwohl mir klar ist, dass sie es nicht ernst meint.
“Jetzt geh endlich zu deinem Angetrauten“, sie nickt in die Richtung des Pick Ups.
Ich schenke ihr einen beleidigten Blick: “So weit ist es noch nicht, also denk dir einen anderen Spitznamen aus.“
Zwar heißt das nicht, dass ich es mir nicht vorstellen könnte ihn irgendwann zu heiraten, aber momentan finde ich mich einfach immer noch viel zu jung für sowas. Außerdem gefällt es mir einfach nicht, wenn man solche Witze macht
“Tut mir leid“, grinst sie und schaut auf die Uhr: “Jetzt muss ich aber los und du auch. Cameron scheint übrigens ebenfalls ziemlich ungeduldig auf dich zu warten.“ Erneut deutet sie auf Cameron.
Dieses Mal drehe ich mich ebenfalls herum und erblicke meinen Freund, der das Fenster hinunter gelassen hat und seinen Kopf hindurchgestreckt hat: “Soll ich wieder kommen, wenn ihr fertig damit seit euch zu verabschieden.“
Es scheint so, als würde er überlegen: “Vielleicht in einer halben Stunde?“
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen: “Nein, ich komm ja sofort.“
Dann drehe ich mich zu Morgan zurück: “Gut, dann sehen wir uns wohl erst am Montag in der Schule wieder.“
“Ja, scheint so. Wir können ja telefonieren“, schlägt sie vor und lässt mich zustimmend nicken: “Klar, ich versuch dich anzurufen, wenn wir da sind.“
“Okay, tschüss“, Morgan schenkt mir ein letztes, freundliches Lächeln und macht bewegt sich dann in die entgegengesetzte Richtung von mir.
Nun mache ich selbst mich auf den Weg zum Wagen meines Mates. Vorsichtig werfe ich meine Tasche auf die Ladefläche des Autos und öffne dann die rechte Autotür, um auf meinen Sitz zu klettern.
“Hey, Cam“, grinse ich und widme ihm meine ganze Aufmerksamkeit: “Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“
“Schon gut“, er schenkt mir ein weiches Lächeln und greift dann nach meinem Gurt, um mich anzuschnallen. Seine Hand, die von meiner Schulter über meinen Bauch bis hin zu meiner Hüfte wandert, lässt meinen ganzen Körper prickeln.
Als er sich gerade wieder richtig hinsetzen will, drücke ich meine Lippen sanft auf seine, um ihm zu zeigen, dass ich mich freue ihn zu sehen.
“Ich glaube, das Wochenende wir wunderbar“, lasse ich meinen Gedanken freien Lauf: “Schließlich tut ein wenig Abwechslung wirklich gut und drei Tage ohne meine Familie können auch nicht schaden.“
Cameron nickt zustimmend: “Außerdem habe ich dich dann endlich mal für mich alleine.“
“Das kann ich nur zurückgeben“, bestätige ich ihm grinsend und setze den Rucksack ab.
“Dann mal los“, er dreht den Schlüssel im Zündschloss herum, woraufhin der Motor augenblicklich zum Leben erwacht. Seine rechte Hand findet das Rädchen, mit dem man das Radio anstellen kann, und innerhalb von wenigen Sekunden jault die Stimme von Jason Derulo durch den ganzen Wagen.
Die Vorfreude, die sich in mir aufgestaut hat, wächst immer weiter und ich beginne mir auszumalen, wie es auf der Farm wohl sein wird.