»Bist du bereit für deinen Auftrag«, fragte mich Vater und zog die Augenbrauen zusammen.
»Ja Vater. Ich habe monatelang geübt und bin bereit«, antwortete ich ihm starr.
Er nickte und strich sich mit den Fingern über den Bart. Seine braunen Augen starrten dunkel und nachdenklich in die Ferne.
»Gut. Verwandle dich.« Er starrte immer noch zum Fenster hinaus, als er mir sagte, was ich tun solle.
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich aussehen wollte. Die Person erschien innerhalb weniger Sekunden vor meinem Gesicht, so oft hatte ich ihre Gestalt schon angenommen.
Ein Prickeln lief durch meinen Körper und ein paar Sekunden später war ich verwandelt. Ich öffnete die Augen und schaute in den Spiegel vor mir.
Meine braunen Augen waren nun so strahlend Blau wie der Himmel an einem schönen Sommertag und meine dunkelbraunen Haare waren blond wie Stroh.
Ich war dünner geworden und ein bisschen grösser. Ausserdem war meine Stimme ein bisschen höher.
Nun drehte sich auch Vater zu mir um und musterte mich von oben bis unten.
»Wie heißt du?«
»Zachariah Riktar«, antwortete ich selbstsicher.
»Von wo kommst du?«
»Ich bin in Erian aufgewachsen.«
»Was bist du«, fragte er mich prüfend.
»Ich bin ein Gestaltwandler.«
»Wie alt bist du?«
»Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt«, antwortete ich.
»Gut. Die Kutsche steht bereit. Auf Wiedersehen, Sohn. Mache mich stolz.«
Ich nickte und mein Vater tätschelte mir steif die Schulter. Ich griff nach der Ledertasche auf dem Boden und ging aus dem Zimmer, hinaus in die Eingangshalle des Palastes.
Kaum sass ich in der Kutsche, fuhr der Kutscher auch schon los. Mein Blick hing an dem Schloss, in dem ich sechsundzwanzig Jahre lang gelebt hatte. Schnell verschwand es hinter den Bäumen und ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen.
Schliesslich hatte ich eine lange Fahrt vor mir.
Ein paar Stunden später wurde ich vom Rütteln der Kutsche aufgeweckt. Ich öffnete die Augen und schaute aus dem Fenster. Die Landschaft sah verdächtig nach Werdyn aus.
Ich packte ein wenig Proviant aus und fing an zu essen.
Nachdem ich etwas zu mir genommen hatte, hing ich meinen Gedanken nach. Mein Vater hatte mir nicht genau erklärt, weshalb ich als sein Spion fungieren musste, aber er hatte es ausdrücklich verlangt.
Und meinem Vater widersprach man nicht.
Ich glaubte, dass es etwas mit seinen Eltern zu tun hatte.
Er schien sie irgendwie zu hassen.
Jetzt musste ich an meine Mutter denken.
Als sie gestorben war, hatte das meinen Vater zerstört. Er war dadurch noch strenger, zurückgezogener und verbitterter geworden.
Sie hatte ihn besser gemacht. Sie war der einzige Mensch, der ihn zum Lächeln bringen konnte.
Ich vermisste sie.
So sehr.
Sie war immer für mich dagewesen.
Meine Mutter hatte schöner singen können, als irgendjemand sonst. Ihre Stimme war hell und klar und füllte einen ganzen Raum aus. Wenn sie angefangen hat zu singen, wurden alle in ihren Bann gezogen. Man konnte den Blick nicht abwenden, war wie hypnotisiert. Sie hatte meist die Augen geschlossen und stand ganz entspannt da.
Ich hatte es geliebt ihr zuzuhören. Das hätte ich den ganzen Tag tun können.
Doch dann wurde sie krank und starb.
Daran war mein Vater zerbrochen, wie eine Vase, die man fallen lässt.
Jetzt musste ich diesen Auftrag für Vater ausführen.
Er war auch schon einundachtzig Jahre alt und seine Haare wurden langsam grau und Falten bildeten sich in seinem Gesicht.
Seit ein paar Jahren ging er auch an einem Gehstock.
Ich wusste, dass er etwa 100 bis 120 Jahre alt werden würde, aber trotzdem hatte ich Angst um ihn.
Er könnte krank werden oder ein Herzkreislaufversagen haben. Ich könnte ihn nicht auch noch verlieren.
Also sass ich jetzt hier, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen.
Ich schaute aus dem Fenster und sah die Landschaft an mir vorbeihuschen. Draussen dunkelte es langsam, der Mond erschien am Himmel. Ich blickte in die Sterne und fragte mich, welcher von ihnen wohl meine Mutter war. In Arilona erzählte man sich, dass die Menschen, wenn sie starben zu Sternen wurden und über uns wachten.
Irgendwann fielen auch mir wieder die Augen zu und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.
So liefen die nächsten fünfzehn Tage ab.
Ich ass zwischendurch etwas, hing dann meinen Gedanken nach und schlief sehr viel.
Am fünfzehnten Tag meiner Reise, gelangten wir endlich ans Meer.
Ich stieg auf das Schiff und genoss die nächsten zehn Tage die Meerluft in meinem Gesicht.
Als das Schiff in Elindor anlegte, verliess ich das Schiff schnell.
Ich war etwas knapp dran, um rechtzeitig an der Akademie anzukommen. Ich nahm eine Kutsche zu der Schule und sprang dort, kaum dass sie hielt, hinaus und trat auf die Schule zu.
Ihr Anblick war wirklich überwältigend.
Dieses grosse Marmorgebäude mit den vielen Türmen und Nischen. Das Schloss war umgeben von dem prachtvollsten Garten, den ich je gesehen habe. Das Gras war grün und überall sprossen Blumen hervor. Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich schon langsam und liessen den Garten nur noch schöner aussehen.
Ich machte ein paar Schritte auf das Tor zu und legte meine Hand darauf.
»Zachariah Riktar. Herzlich Willkommen an der Yvalion Akademie«, murmelte eine geisterhaft Stimme und ich schluckte.
Dann schwang das Tor auf und der Weg war frei.
Ich betrat den Weg, der zur Eingangstüre der Akademie führte und ich schaute nach hinten und sah wie das Tor sich hinter mir schloss.
Als ich diesen Weg betrat, hatte ich das Gefühl auch in meinem Leben einen neuen Weg einzuschlagen.
Ein Weg abseits von meinem früheren Leben.