Ich lag neben unserem Bus im Gras und beobachtete die Wolken. Es war ein schöner Abend gewesen. Wir hatten alle vier unseren Spass und haben es sogar noch nach Haues geschafft, ohne uns gross zu verlaufen. Und noch etwas Gutes war geschehen. Irgendwann gestern zwischen Astrids Küssen, so hatte die Blondine in dem grünen Kleid geheissen, und ihren geflüsterten Worten in meinem Ohr, hatte ich mich erinnert. Es war bloss ein kleines Stück. Ein weiteres Puzzleteil, in einem Spiel, bei dem Ich nicht wusste was die Teile zusammen für ein Bild ergaben. Ich hatte mich mit meinen Eltern gestritten. Wieso wusste ich nicht. Meine Mutter hatte geweint und mein Vater hatte mich angeschrien. Dann war ich gerannt. Ich hatte meine Tasche bereits gepackt und in den Flur gestellt gehabt. Dann, als die Situation zu eskalieren drohte, war ich abgehauen. Offenbar zu Aria, mit der zusammen ich dann auf der Party war und die irgendetwas wusste. Aber was nur? Aus irgendeinem Grund, hatte sie keinen Arzt gerufen und offenbar war etwas zwischen uns gelaufen. Ich verstand nicht mal Bahnhof. Gegen Mittag hin beschlossen wir loszufahren, in Richtung des Digertjärnensee, für den wir uns entschieden hatten und der etwa sieben Stunden nördlich von Stockholm lag. Zu beschreiben wie vier Mädchen mehrere Stunden lang schweigend in einem Auto sitzen, jede ihren eigenen Gedanken nachhängt und wie sie auf verlassenen Strassen immer weiter in Richtung Norden fahren ist nicht besonders spannend. Vor allem dann nicht, wenn man schon von so vielen Stunden langweiliger Autofahrt berichtet hat. Deshalb mache ich einen Sprung zu unserem Halt an diesem Abend und danach einen zu unserer Ankunft am Digertjärnensee. Wir fuhren vier Stunden, bevor wie hielten und hatte somit schon über die Hälfte der Strecke geschafft. Da nirgends weit und breit eine Stadt oder auch nur ein Parkplatz zu sehen war, hielten wir einfach am Strassenrand. Wir „kochten“ uns Tomatensuppe uns setzten und dann alle zusammen. „Eigentlich ist es total unglaublich, dass wir jetzt hier sind.“ Meinte Liv. Wir anderen stimmten ihr zu.
Wir blieben nicht mehr allzu lange wach, sondern legten uns bald schlafen, damit wir am nächsten Morgen bei Zeiten losfahren konnten.
Es war hell, als wir uns schlafen legten und hell als wir wieder aufstanden. So weit im Norden wurde es im Sommer ja fast nie dunkel.
Es war später Vormittag als wir endlich am Digertjärnensee ankamen.
Das Wasser war etwas frisch, aber wir plantschten trotzdem an Ufer entlang im seichten Wasser.
Später am Nachmittag machten wir einen Spaziergang am See entlang und pflückten Heidelbeeren.
Die Zeit war wunderschön. Es war einmal mehr so, als ob die Zeit stehen geblieben war.
Aria und ich legten uns nach oben in das Zelt, das wir bereits ausgepackt hatten und Anna und Liv begannen das Essen vorzubereiten.
Ich weiss nicht mehr genau, was passiert ist, meine Erinnerungen an diesen Abend sind getrübt, aber wir begannen uns zu streiten.
„Du denkst doch immer dass du besser bist. Es macht dir Spass wenn du besser bist als ich.“ Zischte Aria. Sie hatte die Stimme etwas erhoben und ich war sicher, dass die anderen uns hörten, aber das war mir in diesem Moment herzlich egal.
„Ach ja, und dir mach es also keine Freude wenn du besser bist als ich. Du bist ja natürlich die Unschuld in Person, oder wie?“
Verdammt, das hätte ich nicht sagen sollen. Aria konnte zwar sehr gut austeilen, war allerdings schnell enttäuscht oder verletzt.
„Sorry, das hätte ich nicht sagen sollen…“
„Doch. Na los. Sag mir endlich einmal, was du wirklich über mich denkst. Ich will es wissen!“
Mittlerweile waren wir so laut, dass wir beinahe schrien.
„Nein. Du weisst was ich über dich denke, okay? Ich habe nicht irgendwelche Ansprüche oder so an dich.“ Ich war außer mir vor Wut.
Wieso hatte sie bloss immer das Gefühl, dass sie zu schlecht sei für mich?
„Und deshalb hast du mich an dem Abend im Pool auch einfach sitzen lassen oder was?“
Ich war verwirrt. Vermutlich sprach sie von der Nacht an die ich mich nicht erinnern konnte.
„Ja. Siehst du, ich hatte recht.“ In ihren Augen war ein gefährlicher Glanz.
„Ich bin dir nämlich doch nicht gut genug. Du weißt doch noch, wie du einfach abgehauen bist, oder Emma?“ jetzt schrie sie nicht mehr. Ihre Stimme war ganz leise und ruhig. Sie beäugte mich wie ein Raubtier seine Beute. Sie machte mir Angst und sie machte mich noch wütender, als ich schon war.
„Nein Aria, verdammt! Nein ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich dich im Pool habe sitzen lassen und ich kann mich auch nicht an das, was auch immer das zwischen uns war, erinnern. Ich habe keine Ahnung, was in dieser Nacht geschehen ist. Denn ich kann mich an nichts mehr erinnern!“
Jetzt war sie still. Sie sagte nichts mehr, sondern starrte mich nur überrascht und verwirrt an.
Ich hörte die anderen unten tuscheln. Okay, es war jetzt nicht gerade die schlauste Idee gewesen, herumzubrüllen, dass etwas zwischen uns gewesen war, und eigentlich hatte ich Aria gar nicht sagen wollen, dass ich mich an nichts erinnern konnte, aber jetzt war es zu spät.
Es war draußen. Ich hatte es gesagt.
Ich begann zu zittern und dann drehte ich mich um. Ich kletterte die Leiter hinunter und stürmte zum Wohnwagen hinaus.
Die Wolken über mir hatten sich zusammengezogen. Offenbar braute sich ein Gewitter zusammen.
Ich hörte die anderen hinter mir. Wo sollte ich nur hin? Einfach nur drauflos zu rennen, hatte keinen Sinn. Der einzige Ort wohin ich konnte, war der See.
Das Wasser kräuselte sich leicht im Wind und leckte an meinen Waden, als ich nur in meiner Unterwäsche in den See hinein stakste. Ich war leider ziemlich langsam, wenn es darum ging, in kalte Gewässer zu gehen, aber mit genügend Zeit, ging ich Überall hinein.
Nur leider hatte ich keine Zeit.
Ohne noch länger zu überlegen, machte ich einen Hechtsprung nach vorne und verschwand in dem grünschimmernden Wasser.
Jetzt, da ich im Wasser war, mussten die anderen gar nicht erst versuchen mich zum Herauskommen zu zwingen.
Glücklich schwamm ich weiter in die Mitte des Sees und begann dort meine Runden zu ziehen.
Eine Zeit lang noch, standen Anna und Aria am Ufer und riefen mir etwas zu. Aber ich reagierte nicht.
Vielleicht hätte ich mein Hirn etwas früher einstellen müssen, denn dann wäre sicher selbst meinem naiven Ich aufgefallen, dass man bei aufziehendem Gewitter besser
nicht in einen See auf einer Lichtung Schwimmen ging.
Als der erste Blitz über den Himmel fuhr, zuckte ich zusammen. Schnell schwamm ich in Richtung Ufer und versuchte dabei so selten aufzutauchen, wie nur möglich.
Ein zweiter Blitz erhellte den mittlerweile rabenschwarzen Himmel und der Donner folgte gleich darauf.
Als ich am Ufer ankam, waren meine Kleider fort, aber stattdessen lag ein Badetuch im Gras. Ich schlang es mir um die Schultern und rannte zum Wohnwagen.
Kaum dass ich einige Schritte gegangen war, begann es zu regnen. Der Himmel schien alle seine Schleusen zu öffnen und ich rannte schneller.
An der Wohnwagentür stand Anna und zog mich, kaum dass ich sie erreicht hatte, hinein.
Dann saß ich zitternd vor Kälte, eingemummelt in zich Decken auf Livs Bett und musste Annas Strafpredigt über mich ergehen lassen.
„Wirklich Emma, du hättest auch selbst auf die Idee kommen können, dass es vielleicht keine gute Idee ist in einen See zu gehen, wenn ein Gewitter aufzieht.“
Ich verdrehte genervt die Augen.
„Jetzt lass sie doch mal. Es ist ja nichts passiert.“ Mischte sich jetzt auch Liv ein.
„Nichts passiert? Schau sie dir doch einmal an. Sie zittert am ganzen Körper.“
„Es geht mir wirklich gut, okay. Ich habe nur Schüttelfrost. Das legt sich in der nächsten halben Stunde wieder und eigentlich habe ich gar nicht mehr kalt. Mein Körper kann nur nicht aufhören zu zittern.“
Sie nickte auch wenn sie wenig zufrieden aussah und drückte mir eine Tasse Tee in die Hand. Dankend nippte ich an dem Getränk.
Aria hatte mich die ganze Zeit keines Blickes gewürdigt und wusch höchst konzentriert das Geschirr ab.
Ich ging zu ihr hinüber. Wir waren beide zwei Menschen, die einfach nicht nachgeben konnte und wenn niemand den ersten Schritt machte, dann würde das nicht gut enden.
„Hey, kann ich dir helfen?“ fragte ich zögernd und stellte meinen Teebecher auf die Ablage.
Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Als ob sie ja gesagt hätte, nahm ich mir ein Handtuch und begann das Geschirr zu trocknen.
Einige Minuten arbeiteten wir so einfach weiter und niemand sagte ein Wort.
„Wieso hast du mir nichts gesagt?“ Aria versuchte ihre Stimme ganz lässig klingen zu lassen, so als ob sie mich gerade gefragt hätte, was ich um Abendessen wollte, aber ich wusste, dass sie mit den Tränen kämpfte.
„Ich wollte es dir doch sagen. Weisst du noch? An dem Abend in Danzig. Aber dann bist du mir zuvorgekommen und was du gesagt hast, hat mich total aus der Bahn geworfen.“
Sie nickte. “Du kannst dich also tatsächlich an nichts erinnern?“ sie schielte zu mir hin.
„Doch. Mittlerweile schon. Ich weiss, dass ich mich mit meinen Eltern gestritten habe, dass ich danach mit dir auf einer Party war und ein grünes Kleid getragen habe und dass du nasse Haare hattest. Am nächsten Morgen hat mein Kopf weh getan. Vermutlich habe ich ihn mir gestoßen. Und meine Wange brannte, wie nach einer Ohrfeige…“
Ich liess den Satz unvollendet und schaute sie an
„Nein, falls du denkst, dass ich dich geschlagen habe, täuschst du dich.“
Ich nickte nachdenklich. „Kannst du mir erzählen, was passiert ist?“