Empfang der Götter
Die Menschen sind undankbar.
Nach allem, was wir für sie getan haben. Und noch tun.
Iris saß auf dem Schafberg, unweit der Stelle, an der angeblich vor kurzem ein Bausachverständiger in den Tod gestürzt war. Sie mochte die Aussicht auf die Seen und Dörfer von hier oben ganz besonders. Noch war es zu früh für die Heerscharen an Touristen, die Dank der Zahnradbahn von St. Wolfgang aus Tag für Tag den Gipfel heimsuchten. Iris war alleine.
Unten, im beschaulichen Örtchen Unterach am Attersee, konnte sie eine große Firma erkennen. Sie stellten dort Medikamente her. Iris war der Meinung, die Menschen warfen sich viel zu viele davon ein. Daher tauschte sie gelegentlich in diversen Alten- und Pflegeheimen Tabletten gegen Tic-Tac`s aus. Aber die Alten starben trotzdem.
Iris war auf dem Heimweg nach Griechenland und gönnte sich diese Pause. Die Götter des Olymp hatten die Ehre, den kommenden Empfang auszurichten. Und Iris, als ihre Botin, hatte nun die letzte der Einladungen in den hohen Norden überbracht.
Sie freute sich auf das Ereignis, das alle 100 Jahre stattfand und wahrlich eine willkommene Abwechslung war. Ihre Götter hatten nichts mehr zu tun. Die Menschen hatten sich von ihnen abgewandt.
Wer wann seine Einladung bekam, war genau geregelt. Die ersten gingen an die regierenden Häuser, und dies in alphabetischer Reihenfolge.
Sie hatte also mit Allah, dem Gott der Muslime begonnen und freute sich ihn bald auf dem Olymp begrüßen zu dürfen. Entgegen weit verbreiteter Vorurteile war der Typ nämlich eine echte Stimmungskanone!
Siddhartha Gautama, alias Buddha, hatte die zweite bekommen. Er bestand zwar nach wie vor darauf kein Gott zu sein, hatte aber trotzdem mehr als 450 Millionen Follower. Sid musste damit leben. Karma wahrscheinlich!
Gott Vater, Sohn und heiliger Geist waren die nächsten gewesen. Als Dreifaltigkeit waren sie die einzige Dreierbeziehung, die ihre Anhänger, die sich Christen nennen, akzeptierten.
Als vor zweitausend Jahren Gott Vater die Idee gehabt hatte seinen Marktanteil auszubauen, da das jüdische Volk bereits abgegrast war, hätte Iris nicht gedacht welche Erfolgsgeschichte daraus resultieren sollte. Die Marketingstrategie war genial gewesen. Gott Vater hatte seinen einzigen Sohn geschickt. Der machte einen auf Frauenversteher, Licht und Liebe, hatte damit zu der Zeit ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, und startete voll durch.
Danach folgten die hinduistischen Götter von denen unzählige bekannt sind, die aber zum Glück nie alle auf einmal anreisten.
Tief in Gedanken versunken, ließ Iris ihren Blick weit über die Landschaft schweifen. Nicht unbedingt aus Loyalität war sie bei Zeus und Hera geblieben nachdem deren Macht am Ende gewesen war. Es ist einfach so, dass neue Götter eigenes Personal haben. So auch die heilige Dreifaltigkeit. Und dies in nie gekannter Zahl.
Das Heer ihrer Engel war in strenger Hierarchie in neun Gruppen, den sogenannten Chören geordnet. Iris hatte ab und an mit einem der Erzengel zu tun, die innerhalb der Organisation ebenfalls die Rolle der Boten bekleiden. Einer davon, Michael, der vierte von sieben, hatte es ihr ganz besonders angetan. Selbst nach 2000 Jahren setzte ihr Herz noch jedes mal kurz aus, wenn sie IHN zu Gesicht bekam. Während der Schlacht von Pearl Harbor hatte er ihr einmal zugezwinkert. Schwer zu sagen, auf welcher Seite er gestanden hatte...
Nach den regierenden Häusern kamen die ehemaligen Götter-Dynastien an die Reihe: Ägyptische, griechische und nordische. Letztere hatten die vergangene Konferenz organisiert, die ohne Zweifel in die Geschichte eingehen würde - die Nordmänner verstanden es einfach zu feiern!
Auch die bevorstehende Zusammenkunft würde mit dem offiziellen Teil beginnen: Begrüßung durch den Gastgeber, kurzer Überblick zur weltpolitischen Situation, Bevölkerungsentwicklung sowie Umweltreport.
Ein gewisser L. Ron Hubbard wollte in den Stand eines Gottes erhoben werden, und hatte diesbezüglich von sich aus einen Antrag gestellt. Was für eine beispiellose Frechheit! Dennoch musste die leidige Angelegenheit behandelt werden. Iris veranschlagte dafür zwei bis drei Minuten ...
Interessanter dürfte die Analyse einer noch recht jungen, kreativen Gesellschaft auf dem Kontinent Belletristica werden, deren Herrscherin Belle offenbar einen antiautoritären Führungsstil pflegte. Sie umgab sich gleichermaßen mit Menschen, wie mit Feen und Fabelwesen. Dennoch herrschte überall Friede und ein Klima des gegenseitigen Respekts.
Belle jedenfalls, stand seit geraumer Zeit unter wohlwollender Beobachtung der Götter auf dem Erdenrund. Iris war damit höchst zufrieden.
Es folgen Vorträge zu relevanten Themen, mit anschließender Diskussionsmöglichkeit.
1. Marketing und Social Media. Wie man heilige Schriften auf Bestsellerlisten nach oben katapultiert.
2. No brain, no pain. So wählt man Bodenpersonal aus.
3. Die Kunst des stilvollen Verarmens, oder, was tun wenn die Opfergaben ausbleiben?
Das Ende dieses offiziellen Teils bildet das große Bankett, nach dem sich Oberhäupter der regierenden Häuser gewöhnlich zurückziehen, da es ihr Protokoll nicht erlaubt an dem teilzunehmen, was darauf folgt, und was man getrost ein hemmungsloses Besäufnis mit all seinen Nebenerscheinungen nennen darf. Gewöhnlich dauert es Tage, vereinzelt auch Wochen an.
Die Fahrzeuge auf der Westautobahn waren aus der Entfernung nur kleine, bunte Punkte. Vorhin hatte Iris im Gemeindegebiet von Loibichl einen Tesla auf dem Pannenstreifen ausrollen lassen um ihn sich genauer anzusehen. Dessen Lenker wusste die Ehre ihres Interesses nicht im geringsten zu schätzen. Im Gegenteil! Er schrie, schimpfte, fluchte und verpasste dem Auto mehrere Tritte. Undankbar. Die Menschen sind undankbar.
Zeus war gewillt, das zu übertreffen, was Odin vorgelegt hatte. Bereits beim abendlichen Bankett, der Met war in Strömen geflossen, wäre es beinahe zu einem ersten Eklat gekommen. Thor hatte einer Frau an den Po gefasst. Leider hatte der Gott des Donners, sturzbetrunken wie er nun einmal gewesen war, den ursprünglich anvisierten Hintern der schönen Ägypterin Isis mit dem der Jungfrau Maria verwechselt.
Die zwölf Apostel hatten sich bereits angeschickt die Veranstaltung zum Zeichen des Protestes geschlossen zu verlassen, da rettete Jesus Christus im letzten Moment die Situation. Er stand auf, erhob seinen Kelch und hielt eine kurze aber ergreifende Rede zum Thema Liebe und Vergebung, die mit den berührenden Worten endete "Wahrlich, ich sage euch - wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten St... Aua!" Etwas hatte ihn am Hinterkopf getroffen. "Ey, Mama! Du gehst mir so auf die Nerven!"
Iris mochte den Burschen. Heute könnte man das wohl nicht mehr so einfach unter den Teppich kehren, aber damals gab es die Me-Too-Debatte noch nicht.
Danach konnte Iris sich an nicht mehr viel erinnern. Irgendwann war sie mit tierischen Kopfschmerzen aufgewacht. Im offenen Kamin gloste noch eine letzte Glut. Auf dem Boden neben dem Bett lag ein leeres Met- Horn. Und sie stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass sie nicht alleine war. Jemand lag in Decken und Fellen eingewickelt neben ihr und schlief.
Sie hatte aus nahe liegenden Gründen nicht die Nerven, herauszufinden wer es war!
Es wurde Zeit. Die letzten Vorbereitungen sollten noch zeitgerecht abgeschlossen werden, damit auch dieser Empfang der Götter standesgemäß über die Bühne gehen konnte.
Die Botin des Göttervaters Zeus erhob sich, ließ ein heftiges Gewitter und tosenden Sturm aufziehen, was die Menschen, die unten die Badeplätze zu füllen begannen, zuverlässig vor Sonnenbrand und Hitzschlag bewahren würde. Diese Leute würden auch das nicht zu schätzen wissen. Aber Iris hatte nun einmal ein gutes Herz...
Ende
Sequel (für EmmaCatrina)
Drei Monate waren vergangen, und schließlich war der große Tag gekommen.
Allah war bester Laune, war er doch zum ersten mal ohne seine Ehefrauen angereist. Man muss ihn verstehen. Einst waren es 111 Jungfrauen gewesen. Aber die Ewigkeit ist verdammt lang. Er hätte sie sich besser einteilen sollen. Zudem konnte er damals, weil sie alle eine Burka trugen, im wahrsten Sinne des Wortes nicht sehen, was da auf ihn zukommen sollte. Nun, die meisten waren zum Glück recht ansehnlich. Es könnte gut für ihn laufen - wären da nicht seine 111 Schwiegermütter...
Buddha philosophierte mit Jesus Christus unter einem Olivenbaum über Gott und die Welt. Die Inder sangen Lieder und verteilten großzügig rote Punkte an jeden der einen haben wollte, die Nordmänner entdeckten eine Schafherde und zückten instinktiv ihre blanken Schwerter. Nur mit Mühe und Not (und der Aussicht auf einen Ochsen am Spieß) konnten sie von Iris davon abgehalten werden, sie hin zu metzeln. Es lief also alles erwartungsgemäß. Sogar Hera war kurzzeitig nüchtern gewesen.
Iris nahm sich eine kleine Auszeit und setzte sich auf einen Stein am Gipfel des Olymp, von wo sie alles überblicken konnte. Nur ein kleines Weilchen um durchzuatmen.
Sie wollte eben zurückkehren, als ein warmer, sanfter Windhauch sie umfing. Ein leises Rauschen war zu vernehmen, prickelnde Funken schienen in der Luft zu tanzen. In helles Licht gehüllt tauchte Michael, der schönste aller Engel neben ihr auf. Iris vergaß zu atmen.
"Darf ich mich setzten?"
"Ähm - ja klar!"
"Woran denkst du?" fragte der schönste aller Engel lächelnd.
"Ach. Ich weiß nicht."
Michael, dem nicht entgangen war, dass sie eben noch Allah beobachtet hatte, lächelte noch immer. "Kein Wunder dass er nie ein Höllen-Konzept im Islam etablieren wollte. Ich glaube, der Mann hat seine Hölle zuhause."
Iris musste grinsen.
"Du, Iris...?"
"Hm?" Sie musste rot sein, wie eine Tomate. Er kannte ihren Namen!
"Also ... was da war ... zwischen uns. Du weißt schon. In Schweden. Also ... Ich wollte dir nur sagen, ich fand`s voll schön ...!"
Jetzt aber wirklich: ENDE