Bei den ersten, warmen Sonnenstrahlen war sie erwacht, ein unbändiger Drang trieb sie dazu an, endlich aus der schweren Erde, um sich herum, auszubrechen. Sie grub und grub mit ihren Beinen und ihrem Maul, schaufelte Zoll um Zoll der trockenen Erde weg. Es war anstrengend und kostete sie schon sehr viel Kraft, doch sie musste hier aus, sie musste raus an die frische Luft, raus an die Sonne, denn dort gab es Leben, dort gab es andere ihrer Art. Sie musste sie finden, sie musste, denn nur so konnte sie für ihren Fortbestand sorgen!
So grub sie tapfer weiter, bis sie endlich, endlich, die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Körper fühlte. Die Luft war lau und frisch und so viele wunderbare Düfte umgaben sie. Obwohl sie sehr müde war, wusste sie, dass ihr nur sehr wenig Zeit blieb. Deshalb schüttelte sie noch den letzten Rest der Erde von sich ab, die nun für so viele Jahre, ihr zu Hause gewesen war. Erst vor kurzem war sie zu dem geworden, was sie jetzt war und nun war die Zeit der Paarung gekommen.
Sie erhob sich, noch ziemlich schwerfällig, in die Luft und suchte nach einem Gefährten. Auf einer frisch erblühenden Birke wurde sie fündig und schon kurz darauf näherte sich ihr auch summend ein williger Partner. Die Paarung war heftig und kurz. Wohl zu heftig für ihren, vermutlich ebenfalls sehr geschwächten Partner, denn er starb noch während des Liebesaktes und hing nun an ihr fest! Panik ergriff sie, sie wollte ihn abschütteln, doch es ging nicht. Sie versuchte wegzufliegen und hoffte er würde sich dann von ihr losreissen, doch es ging nicht. Schwer klatschte sie auf einen harten Betonboden. Der tote Gefährte, hing jedoch immer noch an ihr fest. Sie schüttelte sich, stiess nach ihm mit ihren Hinterbeinen und das kostete sie noch viel mehr Kraft. Schon halbtot, schleppte sie sich weiter. Sie musste ihn loswerden, sonst konnte sie ihre Eier nicht legen. Nochmals nahm sie alle Kräfte zusammen, wurde immer schwächer und schlaffer, denn sie musste ihn noch ein grosses Stück hinter sich herziehen. Sie wollte zu der nahgelegenen Wiese, in den Schatten der Birke zurück, nur dort gab es Hoffnung für sie.
Es war gefährlich hier auf der Strasse. Viele Leute kamen vorbei, zertrampelten sie mehrmals beinahe. Auch grosse und kleinere Vögel, tummelte sich bereits in der Nähe und würden sie bald schon entdecken, wenn sie nicht endlich irgendwo Deckung fand. Mit einer Kraft, die ihre natürliche Grenze um ein Vielfaches überstieg, schleppte sie sich in die Wiese zurück und dann endlich blieb ihr toter Partner an einem Stein hängen und wurde, wenn auch ziemlich schmerzhaft, von ihr weggerissen. Sie spürte mehr und mehr wie ihre Kräfte schwanden, sie war bereits mehr tot als lebendig, bewegte sich nur noch in Zeitlupe und ihr kleines Herz schlug nur noch sehr schwach. All das war einfach zu viel für sie. Doch sie musste noch ihre Eier legen, sie musste! Das war der einzige Zweck ihres kurzen Lebens in dieser Form. Sie stiess ihr Hinterteil in die eigentlich viel zu harte Erde, was sie noch ihre restliche Lebenskraft kostete und legte im letzten Augenblick ihre Eier!
Und dann… schloss das Maikäferweibchen für immer seine Augen…