Das Lied: https://www.youtube.com/watch?v=u90GY-fBpR8
Es war ein stürmischer, wolkiger Winterabend.
Mit zitternden Finger schob ich einen der Zweige, die vor meinem Gesicht hingen, beiseite und linste zwischen den Blättern hindurch.
Meine Finger waren an den Spitzen bereits blau und ich zitterte am ganzen Körper.
Das Kleid, das ehemals weiss gewesen war, hing mir jetzt in graubraunen Fetzen am Leibe. Meine Haare standen mir mittlerweile in einem wirren Chaos vom Kops ab und die weisse Rose, die jetzt nicht mehr weiss, sondern blutrot war, hing lose darin.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen vor mir.
In der Dunkelheit zwischen den Baumstämmen flackerte ein Feuer und ich hörte leise Stimmen. Es waren fremde Stimmen, in einer fremden Sprache.
Waren das überhaupt die anderen? Und wenn, was sollte ich sagen? Tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin, dass ich euch alle dem Tod überlassen habe?
Verzweifelt klammerte ich mich an mich selbst und begann bitterlich zu weinen.
Was hatte ich nur getan?
Heute Morgen war noch alles in Ordnung gewesen. Ich hätte heiraten sollen, dem Frieden zuliebe, doch dann war alles anders gekommen.
Es war Sonntagmorgen, eine Viertelstunde, bevor ich Jason das Ja-Wort geben sollte.
Meine Mum lächelte und strich mir über mein Kleid. „Du siehst wunderschon aus.“
Ich lächelte zurück und umarmte sie dankbar.
Meine Heirat würde das Bündnis zwischen Norden und Süden besiegeln und hoffentlich der Anfang des Friedens sein, den wir uns alle schon so lange erhofften. Ich betrachtete mich im Spiegel.
Das lange, weisse Kleid mit der blauen Spitze fiel weit herab. An den Schultern wurde es von nicht mehr als dünnen Trägern gehalten und meine Haare waren zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt.
Also ich mich wieder zu meiner Mutter umdrehte hielt diese eine Blume in ihren Händen.
Es war eine Rose.
Ich hatte schon seit Jahren keine Rose mehr gesehen. Nicht mehr, seit der Krieg zwischen uns und dem Süden ausgebrochen war. Der Krieg, den ich heute beenden musste.
Unser Krieg hatte Kälte über die ganze Welt gebracht und die Sonne verdunkelt. Auch wenn es im Süden nicht so schlimm war wie bei uns, war die Kälte Ausserhalb der geheizten Kuppeln kaum zu ertragen.
Dort gab es noch Rosen, aber auch dort kosteten sie ein kleines Vermögen.
Ich fiel meiner Mutter um den Hals und bedankte mich überschwänglich, bevor sie mir die schneeweisse Blume ins Haar steckte.
Dann betrat meine beste Freundin Samira den Raum und strahlte mich an.
„Endlich ist es so weit. Ach, ich freue mich so darauf, dass es endlich Frieden gibt. Wenn Nord und Süd nicht mehr die ganze Zeit streiten, dann kann man sich vielleicht auch endlich mal darum kümmern, dass die von Aussen integriert werden und endlich menschengerechte Lebensbedingungen bekommen.“
Das Lächeln in meinem Gesicht war erstarrt. Musste sie schon wieder damit anfangen?
Das war eines der einzigen Themen, in dem wir uns uneinig waren.
Kurz nachdem der Krieg begonnen hatte und die Sonne dunkel geworden war, waren ich und mein Bruder, zusammen mit ein paar von Vaters Soldaten zu unseren Grosseltern gereist, die in einer anderen Kuppel lebten.
Mitten auf der Fahrt waren wir von Leuten von Aussen überfallen worden und sie hatten mich und meinen Bruder entführen wollen. Die Soldaten meines Vaters hatten gekämpft. Zwei hatten dabei ihr Leben gelassen und ich hatte seit diesem Tag eine lange dünne Narbe auf meinem Arm und eine unglaubliche Wut auf die von Aussen.
„Bitte, lass uns einfach diesen Tag geniessen, ohne über die von Aussen zu sprechen, okay?“
„Ich verstehe einfach nicht, was du gegen sie hast. Sie sind Menschen, genau wie wir.“
„Ja. Das weiss ich und sie tun mir ja auch leid, aber die Kälte dort draussen, hat sie zu kaltblütigen Monster gemacht.“
Samira erwiderte nichts, aber ich wusste, dass ich sie gekränkt hatte.
„Lass uns…lass uns einfach diesen Tag geniessen okay?“ fragte ich erneut.
Dieses Mal nickte sie, aber ihr Mund blieb verkniffen.
Kurze Zeit darauf stand ich vor dem Altar, einen Schleier vor dem Gesicht und die Rose im Haar.
Mir gegenüber war Jason. Er war der Prinz des Südens und starrte stur geradeaus. Als ich ihn genauer betrachtete, fiel mir auf, dass auch er eine Rose trug. Er hatte sie in sein Revere gesteckt. Aber sie war nicht weiss wie meine, sondern blutrot.
Ob das wohl abgemacht gewesen war? Dass diejenigen, die Frieden über die Welt bringen sollten, das Zeichen des Friedens trugen?
Wenn ich mich etwas besser umgesehen hätte, denn wäre mir vielleicht schon früher aufgefallen, dass Jason bei weitem nicht der einzige war, der sich eine Rose angesteckt hatte, aber das tat ich nicht. Ich lauschte den Worten der Priesters vor uns, der mich und Jason traute.
Dann ging alles plötzlich sehr schnell.
Während der Priester noch seine Rede hielt, schrie plötzlich jemand etwas und dann war alles voller Schreie, Blut und Schüssen.
Ich sah, wie Kugeln umherflogen und zog instinktiv den Kopf ein. Auch Jason neben mir zog plötzlich eine Waffe aus seinem Umhang und schoss auf etwas, was sich hinter meinem Rücken befand. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie mein Vater schwerblutend zu Boden sank und meine Mutter sich neben ihn kniete. Wo mein Bruder war, wusste ich nicht. Vielleicht war er schon tot.
Ich duckte mich hinter den Altar und wartete ab, was geschah.
Es dauerte einen Moment, bis die Norden sich gefasst hatten, aber dann beantworteten sie das Feuer.
Ich begann gar nicht erst mich zu fragen, wieso alle hier im Saal Waffen hatten, wenn das hier eine Friedensverhandlung und eine Hochzeit war, aber vermutlich war Frieden auf diesem Planeten aussichtslos.
Als ich ein Geräusch hinter mir hörte, zuckte ich zusammen und im nächsten Moment schaute ich in den Lauf einer Waffe.
Eine Frau mittleren Alters, die von Aussen zu stammen schien, mit einer Narbe quer über dem Gesicht, blickte mich düster an. Auch sie trug eine Rose.
Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, dass diese Rose, die in meinem Haar steckte, mir heute noch mein Leben retten würde.
Ich berührte die Rose und die Frau nickte nur, bevor sie sich neben mich kauerte und zu schiessen begann.
Ob meinem Mum das wohl geahnt hatte, oder ob es einfach nur Zufall war, dass ich das Zeichen der Verräter trug?
Ich war wie gelähmt vor Entsetzen, aber meine Beine trugen mich weiter. Es war sicher nicht jeder so naiv und glaubte, dass ich ein Teil der Rebellion gegen meine Eltern war, wie diese Frau. Also war es besser, so schnell wie möglich zu verschwinden.
Ich dachte an meinen Bruder, an meine restliche Verwandtschaft, an meine beste Freundin.
Aber meine Beine liefen einfach immer weiter.
Als sie im Krieg damals ausversehen die Sonne verdunkelt hatte, war ihnen nichts Anderes übriggeblieben, als sich in dicht verschlossene, geheizte Kuppeln und Gebäude zurückzuziehen. Wer kein Geld für einen Platz hatte, der musste draussen in der eisigen Kälte alleine klarkommen.
Die Rebellin, die ich gesehen hatte, stammte eindeutig von ausserhalb, denn jeder, der innerhalb der Kuppeln die Volljährigkeit erreichte, der musste dem Bund einen Eid schwören und bekam dann ein Tattoo auf sein linkes Augenlieg gestochen.
Die Frau hatte keines gehabt, was nur den Schluss zuliess, dass sie von Aussen stammte.
Mein eigenes Augenlied wurde von einem Mond und einer Rose geziert.
Die Rose war das Symbol des Friedens und der Mond war für meine Namen. Luna.
Ich war gerannt, ohne zu schauen, wohin meine Beine mich trugen.
Ich war immer weiter und weiter gelaufen, bis ich nicht mehr konnte und dann war ich in meiner Panik noch weiter gerannt.
Erst als ich die Stimmen gehört und das Licht gesehen habe, bin ich stehen geblieben und hatte mich hinter diesem Strauch versteckt, hinter dem ich auch jetzt noch sass.
Während ich die Fremden beobachtete, hatte ich Zeit, meine Gedanken zu sortieren.
Ich war einfach Hals über Kopf geflohen und hatte meine ganze Familie und meine ganze Freude im Stich gelassen.
Klar, ich hätte nicht wirklich etwas tun können, aber trotzdem war es verantwortungslos gewesen, einfach abzuhauen.
Die Süden, oder zumindest ein Teil von ihnen, hatten sich ganz offensichtlich mit denen von Aussen zusammengetan und eine Rebellion gegen den Norden, vielleicht auch gegen den Süden angezettelt.
Die Rose schien ganz offensichtlich ihr Erkennungszeichen zu sein, was ich so grotesk fand, dass ich beinahe gelacht hätte.
Sie hatten doch tatsächlich unter der Flagge des Friedens die Friedensverhandlungen zwischen Nord und Süd bombardiert. Ich konnte es einfach nicht fassen.
Ich merkte, dass mir Tränen über die Wangen liefen und ich biss mir auf die Hand um mein Schluchzen zu unterdrücken.
Ich schlotterte immer heftiger in meinem dünnen Kleid und wenn mir nicht bald warm wurde, dann würde ich hier draussen sterben.
Ich würde kaputt und beschämt zugrunde gehen.
Ich fasste schliesslich einen Entschluss und stand zitternd auf.
Meine Beine schienen mich kaum zu tragen und ich hatte das Gefühl, dass das Feuer einfach nicht näherkam.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stand ich am Rand des Lichtscheins und verbarg mich hinter einem Baum.
Die anderen hatten mich wahrscheinlich schon lange bemerkt, aber ich war ihnen egal.
Meine Instinkte warnten mich davor, zu diesen Leuten zu gehen, aber ich hatte ja schliesslich die Rose, redete mir mein Verstand ein.
Niemand weiss wer ich bin und wenn ich die Rose zuerst versteckt halte und sie dann doch nicht zur Rebellion gehören, dann muss ich mir nur noch irgendeine Geschichte ausdenken, wieso ich so aussah und was ich hier machte.
Um das Feuer herum sassen mehrere Gestalten und etwas weiter weg waren Zelte aufgeschlagen.
Schliesslich gab ich mir einen Ruck und trat hinter dem Baum hervor.
Die Blume hielt ich in der Hand und versteckte diese hinter meinem Rücken.
Einig der Leute wandten neugierig die Köpfe als ich in den Schein des Feuers trat, andere taten, als sei ich überhaupt nicht da.
Ein Mann kam zu mir hinüber, packte mich am Oberarm und zog mich zu dem Feuer.
Über seinen Handrücken verliefen unzählige Narben und ein Tattoo, das aus mehreren dornenbesetzten Ranken und einer einzelnen, blutroten Rose bestand.
Ich ging nicht von einem Zufall aus. Deshalb zog ich die Rose hinter meinem Rücken hervor und hielt sie schützend vor mich.
Der Mann schaute nur grimmig drein und drückte mich auf einen der Holzstämme, die rund um das Feuer herum angeordnet waren.
Ein junger, muskulöser Typ stellte sich vor mich. Weil er das Feuer im Rücken hatte, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber ich glaube nicht, dass er freundlich dreinschaute.
Ich hielt ihm die Rose entgegen, als ob sie alles erklärte.
Er drehte sich wortlos um und reichte die Blume an eine Person weiter, die soeben aus einem der Zelte getreten war. Es war eine Frau, aber mehr konnte ich nicht erkennen.
Sie nahm die Rose angewidert entgegen und warf sie, ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen in die Flammen.
Ich keuchte auf. Meine letzte Hoffnung verbrannte vor meinen Augen.
Hektisch stand ich auf. Ich wollte nichts weiter als verschwinden, aber als ich aufsprang, drückte mich der Typ wieder zurück auf den Baum.
„Wohin denn so eilig?“ fragte die Frau, aber ich konnte nicht antworten.
Ich sah zwar immer noch nichts von ihr, aber diese Stimme hätte ich überall wiedererkannt.
Samira trat aus den Schatten und stellte sich vor mich.
„So sieht man sich also wieder.“ Ihr Lächeln wirkte katzenhaft und ich fühlte mich einfach nur unglaublich dumm.
Wieso war ich nur so blind gewesen?
Ich erinnerte mich an das Kleid, das Samira heute Morgen getragen hatte. Es war ein riesiges Chaos aus Ranken, Dornen und Rosen gewesen, und ich hatte den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.
„Kommandant?“ der junge Mann schaute Samira fragend an.
„Scht!“ Sie hob die Hand und der Typ verstummte.
Ich sagte nichts, aber sie wusste was ich dachte.
„Ja, da staunst du, was?“ sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
Ich schaute sie verwundert an und fragte mich, was sie jetzt wohl mit mir machen würde.
Zögernd stand ich auf, um ihr Auge in Auge gegenüberzustehen. Wir massen uns mit Blicken und als ich sie fragend anschaute, sagte sie nur: „In der Wildnis gibt es keine Rosen.“