Kapitel 2
Die Begegnung
~ Gustave Courbet ~
Derrick stand einen Moment in der Halle der Arts of Africa, holte tief Luft und sah sich noch einmal um. Das Mädchen gehörte sicher nicht zur Gruppe, die nun von einem Guide zur nächsten Skulptur geführt wurde. Er war ihr scheinbar direkt aufgefallen, einen Bruchteil einer Sekunde lang trafen sich ihre Blicke. Er hob seinen Arm und brachte seine Hand vor seinen Mund. In das kleine Mikrofon, dass in seinem Ärmel befestigt war, flüsterte er beiläufig: „Verdächtige Personen gefunden. Ein Mann, Haupthalle, und ein Mädchen, Halle für Impressionismus. Beide erstaunlich aufmerksam, reagieren merkwürdig auf Beobachtung. Achtet auf einen jüngeren Herrn, etwa 5 Fuß 10 Inches groß, trägt ein blau-kariertes Hemd und eine schwarze Brille. Ich schaue mal nach dem Mädchen.“
Mit langen Schritten machte er sich auf den Weg, den Saal für impressionistische Kunst zu betreten. Im großen Portal zwischen den Sälen vibrierte sein Handy. Seine Hand wanderte in seine Jackentasche und er zog es hervor. Auf dem Sperrbildschirm blinkte eine Nachricht von 'Hernandez' auf. Der Commissioner. Aus der Nachricht ließ sich entnehmen, dass dieser scheinbar große Probleme mit dem Gedanken hatte, dass ein seit Jahren gesuchter Kunstdieb, für die Polizei bislang absolut ungreifbar, weiblich sein könnte. Derricks erste Vermutung wäre es auch nicht gewesen, aber bei ihr hatte er ein seltsames Gefühl.
„Nähere mich Zielperson“, murmelte er schnell in sein Funkmikrofon und näherte sich dem Mädchen, dass sich gerade einen Monet ansah. Aus der Nähe konnte er einen Collegeblock erkennen, auf dem scheinbar Notizen über diverse Kunstgegenstände der Galerie niedergeschrieben waren. Eine Studentin vielleicht?
„Sie studieren Kunst?“, bemerkte er, sich neben sie stellend, ohne sie dabei auch nur eine Sekunde anzusehen. Ein kurzes Zucken durchfuhr ihren Körper, sie wandte sich erschreckt zu ihm, wobei beinahe ihre Brille herunterfiel.
„Oh. Ja, genau, an der Columbia. Eigentlich bin ich wegen der afrikanischen Ausstellung hier. Ein Projekt über die Völker Afrikas. Aber das Bild hier ist auch ganz hübsch.“
Sie sah zu Monets Klatschmohn in der Gegend von Argenteuil und rückte ihre Brille zurecht. Einen Moment lang betrachtete sie wortlos das Gemälde. Derricks Blick folgte dem ihren und musterte es eingehend. Er wollte gerade etwas sagen, um die Stille zu brechen, als sie loslachte. „Entschuldigen Sie, ich habe nicht wirklich Erfahrung mit diesen malerischen Sachen“.
Er drehte sich zu ihr. Im Augenwinkel erkannte er die Reisegruppe aus der afrikanischen Halle, die sich nun bis hierhin vorkämpfte. „Es gefällt Ihnen? Ein Monet. Eines seiner berühmtesten Werke, soweit ich weiß“.
Das Mädchen fixierte ihn kurz, aber intensiv, bevor sie sich ruckartig von ihm abwandte. „Ja, es gefällt mir. Es ist still und lebendig zugleich, meinen Sie nicht?“
Einen Moment lang überlegte er, welche Rolle er nun am Besten spielte, entschied sich dann allerdings doch für eine sehr Vertraute. Als Kunstkritiker könnte er sowieso nicht auftreten. „Ich bin da vermutlich nicht die Person, die Sie fragen sollten. In Sachen Kunst bin ich absolut ungebildet“, antwortete er lächelnd nach einer etwas zu langen Wartezeit.
Neugierig drehte sie sich zu ihm. „Und was tun sie dann hier, wenn Kunst nicht Ihr Gebiet ist?“
„Eine Einladung zum bedeutendsten Event der Stadt kann man schwer ablehnen, oder? Man trifft ne Menge interessanter Menschen hier“
Ihre Schultern fielen in dem Moment ein wenig in sich zusammen, ihr Blick nun nur noch auf den Boden gerichtet. „Sie vielleicht. Eine Studentin beachtet hier niemand“, antwortete sie etwas bedrückt.
Derrick lachte laut los, was nicht nur einen verwirrten Blick der jungen Studentin verursachte, sondern auch das Interesse einiger Personen im Raum auf sich zog. „Sie haben 'ne Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen, vorhin. Die Spraydose“, entgegnete er ihr, auf den schwarzen Rucksack auf ihrem Rücken deutend.
Die Studentin kicherte ebenfalls. „Oh Gott ist mir das peinlich! Nun, ich bin nicht so oft in so edlen Etablissements. Ich schätze, das merkt man mir an“. Sie hielt einen Moment inne. „Und Sie sind ein ziemlich wichtiger Mann, wenn Sie eine Einladung vom Met erhalten“.
Derrick ertappte sich dabei, wie er leicht rot wurde, sowas hatte er nun wirklich selten gehört. Er starrte einen Moment auf den Monet. „Wichtig nicht, nein, um Gottes Willen! Ich kann mir ja kaum ein Essen in einem der Restaurants hier auf der Fifth leisten. Fiel mir eben auf. Ich kenne bloß die ein- oder andere Person hier im Museum“.
Sie waren nun etwa auf einer Wellenlänge, die Miene der Studentin besserte sich merklich.
„Ich ziehe eh eine wirklich gute Pommesbude vor. Das kennen Sie sicher noch. Sie waren ja auch mal Student. Auch, wenn Sie mit dieser Frisur eher wie ein Musiker aussehen“
Er wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht, die nun ein wenig vorteilhafter wirkten. „Ich habe nie studiert“
Sichtlich aufgelockert lachte sie los und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die aus dem Zopf gerutscht war. „Das war ein Fehler, die Parties sind der Hammer! Aber wenn Sie nicht studiert haben, was haben Sie dann getan?“
„Ach, eigentlich unspektakulär. Ein Bürojob, bei der Bank of America. In 'nem Bürowürfel. Aber hey, immerhin habe ich eine tolle Aussicht“. Seufzend tippte er mit dem Finger auf seiner Hose herum und zuckte mit den Schultern. Ihre ohnehin schon groß wirkenden Augen wurden noch um ein vielfaches größer. „Wow, danach sehen Sie wirklich nicht aus!“
„Wonach sehe ich denn aus?“, fragte er frech und fixierte ihre Augen.
Sie wandte sich von ihm ab, schlenderte etwas den Gang hinab. Links und Rechts von ihnen hingen diverse Werke Monets, weiter hinten begann ein Abschnitt von Renoir. Vor dem letzten zu Monet gehörenden Werken blieb sie stehen. „Nach einem Rockstar, das sagte ich Ihnen doch. Die Mädchen in meinem Kurs wären verrückt nach Ihnen, wissen Sie?“
Sie zwinkerte ihm zu, und bekam ein freches Grinsen als Antwort. „Dann habe ich es also bisher nur bei den Falschen versucht?“
„Jetzt machen Sie sich nicht lächerlich“, antwortete sie, das Bild musternd.
„Wie bitte?“ Das Mädchen drehte sich um und stemmte strahlend ihre Hände in die Seiten. „Ich kenne Männer wie Sie. Tun, als wären sie einsame Wölfe, um sich an arme, unschuldige Mädchen heranzumachen!“ Ihre Augen blitzten humorvoll auf.
„Mein großes Geheimnis ist gelüftet“, prustete er los, ehe sein Handy vibrierte. Er griff flink in die Tasche seines Trenchcoats und holte es hervor.
„Die werte Gattin?“, fragte sie und nickte in dessen Richtung.
„Die gibt es leider noch nicht. Es ist...“, setzte er an, die Nachricht lesend. Etwas leiser, ernster fuhr er fort. „...die Arbeit“
„Diese Bank nimmt Sie ganz schön in Anspruch, was?“, erkundigt sie sich, leise, ohne die mädchenhafte, piepsige Stimme, die sie den Rest des Gesprächs pflegte. Eine Zeit lang schwiegen sie einander an. Das Stimmenmeer der Halle hatte sie beide eingeschlossen, eine Weile lang, und niemand traute sich, diesen Käfig zu durchbrechen.
Bis Derrick das Schweigen brach. „Werden Sie morgen hier sein?“.
Die Studentin, die gerade erst aus diesem merkwürdigen Zustand entkam, blinzelte verwirrt. „Morgen?“
„Die Ausstellung. Ist ja morgen auch noch da“.
Sie kratzte sich an der Schulter und lachte. „Oh, sicher... eigentlich hatte ich es nicht vor, es sei denn, Sie geben mir einen Grund“
Ein breites Grinsen zierte nun sein Gesicht. „Ist es Grund genug, dass ich morgen wieder hier bin?“
„Banker sind eigentlich nicht so meins, aber wer weiß? Vielleicht überraschen Sie mich ja!“.
„Wer spricht denn von Romantik? Um halb Neun in der Haupthalle?“. Er drehte sich um und ging los, vernahm noch eindeutig ein hinterhergerufenes „Wir werden sehen“
Dann wurde er von der Menge verschluckt. Schritt für Schritt begab er sich in Richtung der Herrentoilette, sein Handy in der Hand. Er schaltete es ein, auf die Worte des Commissioners konzentriert. 'Sie ist es nicht'.
Derrick wusste, dass er jedes Wort mitgehört hatte. Vielleicht hatte er Recht. Vermutlich. Er kam in einem der vielen Gänge zum Stehen. Die digitale Tastatur öffnete sich auf dem Touchscreen, und er begann, die knappe Antwort einzutippen. Nach dem Druck auf den Sendebutton erschien seine Nachricht im Chatverlauf. 'Sieht so aus'.