»Meine Verlobte, ja?«, schmunzelte Ben und schaute dabei versonnen auf Katrin, die ihm die Zeltstangen reichte.
»Ja und? Freundin klingt zu einfach und nur weil du es noch nicht geschafft hast mir einen ordentlichen Antrag zu machen, muss ich doch nicht drunter leiden«, erwiderte sie kokett und reckte ihm eine Stange vors Gesicht.
Wenn das hier so weiter geht, bin ich am Ende des Events verheiratet, das hab ich mir etwas anders vorgestellt. Ich wette, mein alter Herr wurde vorher komplett eingeweiht. Würde die Art seiner Verabschiedung erklären.
Bens Antwort lautete jedoch etwas anders. »Soso, wir sind also nun hochoffiziell verlobt. Ein Termin zur Eheschließung hast du nicht zufällig schon vereinbart? Zur Entbindung bleibt dann höchstwahrscheinlich auch nur noch wenig Zeit?«
»Nö, nicht ganz. Wart‘ ab, bis wir zuhause sind, mein Lieber. Und nu bau das Zelt auf, wenn du noch rauf zur Burg willst. Was das Kind anbelangt, können wir liebend gern weiter üben.« Katrin schenkte ihm einen ihrer durchdringenden Blicke und flirtete ihn mit klimperndem Liedschlag an. Beide grinsten wissentlich und Ben schüttelte den Kopf. »Frauen.«
»Wie meinen?«
»Hab nur laut gedacht.«
»Soso.«
Die letzte Zeltstange steckte und die Spannriemen saßen fest, sodass Katrin die Schlafsäcke im Inneren ausrollen und die mitgebrachten Utensilien verstauen konnte.
»Unser Nest ist fertig, wollen wir jetzt rüber zur Burg oder willst du dich erst noch umziehen und rumrennen wie alle Verrückten hier?«
»Ich möchte mich erst umziehen und genauso rumrennen wie die Verrückten hier, ja. Genau wie du übrigens.«
Kaum das er ausgesprochen hatte, fing er sich auch schon einen Satz heiße Ohren ein.
»Komm du mir her, ich leg dich übers Knie du möchtegern Schwertmann«, erwiderte Katrin lachend und reichte Ben seine Montur.
Da das Wetter scheinbar weiterhin mitzuspielen schien, es war sonnig und angenehm warm, entschloss er sich, das Unterzeug für seine Rüstung, eine Art dünner Jogginganzug in ebenfalls grünlich-braunen Ton gefärbt, nicht anzulegen.
Da die bereits gerüsteten Spieler allesamt ihre Schauwaffen mit sich trugen, allein um etwaige Diebstähle zu verhindern, nahm auch Ben die seinen an sich. Das Schwert gegurtet an der linken Seite seines Gürtels und den Bogen geschultert neben dem Köcher voll mit Jagdpfeilen, startete von nun an seine Rolle als Rokks, ein Schwertmann des Königs.
Ein lebendig geratener Schwertmann aus alten Tagen. Fehlen nur noch mein Streitross und ein kompletter Beritt samt Wimpel.
Es dämmerte, als Ben sein Zelt verließ und um sich schaute, um eine Orientierung des Geländes zu gewinnen. In welche Richtung musste er gehen, um einerseits Katrin einzuholen und schnellstmöglich zur Burg zu kommen?
So gerüstet dastehend, mit seinem durchtrainiert muskulösen Körperbau, hochgewachsen auf 1,86m mit einem dunkelblonden Bürstenhaarschnitt einem bartlosen und wohlig geschnittenen Gesicht, sowie markant leuchtend blauen Augen hätte er durchaus einer Fabel entsprungen sein können. Ein Mann wie ein unfällbarer Baum. Ein Schwertmann des Königs, mit einer einschüchternden, selbstsicheren Ausstrahlung – eines Fürsten gleich.
Endlich kann ich wieder sein, wer ich schon immer sein wollte, ein Kämpfer mit Ehre und Gewissen. Ein Kämpfer, der es versteht, mit Schwert und Bogen die Schwächeren und deren eingestandenen Werte zu verteidigen. Wie ich es hasse, wenn vermeidlich Kräftigere andere schikanieren oder demütigen. Die rechte Hand des Königs, sein Kämpe. Warum bin ich nicht vor vielen Jahrhunderten geboren, wo ich hätte, all dies mein lebelang haben können? Zumindest auf den LARP´s kann ich mich so ausleben. Naja, auf zur Burg, ich möchte vorher noch in Ruhe das Schmuckstück begutachten und vielleicht finde ich ja ein paar interessante Örtchen, wo ich mit Katrin träumen kann. Verflucht, wie ich diese Frau liebe.
An der Burg angekommen, stand Katrin, ein Bein an die Mauer gelehnt wartend dort und ließ sich armverschränkend die mageren Restsonnenstrahlen aufs Gesicht strahlen. Ben hakte sich unter ihre Arme und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange. »Komm Liebste, lass uns gehen.«
»Oh, mein Zukünftiger gereicht mir die Ehre. Hat ziemlich lang gedauert, ich war drauf und dran mir allein eine Aussicht zu gönnen.«
»Ah, Ihr gehört zum Event, wenn ich mich euch so betrachte. Geile Aufmachung.« An Ben gerichtet ... »Scheinst eine recht wichtige Position bei diesem Spektakel einzunehmen, wa?«, sprach die beiden ein zivil bekleideter Mann an, der bedingt seines getragenen Lanyards eine Aufsichtsperson der Burg zu sein schien.
»Hey – ja so ähnlich. Ich spiele einen der Kämpen des Königs und befehlige einige als eine Art oberster Schwertführer. Ist die Anlage komplett frei zu besichtigen, oder gibt es Einschränkungen?«
»Es gibt durchaus Bereiche im Inneren der Gebäude, wo niemand rein oder zu nah heran darf. Hier nehmt bitte einen Flyer von der Burganlage mit. In diesem sind Wegweiser und Ausführungen detailliert erklärt. Viel Spaß euch beiden.«
Dankend griff Ben zu und Katrin bedankte sich in beiderlei Namen. »He, du Träumer. Hättest dich ruhig mal bedanken können. Der Typ hat dir doch nichts getan, das du ihn nicht beachtest, oder?«
»Was? Oh, ich war in Gedanken, tut mir leid. Was meintest du eben?«
Katrin schnaubte gespielt verärgert und schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Solange du mich nicht vergisst, ist alles in Ordnung. Küss mich einfach du oller Traumtänzer.«
Gesagt getan. Herzallerliebst umarmten sie sich und tauschten eine lange und angenehme Berührung ihrer Lippen aus. Gemeinsam schlenderten sie Händchen haltend durch die Burganlage, schauten sich dabei die Räumlichkeiten an und hängten ihren Gedanken nach – höchstwahrscheinlich jeder auf seiner eigenen Weise. Katrin wohlmöglich eher der romantischen Art, in Zweisamkeit in knisternd erwärmten Wohnräumen und Bediensteten die einen rund um versorgen. Ben hingegen mehr in wirtschaftlich militärischer Sicht.
Außerhalb der Gebäude besichtigten sie den ›Gehauer Turm‹ und die ›ehemalige Munitionskammer‹, deren Aussichten wie die Kulisse schlicht grandios waren. Die Dämmerung und das schräg einfallende Sonnenlicht zauberten atemberaubende Bilder, als etwas Bens Aufmerksamkeit erregte.
Hey, verdammt – was war das denn eben?
Jagte es ihm durch den Kopf, umsehend ob Katrin dies ebenfalls bemerkt haben könnte. »Hast Du das eben gesehen?«
»Was denn?« Sie schaute ihn stirnrunzelnd an und legte den Kopf schief.
»Na das da drüben im Wäldchen.« Ben zeigte mit ausgestrecktem Arm in die gewiesene Richtung. »Ein Kurzes aufblitzen und wabern. Da wird doch wohl niemand kokeln und unser Event versauen.«
»Hm, ne. Ich hab nix gesehen, du wirst dich getäuscht haben. Vielleicht nur jemand, der sich ne Kippe ansteckt.« Unbeirrt drehte sich Katrin wieder um, schaute Richtung Bergfried und schwelgte verträumt in Gedanken. »Wollen wir noch eine Runde um den Anger gehen, Schatz?« Als dieser nicht reagierte, rüttelte sie ihn und wiederholte ihre Frage. »Ben? Wollen wir?«
Dieser beschattete seine Augen, obwohl die Sonne nicht mehr zu blenden vermochte, und strengte sich an, etwas zu erkennen, was womöglich nicht mehr da war - vielleicht auch nie da gewesen.
»Tut mir Leid Süße, ich bin mir sicher etwas gesehen zu haben und es war ganz sicher kein Feuerzeug. Ich schau mir das Mal an. Bleib du ruhig hier oben, kannst mir ja zujubeln, wenn ich unten an der Mauer vorbei komme.«
»Och man, du bist und bleibst ein Träumer, Benjamin Lager«, schalte sie ihn, als er sich an sie vorbeidrängte. Ben eilte die Mauer, der ›ehemalige Munitionskammer‹ entlang zum Tor und von dort zurück der Außenmauer weiter, von dem er der Meinung war, das seltsame Schauspiel erblickt zu haben. Dabei achtete er nicht auf die staunenden Besucher und positiven Kommentare derer, wie toll er doch gekleidet war.
Da drüben am Rand des Dickichts muss es gewesen sein. Wo zum Kuckuck – es ging alles so rasch.
Zurückblickend auf den Ausgangspunkt der Munitionskammer, auf dessen Mauer Katrin stand und ihm zusah, sollte die Richtung stimmen.
Bin ich denn der Einzige, der das bemerkt hat? War es nur Einbildung, so wie Katrin sagte? Egal, ich sehe trotzdem nach.
Und tatsächlich, ein kurzes Stück hinter dem Waldrand, in einer kleinen Senke. Ein ganz feines Glimmen und ein wabernder Schimmer in der Luft.
Was ist das da unten? Will mich hier irgendwer verkohlen? Wieso will das niemand mitbekommen haben?
Ben wägte seine Absicht dort hinabzusteigen, mit der Möglichkeit weitere Zeugen heranzurufen, ab. Entschied sich jedoch für die spannendere Methode, erst einmal selber den Helden zu spielen. Vorsichtig, aber Behänden, stolzierte er ins Wäldchen und auf die Senke zu. Wenn die Faszination gegenüber dieser Erscheinung und der Ehrgeiz der Ursache auf den Grund gehen zu müssen nicht so vehement wären, hätte er bemerkt, dass sich seine Härchen auf den Armen begannen aufzurichten. Ebenso hätte er das leicht summende Knistern der Luft wahrnehmen sollen, so als baue sich eine elektrische Spannung in der Umgebung auf. Zu spät.
»Verdammt, was ist das für ein Geräusch, meine Arme, was geht hier für´n Scheiß ... Uahhh!« War der einzige unartikulierte Laut, den er noch von sich gab. Sein rechter Fuß verfing sich in einer aus dem Boden windenden Wurzel und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Kopf voran und mit einer nahezu sauberen Gesichtsbremse landete Ben in der Senke, wo er mit der Stirn auf etwas seltsam Aussehendes aufschlug und sich eine Platzwunde direkt über dem linken Auge zuzog. Auf diesem merkwürdigen Stein, der Bemessen eines Erwachsenen, etwa Handteller groß schien, flankierte eine eingeprägte Rune, von derer jenes Glimmen ausging. So lag er nun bewusstlos und mit aufgeplatzter Braue in dieser Senke und niemand wusste von seinem Dilemma und all das nur, weil es sich für einen Helden ziemte, allein in die Tat zu schreiten.
Das aus seiner Wunde sickernde Blut sammelte sich zu einem Tropfen. Man könnte jetzt annehmen, dass dieser nach entsprechender Größe harmlos auf den verursachenden Stein viel aber ganz so einfach war, es dann doch nicht. Das Blut wurde wie von einem Magneten angezogenes Eisen - gelenkt. Erst als die Richtung stimmte, löste sich der Tropfen und fand sein Ziel in jener eingeprägten Rune des Steines.
Das zuvor noch leise Knistern in der Luft nahm weiter zu, so als würde Benjamins Verletzung als eine Art Energiequelle missbraucht. Auch das Glimmen, welches zweifelsfrei von diesem Zeichen entstammte, wurde strahlender und leuchtete nunmehr durch das angesammelte Blut hindurch und schien mit dem knisternden Geräusch wetteifern zu wollen. Das helle Licht der Rune schimmerte regelrecht durch seine Haut hindurch und selbst laienhafte Betrachter hätten die feinen Äderchen darunter mühelos sehen können.
Ein schriller Pfiff ertönte aus der Senke bis hinauf zur Burgmauer. Das immer strahlend werdende Flimmern und Knistern hatte abrupt aufgehört und dieser merkwürdige Runenstein wie auch die Erscheinung waren verschwunden. Ganz so, als wenn keines von beidem jemals an Ort und Stelle existiert hätte – auch nicht zu jener Zeit.
Das Seltsame an dieser verfahrenen Situation war, Ben war ebenso spurlos verschollen. Nichts deutete darauf hin, dass er sich je in dieser Senke aufgehalten hatte – das sich überhaupt jemand oder etwas dort befand, was dort nicht hingehörte. Das Pfeifen jedoch wurde diesmal gehört.
»Ben? Ben, was ist da los?« Stille. »Antworte verdammt, ich bin es!«, rief es von der Burgmauer herab Richtung Wäldchen, in dem er verschwand.
Zeugen, die ebenfalls dieses eigentümliche Geräusch vernahmen, schauten von dem Wäldchen hinauf zu der Rufenden, als die Ersten auch schon in jene Richtung liefen. Irgendetwas Schlimmes muss passiert sein.