Der Weg zur Heimstatt, der Siedlung Jariks und seinen Jägern lag weit im Südwestlichen. Zwischen den Grenzen Bregerans und Südfluss. Die Gruppe schlug eine nahezu direkte Richtung vom Lager der erschlagenen Gouwor zum gesetzten Ziel ein, um am späten Abend endlich wieder mit einem Dach über dem Kopf schlafen zu können. Auf dem langen Ritt dorthin sprachen die Jäger meist nur untereinander und wenn dann auch nur leise und verhalten. Sie verarbeiteten so ihr Erlebnisse und diskutierten über den Sinn oder Unsinn der neuen Landmarkierungen, die Jarik zum Zeitvertreib bei jedem ihrer Ausflüge anfertigte und stets mit weiteren Details vervollständigte. Dieser jedoch beharrte auf den Standpunkt, dass man sein Land nicht nur umfangreich kennen solle, man müsse wichtige Wegepunkte auch anderen begreiflich machen können, um eventuelle Strategien auszuarbeiten.
Thanh, der von seiner Bestimmung als Kartograf diesem Thema deutlich näher stand, pflichtete Jarik vorbehaltlos zu und bat an, die Landmarken Jariks mit den seinen bereits erstellten übereinzustimmen. Eine Ausfertigung, derer er als Gegenleistung ihm aushändigen wolle.
»Ihr habt recht. Wenn wir über kein geeignetes Kartenmaterial verfügen, wie wollen wir vernünftige Strategien anstreben, denen sich verschiedene Gruppen, die nicht ansässig sind, zu gegebenen Stellen einfinden? Ihr wisst es selbst am besten, dass die Siedler sich nie weitab der eigenen Reihen bewegen. Diese und Fremde könnten anhand der Karten einen enormen Nutzen aus unseren Wegbezeichnungen ziehen«, gab Dario, noch bevor endlos mühselige Diskussionen entbrannten zu bedenken. Eben dieser Einwand fand zu Jariks Verwunderung allgemeine Zustimmung, sodass Thanh die Zeichnungen entgegen nahm, und versprach die Angaben gewissenhaft zu behandeln.
Thanh studierte das neu erhaltene Material aufmerksam, zeichnete mit dem Zeigefinger seiner Rechten über verschiedenste Markierungen und nickte anerkennend. An einer Stelle jedoch verharrte er und stutze. »Hm. Jarik, was bedeutet dieser eingezeichneter Weg? Dieser hier oben, der den Brehin unterteilt? Bist Du dir sicher, dass das so stimmt? Ich kenne keinen Weg, der diesen überführt geschweige denn durchzieht.«
Jarik lenke sein Pferd näher an Thanh heran, um einen Blick auf die gezeigte Stelle zu werfen. »Dieser Weg – vielmehr der Pass – existiert wahrhaftig. Dieser misst geschätzte zwei bis drei Längen in der Breite und etwa vier Tausendlängen in der Strecke. Er verläuft annähernd so geschlängelt wie aufgezeichnet, wobei sich recht mittig dieses eiförmige Tal da mit kleinem Baumbestand und einer Bergquelle drängt. Dieses weitet den Pass um eine weitere Länge«, erklärte er mit stolzer Stimme. Die beiden steckten dermaßen tief in ihrem Gespräch, das keiner bemerkte, wie Ben neben ihnen herritt und aufmerksam lauschte, sowohl auch gelegentliche Blicke der Zeichnung erhaschte.
Es dämmerte bereits und der Weg blieb weiterhin, ausgenommen des Abenteuers zu Sonnenhoch, unspektakulär, sodass in regelmäßigen Abständen die Jäger abwechselnd vorausritten, zurückfielen und seitwärts abermals aufschlossen. Gelegentlich ließ sich Ben ein paar geschichtliche Gegebenheiten erläutern, versehen mit etwaigen Kommentaren und diversen Bitten, was er für das Gespräch für den kommenden Tag benötige. Seine Wünsche nebst Papier, Zeichenkohle – nach Bleistift oder Kugelschreiber wagte er nicht zu fragen – Faden, dünne Hölzer, Sand und verschiedene Verbildlichungen und Texte, die etwas über das Land aussagten. Reine verbale Geschichten wollten ihm nicht ausreichen, gab er Dario nach dessen Einwand unmissverständlich zu verstehen, um weitergereichte Ausschmückungen der Erzähler zu vermeiden. Ihm dürstete nach Fakten.
Sie ritten nunmehr seit einiger Zeit über ausgedehnte Wiesenflächen, auf denen wie kleine Inseln im Ozean Getreidebüschel zu sehen waren und in unregelmäßigen Abständen Ruinen längst vergangener Bewohner hervorstachen. Dieses Land musste einst ein Fruchtbares und vor allem Wirtschaftliches gewesen sein. Unendlicher Baumbestand, weit reichende ebene Flächen für Getreideanbau und Unmengen soliden Gesteins. Ben ließ sich abseits der Gefährten zurückfallen, um sich mit der Fauna vertraut zu machen und dem nervenden Gerede bezüglich dieser widerwärtigen Kreaturen zu entgehen. Der Wind wehte ihnen seicht von vorn entgegen und so bekam er dennoch unweigerlich vieles der geführten Gespräche mit. Immer wieder sprachen sie von dem Gemetzel und wie er angeblich so heldenhaft diese zwei Berserker tötete.
Die Brüder Fendrik und Jarik ritten nebeneinander voran, sich ihrer Nähe gewiss und so blieben ihre Andeutungen Weitestgehen ungehört – so zumindest angenommen.
»Fendrik, du hast dich ihm zur Loyalität verpflichtet und das nach alter Tradition. Hast du ihm davon erzählt oder hat er etwas erwähnt? Bis auf diese seltsamen Wünsche hat er noch nichts Handfestes von sich gegeben.«
Herber und missgünstig als gewollt viel die Antwort aus. »Grm. Nein, habe ich natürlich nicht. Ich wage es nicht, ihn mit meinen Belangen aus den Gedanken zu reißen, noch hat er mit mir gesprochen. Mir scheint, er weiche mir bewusst aus, so als habe er mitbekommen, was ich in diesem Lager von mir gab.« Ungeachtet der Blicke drehte er sich im Sattel halb herum und deutete mit dem Kinn in seine Richtung. »Schau ihn dir doch an, er ist dermaßen in sich gesunken, dass er nicht einmal bemerkt, dass ihn die anderen in ihre Gespräche einbinden wollen. Jarik, ich werde Irre, wenn ich nicht bald erfahre, was dieser Mann ausbrütet. Er umhüllt sich in Heimlichkeiten und ich hasse dies, du weißt das.«
Unerwartet riss Ben an den Zügeln seiner Stute und schnaufte. »Brr.« Er ließ sich weiter zurückfallen, da er die Nase gestrichen voll hatte. Yaeko, der als Letzter in der Kolonne ritt, nährte sich ihm von der Seite und verlangte zu erfahren, was dieses Verhalten zu bedeuten habe. Die primitivste Art zum Antworten, die ihm einfiel, war das schlichte Kopfnicken, mit der er ihm bedeutete, sich zu entfernen. Reichlich unhöflich, sich so zu geben, da Yaeko ihm nichts tat, aber das Maß war halt voll.
»Ach, mach doch, was du willst«, schnaubte dieser ihm verärgert entgegen und gab seinem Pferd die Sporen, um an die Seite der beiden Brüder zu eilen. Diese schauten sich beklommen an und ließen sich wie zuvor Ben ebenfalls zurückfallen. Bens Stute wieherte zum Gruße, ihr Reiter jedoch schwieg beharrlich. Es verging eine ganze Weile, bis Ben sich unvermittelt über den Hals seines Pferdes beugte, vor sich hinbrabbelte und wieder aufrichtete. Er fixierte Fendrik und atmete schwerfällig aus. »Was meinst du, wieso ich deine Gegenwart meide, hm?«
»Wie?« Fendrik war irritiert, so unverhofft mit derlei Frage konfrontiert zu werden.
»Ich habe gehört, was du in jenem Lager sagtest. Entschuldigung, geschworen hast. Auf mich, einen einundzwanzigjährigen Fremden, der Spaß am Bogenschießen, Schwertkampf und Reiten empfindet. Ich kann mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass ausgerechnet diese Hobbys mich zu einem Helden machen sollen.« Er stockte und seine Stimme klang nun traurig. »Wenn ich doch nur ansatzweise verstehen könnte, was hier passiert.«
»Möglicherweise hilft dir der morgige Tag weiter, sobald du die geforderten Dinge und Texte bekommst. Gib dir etwas Zeit, mein Freund«, entgegnete Jarik mit einem vielsagenden Blick zu seinem Bruder.
Von vorn nährte sich ein Reiter und bellte ein heiteres Lachen, welches Ben aus den getrübten Gedanken zurück in die Gegenwart lockte. »Wir sind beinahe zu Hause, schaut dort drüben!« Der Melder bedeutete eine Richtung und ritt an ihnen vorüber um sein Pferd zu wenden und preschte abermals voraus. Der Stimme nach zu urteilen konnte es nur Eric gewesen sein, der diesen Lachanfall hegte. Verblüfft stellte Ben fest, wie Dunkel es geworden war und wie sehr sich die Montur der Jäger in die Natur des Waldes fügte. Bedingt des matten Scheines des Lichtes, welches sich noch hartnäckig durch das Geäst der Bäume zwängte, sowie der braunen Kleidung ließ sich nicht eindeutig feststellen, wer es tatsächlich war. Jarik ritt im selben Moment vor und erklärte Ben beiläufig, dass er den Siedlern die Ankunft melden wolle. An Dario und Thanh ermahnte er mit einem Blick ihrer Versprechen.