Nahe einer Gebirgsschlucht und in derer Schatten, standen Männer im fahlen Licht der Sterne. Kein Feuer brannte und keine Fackel erleuchtete den Bereich, wo diese sich aufhielten. In den Bäumen des Umlandes kauerten ebenfalls Gleichgesinnte und beobachteten. Mit scharfen Augen achteten diese auf jedwede Bewegung in den Schatten und warnten so rechtzeitig vor Gefahren oder neugierigen Blicken. Die beiden Brüder Jarik und Fendrik näherten sich ihrem Versammlungsort und traten in die Reihen der Vorausgeeilten.
»Sind die Wachen auf Posten, Eric?«
»Ja, sind sie. Die Männer haben rund um den Felsen Stellung bezogen und schirmen uns vor Neugierigen ab. Du wolltest uns kurz nach Anbruch der Nacht hier versammelt haben. Tu uns den Gefallen und erzähl uns, was es mit diesem Treffen auf sich hat. Wir waren lange unterwegs und wollen schlafen.«
»Du hast recht, ich will mich kurzfassen.« Lauter und an die Übrigen gerichtet erklärte er seine Beweggründe. »Männer, die heutige Tageswende war alles andere als sparsam mit Ereignissen. Wir können das Erlebte nicht einfach über Nacht verwerfen, dafür sind diese zu bedeutungsvoll. Ich für meinen Teil kann mir keinen Reim auf diese machen und benötige euren Rat.«
Yaeko war der Erste, der die Ruhe der Versammelten brach. »Verdammt, mir geistert noch immer der Zwischenfall im Lager der Gouwors vorm Auge herum, vor allem wie Benjamin die beiden Berserker wortwörtlich zerlegt hat.«
»Mir geht‘s gleich. Habt ihr diesen Blick von dem Alten gesehen? Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, ich kenne diesen Dario. Zumindest sieht er jemanden ähnlich, der durch die Marken wandert, Geschichten aus vergangen Tagen erzählt und seine Heilkunst anbietet.«
»Diesen Blick habe ich ebenfalls bemerkt, aber nur, weil dieser viel zu eigenartig war. Da war ein seltsames Leuchten in seinen Augen, so als wenn er sich an etwas Wahrhaftiges erinnert.«
»Fendrik, er hat doch selber gesagt, dass er in Benjamin einen Schwertmann von einst erkannt haben will.«
»Nein Jarik. Da war etwas anderes. Dieser Dario hat sich an etwas oder jemanden erinnert, nicht an eine Geschichte. Dieser Mann trägt ein Geheimnis mit oder in sich, nur ist mir schleierhaft, ob er dieses für oder gegen uns zum Ausdruck bringen wird.«
»Ich glaube, Fendrik liegt mit seiner Vermutung gar nicht so verkehrt. Dieser Dario ist mehr, als er zu sein vorgibt. Ich bin mir nicht sicher, was diesen Mann betrifft. Wir sollten ihn im Auge behalten. Zumindest solange bis wir wissen, auf wessen Seite er wahrlich steht.«
Zustimmendes Gemurmel von den anderen belegte deren selbige Gefühlsregungen. Durcheinander geworfenes und zusammenhangloses Gerede wurde Laut, sodass Eric mit erhobenen Händen um Einhalt bat. »Fassen wir zusammen. Im Hein des Passes taucht wie durch Einwirkung irgendeiner Magie ein Unbekannter, den wir als Benjamin kennengelernt haben auf. Ebenso wissen wir, dass außer dieser Ruine auf der Insel im Brinn, wo dereinst der letzte Pretus lebte, bisher keine wirkliche Magie mehr gesichtet wurde. Auch von dem Hüter, der im großen Krieg mit geflohen sein soll, fehlt weiterhin jede Spur. Die Lynken kehrten nie wieder zurück und die Naïns scheinen ausgerottet«, gab Eric zu bedenken.
»Wer oder was also, hat uns Benjamin hier hergebracht? Er kann sich eine Geschichte, wie die seine nicht einfach ausgedacht haben. Ich glaube ihm in diesen Punkten ausnahmslos.«
»Und das aus deinem Munde, meines ach so skeptischen Bruders«, feixte Fendrik und fügte den zu bedenkenden bei: »Nehmen wir einmal an, Magie ist wahrhaftig die Ursache für sein Erscheinen. Dass er auf unserer Seite steht, ist unbestritten, andererseits wären wir gegenwärtig nicht hier, sondern würden bereits kalt im Pass verfaulen. Warum also wurde er ausgerechnet dort im Pass von uns gefunden und nicht woanders?« Allgemeines Achselzucken bedeutete ihm dieselbe Ratlosigkeit. »Ich vermute, dass dieser Ort bereits vor langer Zeit feststand, weil dieser eben der sicherste ist, den unser Land zu bieten hat. Demnach hat der oder diejenige dafür gesorgt, dass unser Zuwachs eben genau an diesem Ort erscheinen wird.«
»Klingt annehmbar. Sein Auftauchen muss demnach bereits vor langer Zeit beschlossen sein. Nur wie wusste die Magie, wen sie uns zu bringen hat und von wo? Sie trug ihn aus seiner in unsere Welt.«
»Oder von seiner in unsere Zeit. Wobei, dann müsste er das Land erkennen müssen. Nein, verwerfen wir diesen Gedanken, sprich weiter.«
»Eric, die Sache ist doch die, dass Benjamin gekleidet und bewaffnet, wie einer der obersten Schwertmänner aufgetaucht ist. Seine Art zu kämpfen oder gar eine Waffe zu führen entspricht ähnlich den Auslegungen der Geschichten über jene Männer, sodass ich der Auffassung bin, ihn auch als einen solchen zu behandeln. Er ist hier und es spielt absolut keine Rolle aus welcher Zeit oder von welchem Ort er kommt. Wenn er in unserer Welt verweilt, wovon wir vorerst ausgehen müssen, gebietet es die Achtung und Tradition von jedem von uns. Wir haben miterlebt, wie er ungewollt Eric fast enthauptete und wie er zwei Berserker halbierte. Dieser Mann ist mehr als nur Eins mit der Waffe. Wie er mit dem Bogen umzugehen weiß, werden wir noch erfahren.«
»Nicht zu vergessen, dass er reitet wie einer der unseren. Er bestieg ein fremdes Pferd ohne Scheu, noch dazu Jariks wilde Bestie. Und jeder hier kann bestätigen, dass sie nur meinen Bruder selbst in die Nähe lässt. Benjamin hingegen hat sie sich einfach gegriffen und ritt los.«
Leichtes und verhaltenes Gelächter ertönte, sodass Jarik erst jetzt auffiel, dass ihm diese Tatsache vollkommen entglitten war. »Verdammt, ihr habt recht. Ich habe mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich selber wage sie nicht beim Jagdausflug zu reiten, aber er? Sie hat sich von ihm anstandslos führen lassen. Ich gehe davon aus, dass sie die längste Zeit die meine war.«
Für diese Feststellung erhielt er allgemeine Zustimmung und Gutheißen seiner Idee und beschloss das Pferd zu verschenken.
»Jarik, eines solltest du noch bedenken.«
»Das wäre?«
»Nun, zum Beispiel Fendriks Treueeid. So Jung er auch sein mag, jedermann hier weiß, dass er niemals voreilig Dinge verspricht oder Zugeständnisse einräumt. Schon gar nicht Loyalität oder Treue, selbst dir gegenüber nicht.«
»Du hast Recht, Eric. Von dieser Seite betrachtet – ich weiß nicht recht. Ich habe das Gefühl, das uns mit Benjamin noch Ereignisreiches bevorsteht. Konntet ihr in der kurzen Zeit das Zeug zusammensuchen, welches er zu Morgen wünscht?«
»Ja, aber uns ist schleierhaft, was er mit dem ganzen Kram anfangen will. Kohle und Papier leuchtet ein. Aber Faden, Hölzer und Sand?«
Alle Anwesenden verzogen fragend die Schultern und sahen sich unwissend an. »Wir werden es erfahren, sobald es so weit ist. Wichtig ist jedoch, dass wir versuchen, ihn so wenig wie möglich zu drängen. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er sich uns erklären.«
Jarik fiel auf, dass Eric und die übrigen Männer sich nervös verhielten. Sogar seit Beginn des Treffens. Irgendetwas stimmte nicht, und noch bevor er seine Vermutung äußerte, stupst einer der Jäger seinen Stellvertreter an.
»Eric, was geht hier vor? Erklärt euch, ich versteh dieses Unbehagen nicht.«
Dieser ließ ein erleichtertes Ausatmen vernehmen und setzt an zur Erklärung. »Hör zu Jarik, es ist weder etwas gegen dich noch gegen deine Führung der Gruppe.« Er hielt inne und suchte sichtlich nach den richtigen Worten.
»Was willst du mir sagen? Verflucht, was ist los mit euch?«
»Wir alle haben den Eid deines Bruders vernommen, die die nicht mit uns waren haben es schon erfahren. Wir haben uns Gedanken gemacht. Wir haben Benjamin, wenn auch erst vor Kurzem, kennengelernt. Verdammt, er hat etwas an sich Jarik. Ich kann es nicht beschreiben, aber er strahlt etwas aus, was ich sonst noch bei niemand anderem gespürt habe. Sicherheit, Ehre und Verlangen. Jarik du musst uns verstehen …« durchschauend der Situation legte Jarik seine Hände auf Erics Schulter und unterbrach dessen Ausführungen. Er atmete schwer aus, senkte den Blick. »Ich verstehe mein Freund. Auch ich spüre es, seit dem Moment als er vor Erreichen der Heimstatt zu mir und Fendrik aufschloss und uns sein Bekümmern mitteilte. Wir sind ihm längst Untertan.«
Die Erkenntnis, dieses von ihrem Anführer, stammenden Geständnisses musste sich erst in den Köpfen seiner Freunde und Kameraden verfestigen. Jeder in der Gruppe sah sich zuversichtlich in die Augen und richtete sich dann aufmunternd an Jarik.
»So lasst uns dann den Eid sprechen und ihn vorerst unwissentlich zu unserem Anführer benennen. Wir wollen ihm helfen, wo er Hilfe bedarf. Wir wollen ihn leiten, wo er Leitung bedarf. Geht und holt die Posten, der kommende Moment ist der unsere und niemand soll ausgeschlossen sein.«
Es dauerte nicht Lange, bis alle Jäger der hiesigen Siedlung sich einfanden, um den Eid zu leisten. Das Gebiet rings um ihren Versammlungsfelsen war friedlich und kein Neugieriger befand sich in dessen Nähe, um zu lauschen. »Männer, Jäger von Middellande. Ihr wurdet bereits von unserem neuen Begleiter ausgiebig unterrichtet und wir sind zum Entschluss gekommen, diesen zu unserem obersten Schwertmann zu küren. Wir wollen ihm unsere Treue schwören.«
Die versammelten Jäger, sechsundzwanzig Mann an der Zahl, strafften ihre Körper, führten die geschlossene Rechte zum Herzen und begannen gemeinsam den Eid zu leisten.
Ein Uhu rief in die Nacht und bot dem Moment eine geheimnisumwobene Situation – ein Zeuge des zu leistenden Schwures.
»In Treue fest, dem Volke Gefahr bedroht, mein Pferd mich trägt zu dessen Not, soll Eile sein stets das Gebot.«