Ben schritt über den schlichten Vorplatz, den man mit der Errichtung der Hütten hergerichtet hatte und stand in der Tür zu seiner eigenen Unterkunft. Diese war genauso aufgebaut wie die Vorherige und vermutlich wie die Dritte. Eine kleine Schwinge mit weißem Bauch hockte auf einem Sparren, der etwas hervorragte. Es schien das Treiben zu beobachten. Auf seinen dünnen Beinchen hüpfte diese ein winziges Stück vor und breitet seine Flügel aus – Schwingen, daher auch die Bezeichnung des Vogels mit selbigen Namen. Er sprang, trillerte zwei pfeifende Töne und erhob sich elegant in die Lüfte. Ben sah ihm hinterher, bis diese außer Sichtweite geriet, sodann trat er ein. Anstatt der gefüllten Regale befand sich im linken hinteren Raum eine Kammer mit Bettstatt und in der Rechten seine georderten Materialien. Fendrik stand in dieser und stellte behutsam eine Kiste nieder.
»Ich dachte, du bist nebenan, bei den anderen.«
»Oh, hallo Benjamin. Nein, mir war wichtiger deinen Kram hierher zu schaffen. Ich wollte es aus der Siedlung raus haben, sodass du etwas zur Ruhe kommst.«
»Danke dir. Die Hütten sind stabiler als die, die ich bisher gesehen habe. Wie kommt‘s?«
»Das stimmt. Jarik hat sich ganz schön angestrengt. Du spornst die Leute an mehr zu geben, als sie sonst geben würden. Mein Bruder vermutet scheinbar, dass das hier eine ständige Einrichtung bleiben wird, und hat deswegen wohl auf diese Bauweise bestanden.«
»Wie darf ich das verstehen?« Ben runzelte die fragend die Stirn.
Fendrik drückte den Rücken nach hinten durch und drehte sich mit aufgestützten Händen die Hüfte, bevor er die Kammer verließ und in den eigentlichen Wohnraum trat. »Sie sehen zu dir auf, Benjamin. Ich hatte bereits mit Yaeko darüber gesprochen, er stimmt mit mir überein, dass die Leute in dir etwas Besonderes sehen.«
Verlegen schaute sich Ben in der Hütte um und begutachtete aus dem Augenwinkel die aufgereihten wie angesammelten Materialien. Sein Schwert, der Bogen samt gefülltem Köcher als auch seine geliebte Rüstung, hingen blank poliert an einem Ständer.
»Genau das meine ich mit Mühe geben«, meinte Fendrik, der die Blicke richtig zu deuten wusste.
Ben verzog den Mund und begab sich schwer atmend zu dem ihm nahestehenden Tisch und hockte sich auf dessen Kante. Er schaute seinem neuen Freund, er hatte in kurzer Zeit einige hinzugewonnen, direkt in die Augen und suchte dort nach den richtigen Worten. »Ich hoffe, allen gerecht werden zu können. Fendrik, sei bitte ehrlich zu mir, ohne Ausflüchte oder Untertreibungen.«
»Versprochen«, äußerte dieser mit erhobener Hand und lehnte sich leicht schräg gespannt an die Kammerwand.
»An jener Tageswende, als wir hier eintrafen und ich mich zur Ruhe legte. Ihr, also die Jäger haben sich in besagter Nacht, genau an diesem Ort getroffen.«
»Ja, haben wir und wir haben über das Erlebte und deiner Person diskutiert.«
Ben sah auf. »Sie haben deine Worte wiederholt? Sie haben den Eid gesprochen? Alle, auch dein Bruder?«, verlangte er mit zittriger Stimme zu erfahren.
»Auch das, mein Freund. Jeder der hier lebenden Jäger untersteht deiner Weisung und jeder der nunmehr Anwesenden wird es ebenso tun. Benjamin, mit dir an unserer Seite besteht nach drei verflucht langen Generationen endlich wieder Hoffnung.«
Bei diesen erwartungsvollen Worten stieß sich Ben von dem Tisch ab und war mit zwei langen Schritten an Fendrik heran. Er ergriff dessen Armgelenk flehend und blickte bittend auf. »Ich weiß nicht, ob ich mit solch einer Verantwortung umgehen kann. Das hier ist kein Spiel und es werden Menschen sterben, höchstwahrscheinlich sogar komplette Familien und alles soll auf meinen Schultern lasten?«
»Diese Menschen sterben so oder so, das ist gewiss. Um ein sehr vieles schneller jedoch ohne jemanden wie dich, der es schafft, den Hoffnungsfunken in unseren Herzen zu schüren. Benjamin, mit dir als Anführer kann daraus sogar ein Flächenbrand entstehen, der diese verfluchte Brut über den Brinn zurückzutreiben imstande ist.«
»Ich muss nachdenken.« Schlaff ließ er den Arm seines Freundes los und ballte die nun frei gewordene Hand kräftig zur Faust, sodass die Gelenke knackten und die Knöchel weiß hervortraten. Er wendete sich ab und seine Stimme klang ermattet. »Ich habe es mir beinahe gedacht, dass so etwas passiert, nachdem du mir die Loyalität geschworen hast. Geh bitte zu Jarik, er wird dich mit den Schreinern und einigen Jägern ausschicken, um Esche zu fällen. Er wird es dir erklären.«
Fendrik hob die Rechte um sie Ben beruhigend auf die Schulter zu legen, verharrte aber im letzten Moment und zog sie zurück. »Ruh dich aus mein Freund, viel Arbeit wartet auf uns.« Er drehte sich abrupt herum, verließ ohne weitere Kommentare die Hütte und ließ Ben in seinem mutlosem Zustand allein zurück.
Ich bin Anführer von einhundert Jägern. Männer, die noch verdammt viel trainieren müssen. Ich soll sie anführen und bestenfalls ein komplettes Volk befreien. Was habe ich nur verbrochen, um hierher zu gelangen?
Gedankenschwanger über die Gegebenheiten streifte Ben durch seine kleine Hütte. Ein Tisch, drei Stühle, ein Ständer behangen mit seiner Rüstung und Waffen. Eine Bettstatt mit Schlafsack, dessen Inhalt nach frischem Stroh duftete. Noch tief in Gedanken, hob er den gefüllten Sack an, um sich das darunter anzusehen. Das Gestell der Lagerstätte wurde innen mit noch feuchten Lederschnüren, in Form von Maschen bespannt. Auf diesen ruhte das Kissen.
Naja, kein Lattenrost, aber was will ich erwarten. Besser als nichts.
Draußen wurden Befehle gerufen und Gruppen zusammengestellt. Vereinzelt drangen Erklärungen an sein Ohr, welche Gruppe zu welchen Zehnteltagen zu trainieren habe und wann Wachablösungen stattfinden sollten. Sogar die erste gemeinsame Übung zum Strammstehen – »Achtung!« wurde zelebriert.
Ben schwenkte von seiner Bettstatt Richtung Tisch und heftete den Blick auf seine eigene, auf dem Ständer drapierte Ausrüstung und strich mit der Rechten über die mittlerweile vertraut tragende Jagdkleidung. Er fuhr mit den Fingerspitzen die Nähte entlang, betastet die Unebenheiten der verschlissenen Stellen und fasste eine nachhaltige Entscheidung.
Schluss mit Trübsal, jeder ist seines eigen Glückes Schmied. Sie wollen mich als ihren Leithammel. Ich soll ihr Volk retten. Gut, dann sollen sie auch einen Anführer zu Gesicht bekommen. Kein Versteckspiel mehr, alles oder nichts.
Er griff sich zur Linken seines Oberkörpers und öffnet die Schnallen seiner Lederrüstung. Nach und nach entledigt er sich der getragenen Jagdbekleidung und tauschte diese gegen seine allseits geliebte. Sie war schwerer zu tragen, lag aber aufgrund der passgenauen Anfertigung deutlich besser an und fühlte sich in dieser auch so. Sein Schwert band er sich von links locker um die Hüfte und überprüfte derer sicheren Sitz. Als er mit seiner Aufmachung zufrieden war, drehte er sich Richtung Ausgang und schritt zum Eingang.