Es war beinahe Sonnenhoch, als Ben in Begleitung von Jarik und einem halben Beritt aus dem Pass hinaus ins offene Tal einritt. Weite Flächen saftig grünen Grases, soweit das Auge blickte und üppige Baumbestände hießen die Vorhut in ihrer neu erkorenen Heimat willkommen. Sie waren später losgekommen als ursprünglich bedacht, dazu brachen bei einigen Fuhrwerken auch noch die Räder und mussten mühevoll gewechselt bzw. gerichtet werden. Der Pass an sich wurde zwar vom umherliegenden Geröll befreit, die vielen Unebenheiten jedoch hatten den Karren zu schaffen gemacht und konnten erst nachträglich beseitigt werden.
Einer aus dem Beritt ritt ein Stück voraus und beschattete mit der Rechten seine Augen. »Wie schön es hier ist.«
»Von dem, was ich momentan sehen kann, stimme ich dir vorbehaltlos zu.« Ben ließ seinen Blick umherschweifen und sah zurück zu den nahenden Karren. Jarik bemerkte den Ausdruck und erriet seine Gedanken.
»Dafür, dass nur wenige Räder uns aufgehalten haben, sind wir zügig vorangekommen. Was wollen wir verlangen, bei nur zwei Zehntagen, die die Arbeiter für die Vorbereitung Zeit bekamen. Wir sollten weitere abstellen, um zumindest die gröbsten Hindernisse zu beseitigen. Sie sind nicht nur hinderlich für Karren, diese können auch zu verdammten Stolperfallen für unsere Tiere werden.« Er klopfte zur Bekräftigung seiner Aussage auf den Hals seines Pferdes.
»Durchaus mein Freund, nur sollten wir vorerst unser Augenmerk auf dein Volk richten. Der Pass kann und wird warten müssen.«
Immer mehr Karren rollten hervor und die Gesichter, die ihre künftige Heimat erblickten, strahlten in schierer Zuversicht. Nicht minder wenigen liefen vor Freude Tränen den Wangen hinab. Wieder andere warfen sich in die Arme und schluchzten. Es war ihnen vollkommen gleich, ob sie sich kannten oder nicht, in diesem Moment waren sie alle miteinander vereint.
»Zeig mir doch mal bitte die Karte, Jarik. Ich möchte unsere Leute nahe des Passes versammeln und ihr erstes richtiges Heim beginnen, abzustecken.«
Thanh gesellte sich zu ihnen und zu dritt studierten sie die eingezeichneten Konturen des Umlandes. Eilig wanderten Finger über die Zeichnungen und erklärte Kommentare seitens Jarik.
»Hier. An dieser Stelle scheint mir ein geeigneter Platz zu sein. Und hier könnte ein Steinbruch entstehen; zum Verarbeiten von benötigten Blöcken mehr als brauchbar. Der Wald drum herum sichert uns genügend Holz und diese Fläche hier ...« Ben malte mit dem Zeigefinger einen Platz nach und blickte in die Ferne. »... könnte für künftige Ackerflächen herhalten.«
»Sofern die Topografien stimmen, die Jarik eingezeichnet hat ...« er kam nicht dazu den Satz zu vollenden, da er unsanft von der Seite angestoßen wurde und folglich fast vom Sattel rutschte.
»Sie stimmen, Thanh. Meine Karte ist sicherlich nicht so gut, wie die deinen, aber die Geländemarkierungen passen. Vertraut mir.«
»Hey. Ich weiß, dass du sorgfältig bist. Ich hatte schließlich ausreichend Material von Middellande bekommen. Ich meine nur, wir sollten uns das Gelände vorher nochmals ansehen ... oder wollen wir den gesamten Tross fehlleiten?«
Ben schritt ein, bevor sich der Zwist zwischen den beiden verschärfte, und schüttelt den Kopf. »Lange Rede kurzer Sinn. Yaeko, stell drei Scharen zusammen, ich möchte, dass zwei nördlich des hier markierten Waldes und die Dritte in der Nähe des Passes patrouillieren. Sie sollen etwa eine halbe Tausendlänge vorausreiten und Ausschau halten. Schicke im Anschluss eine Ablöse des Weges. Das gesamte Gebiet, zwischen Pass und diesem Wald, wird ständig bestreift.«
Yaeko quittierte den Befehl mit dem üblichen Griff der rechten zum Herzen und ritt hinüber zu dem wartenden Beritt. Deren Pferde zupften an den saftigen Grashalmen und warfen entspannt ihre Köpfe hin und her – vereinzelt wieherten sie ausgelassen.
»Jarik, Thanh. Wir werden uns mit einer weiteren Schar den südwestlichen Gebirgsverlauf bis zum westlich eingezeichneten Wald ansehen. Der gesamte Tross wird von den übrigen Männern flankiert und verbleibt an Ort und Stelle, bis wir entschieden haben, wo wir beginnen.«
»Dann mal los Freunde.«
Befehle hallten durch die Reihen und jene der vier ausgerufenen Scharen ritten aus. Die Übrigen saßen ab und gruppierten sich um den Tross, der in drei ineinander geordneten Kreisen Aufstellung bezog. Auf dem Weg zum eingezeichneten Wald begann Thanh sogleich mit seiner Wesensaufgabe – der Erstellung einer verwertbaren Landkarte ihrer auserkorenen Heimat. Jarik, der neben Ben im Sattel saß, bedeutet ihm mit dem Arm und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Thanh, dafür bekommst du noch mehr als genug Zeit. Lass uns doch erst einmal einen Ort finden, an dem unsere Leute anfangen können ihre Wurzeln zu schlagen.«
»Ja ja, ich nutze nur die Gelegenheit, um grobe Umrisse zu markieren, anhand denen ich mich anschließend leichter orientieren kann.«
»Lass ihn Benjamin, er ist halt, wie er ist. Schau, er hört schon gar nicht mehr zu. Unverbesserlich.«
Sich umsehend schüttelte Ben den Kopf und kratzte sich den Nacken, schaute zu Jarik und beide lachten über das bemühte Verhalten Thanhs, der verwundert aufblickte und bemerkte, dass das Gelächter ihm galt. »Was ist?«
»Nichts, gar nichts«, erhielt er lachend Antwort. Der Beritt ritt weiter in die angedeutete Richtung des in Sicht kommenden Waldverlaufes und überquerte einen schmalen Bach, dessen Ursprung eine Bergquelle entsprang und in nordöstlicher Richtung im Wald außer Sicht geriet. Der Bach war nicht sehr breit oder Tief, dafür aber glasklar und kühl.
»Dort. Da drüben!«, rief, Jarik erregt und gab seinem Pferd die Sporen. Ben und die begleitende Schar eilten ihm sogleich hinterher, ohne zu ahnen, weshalb Jarik so abrupt voranpreschte. Thanh verlor vor Schreck beinahe seine Notizen und versuchte diese ungeschickt, zwischen Zügel und den Fingern zu halten, als sein Pferd sich bemühte, mit seinen Artgenossen gleichauf zu sein.
»Was hast du?«, rief Ben hinüber, und erweiterte seinen Blickwinkel um das Gelände weiträumiger in Augenschein zu nehmen. Begreifend der Situation weiteten sich seine Augen vor Erstaunen und beantwortete die unbeantwortete Frage selbst.