Die beiden ausgesandten Späher, Galoth und Kabar, betraten einen ungewöhnlich geformten Höhleneingang, der bemessen an seinem Umriss durchaus in der Lage wäre, einen der großen und schwer beladenen Lastenkarren der Pferdemenschen in Gänze zu verschlucken. Je nach Betrachtungswinkel, Sonnenstand und einer Portion Fantasie könnte man meinen, der Zugang besäße die Form eines weit aufgerissenen Maules mit zwei angedeuteten Reißzähnen in den oberen Ecken.
Der Überhang des Einganges warf einen finster aussehenden Schatten auf die Eintretenden. Aus dem Inneren drang ein stetes und anhaltendes Klopfen; auch ein schleifendes Rumoren war zu vernehmen, welches klang, als würde eine riesige Bestie im Schlummer schnaufen.
Die Höhle war ebenerdig, mit festem felsigen Grund und weitet sich nach etwa einer Länge in eine geräumige Halle in Form eines beinahe gleichschenkligen Secheckes von geschätzten drei Längen zu jeder Seite. Gegenüber des Einganges, weitestgehend mittig dieser Halle, führte ein flacher Anstieg hinauf ins Dunkle. Jedwede Seite dieses Sechseckes, ausgenommen des Zuganges als auch der Rampe waren Nischen zu erkennen. Noch grob behauene Wände und eine angedeutete Sitzbank sowie eine bereits eingelassene metallene Halterung ließen darauf schließen, dass diese in den Fels getriebenen Flächen einen künftigen Zweck verfolgten.
Galoth und Kabar hielten ohne Umschweife auf den Anstieg zu und folgten diesem ohne Scheu vor den wiederkehrenden Geräuschen in einen anmündenden Tunnel. Dieser führte die beiden Naïns in seichten Windungen stätig nach oben, als nach einigen Längen des Weges ein Lichtschein und Bewegungen an dessen Ende wahrzunehmen waren.
Aufgeregte Rufe schallten und die Klopf- sowie Schleifgeräusche verstummten. Dafür erschienen nun zusätzliche Lichter am Tunnelende und ein erkennender Ruf sorgte sogleich für Ruhe. »Ah, die wehrten Brüder gereichen uns Ehre. Aguschal wartet seit zwei Tageswenden auf Nachricht. Wo wart ihr bloß so lange?«
Die beiden Späher traten aus dem rau bearbeiteten Gang und passierten ein aktuell fertig gestelltes Portal, wo zu ihrer Linken einer ihrer Artgenossen ein massives Torscharnier in den Fels trieb. Zwei weitere, der ihren richteten zur selben Zeit den eingelassenen und schwer verstärkten Torflügel zur Rechten aus. Den Raum, den sie betraten, würde nach Fertigstellung als Wach- und Empfangshalle dienen und wurde von den fleißigen Steinschlägern mit den Naïn typischen Friesen versehen. Die Felswände waren nahezu glatt und kunstvoll behauen, vier nachträglich bearbeitete runde Steinsäulen, die vom Boden bis hinauf zur Höhlendecke reichten, stützen nicht nur die drückende Last des Gebirges, sie wirken auch als Zierwerk. In Stein gemeißelter Efeu rankte sich an diesen in gleichmäßigen Windungen empor und zeugte von geschickten Händen. Bänke und Geländer, ebenfalls aus Stein gearbeitet, verbanden die Säulen zur Außenseite der Halle und deuteten so einen Weg vom Portal zum hinteren Durchgang an, den zu beschreiten das Ziel der Zwei war.
Zur rechten und linken Seite des Hallenbaues wurde jeweils eine balkonartige Ebene mit Balustrade und Treppe ins Felsgestein getrieben, auf deren hölzerne Tische und Stühle aufgereiht standen. An den Wänden der Balkonebene waren Halterungen montiert, die teilweise mit Speeren, Äxten, Bögen und kleinen Schilden versehen den nackten Fels verdecken. Fässer, gefüllt mit Pfeilen, flankierten die Geländer.
In den Ecken der Halle und an jeder Säule hatten Schmiede feuerfeste Stahlbecken angebracht, die den beliebten Brennstein beinhalteten. Dieser diente nicht nur als rauchlose Lichtquelle, er sorgte auch für wohlige gleich bleibende Temperaturen.
»Wir waren beim Pass, der ins Land der Pferdemenschen führt, und haben Entsetzliches beobachtet. Pah, diese Menschen haben sich in dem kleinen Rund verbarrikadiert und einer der ihren führt sie in unser Tal. Sie wollen sich dort niederlassen«, raunte Galoth aufgebracht.
»Mhm. Meldet das Aguschal, er erwartet den König alsbald zurück und wird begierig sein Urteil erwarten. Haut die Hacken in den Stein und eilt euch«, erwiderte ihr Gegenüber plump und mit abwertender Geste.
Kabar zielte mit seinem rechten Zeigefinger auf dessen Brust und tippte ihm unsanft dagegen. »Nur weil du den abkommandierten Torwächter spielen darfst, Tungdor, heißt das lange nicht, das du uns so anzugrunzen hast, du Tramp. Was meinst du wohl, weswegen wir hier stehen?«, brachte er ungehalten hervor und stieß seinem Gegenüber abermals vor die Brust.
Mit einem widerwilligen Grunzen trat der Angesprochene zur Seite und ließ die beiden an sich vorbei, ohne jedoch die Gelegenheit zu verpassen, Galoth für seine dumme Anrede beim Vorbeigehen in dessen Hintern zu treten.
»Oi, was soll das?«, beschwerte sich dieser, hingegen ohne Groll, aber mit belustigter Stimme, da die beiden Kontrahenten sich von klein auf beinahe täglich neckten. In Zwisten Situationen jedoch eng beieinanderstanden.
»Ich gebe dir gleich Tramp, du Ziegenbart. Wenn ihr oben ankommt, könnt ihr was bestaunen. Innerhalb der letzten fünf Tageswenden, seitdem ihr euch aufgemacht habt, um in dem ollen Pass rumzulungern, schafften unsere Baumeister und deren fleißige Hände die erste Bauebene fertigzustellen. Die Bauern schaffen derzeit gereinigtes Erdreich herauf, um die Pilzbeete zu befüllen. Endlich bekommen wir wieder anständiges Bëor und einen ordentlichen Happen zwischen die Zähne.« Tungdor grinste über beide Wangen hinaus und wippt freudig den Kopf.
»Sehr gut. Das bedeutet, dass die Bauern ihre Unterkünfte bezogen haben? Somit sind die oberen Ebenen im Bau?«
»Ach.« Tungdor winkte mit seiner Rechten ab und drehte sich wieder dem Portal zu. »Schaut halt selber. Lasst Aguschal lieber nicht länger warten, ihr wisst, dass er schnell erzürnt.«
Nach Art der Naïns, die rechte Faust aneinander gehalten, verabschiedeten sich die Drei voneinander. Galoth und Kabar sahen sich noch kurz in der Halle um und folgen den gegenüber befindlichen Weg hinauf.