»Gute Frau, euch liegt sichtlich eine Frage auf dem Herzen«, stellte Korian fest. Ben hingegen schaute mehr als verblüfft zu dieser und suchte fragende Blicke zu Jarik, der nur unwissend mit den Schultern zuckte. Er nahm sich zusammen und fragte direkt, ob er ihr weiterhelfen könne. Die darauf resultierende Frage war jedoch alles andere als erwartend. »Gestattet mir eine Frage, Herr.«
»Sprecht frei heraus.«
»Ich habe einen Wunsch. Ich bin mir sicher, dass viele diesen mit mir teilen, aber nicht wagen anzusprechen.«
Ben neigte seinen Oberkörper etwas vor und ging in die Hocke, um der Sprecherin näher zu sein und nicht den Eindruck zu vermitteln, über ihr zu stehen. »Verratet ihn mir und wir wollen schauen, ob wir ihn erfüllen können.«
»Herr, ich bin eine von denen, die hier im Weiler leben möchten, und frage mich, ob wir es sind, die diesem und auch dem Land einen Namen geben dürfen.«
Ben winkelte leicht den Kopf nach rechts und legte eine nachdenkliche Mine auf. Mit der rechten Hand massierte er sich das Kinn und schenkte der Fragenden einen besinnlichen Blick. Seine blauen Augen funkelten im Sonnenlicht.
»Herr? Stellt ihr diesen Anspruch und entscheidet für uns, oder überlasst ihr diese uns?«
Seine Freunde und Korian, sogar äußerst viele der Anwesenden zogen hörbar die Luft ein und hielten den Atem an. Gespannt auf das nun folgende Szenario, ob die Frage nicht eindeutig zu weit ging. Ben entspannte sich jedoch deutlichst und fing an breit zu lächeln und zwinkerte mit dem linken Lied. Er erhob sich aus seiner hockenden Stellung und verschränkte weiterhin lächelnd die Arme auf dem Rücken. »Meine Teure, ich vermutete schon Schlimmeres. Ich dachte, mir wachsen Hörner und nur ihr trautet euch, mich darauf hinzuweisen.«
Verlegen blickte die Fragende zu Boden und vielerorts schallte Gelächter. Ben hob die Rechte, um Ruhe zu erbitten. »Um die, so finde ich, wichtige Frage zu beantworten, lege ich es hiermit in eure Obhut. Ihr, gute Frau, seid dazu bestimmt, dieser Mark und diesem Weiler einen Namen zu geben. Wählt gut, denn die Namen werden fortan nicht mehr zu wechseln sein.«
Alle, die noch lachten, schmunzelten oder miteinander sprachen, verstummten abrupt und lauschten interessiert, beinahe erregt, auf das Geschehn sowie der bevorstehenden Namensgebung.
»Da ich mit meiner Familie hier im Weiler bleiben werde und sich dieser Nahe am Pass zu unserer alten Heimat befindet, soll unser Heim Pass-Weiler genannt werden.«
Zustimmende Zu- und laute Jubelrufe wallten durch die Menge, bis die Frau mit erhobener Stimme fortfuhr. »Die Mark jedoch, in welcher wir von jetzt an leben und für alle von uns neu ist – soll den Namen Neumark tragen.«
Abermals toben Jubelrufe durch die Menge und viele fürsprechende Zurufe branden nach vorn. Grinsend, nickend und mit freudigem Lächeln bestätigte Ben die Namensgebung. »Gute Namen habt Ihr gewählt und so soll es sein. So hört Ihr ehrenvollen Leute Neumarks. Die Namen sind gewählt, von einer Frau aus eurer Mitte. Ich führte, bedingt durch meine Idee und der Treue einiger Wenigen, euch in dieses Land. Ich hege keinen Anspruch auf nichts und niemandem. Es ist an euch, das Leben hier in dieser Mark so zu gestalten, wie ihr es gedenkt. Ich gab euch lediglich einen Anreiz und ein Ziel, den Rest ...« er deutete mit ausgestreckt rechter Hand zu den Umstehenden. »... den erreicht Ihr.«
Sodann drehte er sich um und ging – er ließ sie einfach stehen, da er sich nicht weiter in der Gewalt hatte. Er kämpfte mit seinen Gefühlen, den erlittenen Verlust und dem was er hinzugewonnen hatte. Ihm verlangte es nicht nach weiteren Komplimenten.
Noch vor dem geplanten zweiten Ring des Weilers hatte Ben ein größeres Zelt für Besprechungen aufstellen lassen, in dessen Richtung er sich nun begab und die Menge beobachtete ihn dabei. Man sah ihm am Gang an, wie aufgewühlt er tatsächlich war.
»Jarik, ihr seid ein Getreuer von ihm. Man sagt, ihr und die Jägerschaft leistetet ihm den Treueschwur. Wir haben ein neues Zuhause, eine neue Mark und bald einen ersten Weiler. Sagt uns – wer wird künftig unsere Mark führen – Ihr vielleicht?«, sprach die Namensgeberin, wie auch zuvor, frei heraus.
Ungerührt der offenen Frage schaute Jarik zu den sich entfernenden, dann zu Yaeko, der bereits im Begriff war ebenfalls zu gehen und anschließend wieder zu der versammelten Menge. Er hob aufgeweckt den Blick und schüttelte den Kopf. »Bewohner von Neumark, viele kennen mich als aufrichtigen Jäger und Anführer der Jägerschaft Middellandes. Ich habe meine alte Heimat verlassen um Benjamin zu folgen, wie auch viele andere. Ich mag zwar ein Anführer sein, aber ganz bestimmt nicht von einem ganzen Volk. Wir von der Jägerschaft folgen einem Mann, dem wir ohne Umschweife unser Vertrauen schenkten, und sind bereit, für diesen auch unser Leben zu geben. Bereits jetzt schon hat eben dieser Mann mehr geleistet, als wir alle jemals zusammen erreicht haben oder erreichen konnten. Tief im Herzen wisst ihr, wer euch anführen soll. Wenn der Tag gekommen ist, werdet ihr ihn ausrufen, aber seid euch dessen gewiss, ich werde es nicht sein.« Abschließend drehte Jarik sich um und folgte Ben.
Korian stand nun allein auf der Anhöhe und schaute hinter den Dreien her. Unten, in der Menge wurde gemurmelt und getuschelt. Vereinzelt drangen einzelne Satzfetzen an seine Ohren.
»Er ist der Richti...«
»Kann er den...«
»Hat sich schon mehrfach bewäh...«
Entgegen allen aufgestellten Planungen kamen die Arbeiten am Weiler und den außen liegenden Baustellen zügiger voran als vermutet. Die Bauanstrengungen an der Schmiede wie den Lagerstätten wurden verstärkt, sodass der gute Herr Klermund endlich von dem Notbehelf in seine eigene Wohn- und Arbeitsstätte umziehen durfte.
»Das wird aber auch Zeit, mein Werkzeug hat schon begonnen, Rost anzusetzen«, brummte dieser, als er die Nachricht erhielt, dass seine Schmiede wie Unterkunft fertiggestellt sei.
Die bereits eingezogenen Bewohner und die, die sich für ein Leben im Pass-Weiler entschieden hatten, brachten ihre Werkzeuge in dem ebenfalls vollendeten Lager unter, welches in unmittelbarer Nähe des künftigen Tores erbaut wurde. Die Bauern und deren Hilfskräfte brachten nach ihren aufgetragenen Arbeiten an und auf den Ackerflächen das mitgebrachte Saatgut aus. Sie hofften darauf, dass die Zeit bis zum Herbst noch ausreiche, um einen brauchbaren Ernteertrag zu erzielen, wohl wissend, dass die Reifezeit unter widrigen Umständen nicht zufriedenstellend ausfallen würde. Steinmetze, Schreiner und weitere helfende Hände errichteten zwei Gehöfte, in denen die Bauern und ihre Helfer ihrem späteren Tagwerk nachgehen und leben konnten.
Leichte Karren wurden mithilfe mitgeführten Hornviehs über die vorbereiteten Felder gelenkt, die Leichtesten unter den Siedlern, ihre Kinder, durften ausnahmsweise auf diesen mitfahren und helfen. Sie streuten von beiden Seiten der Karren das Saatgut in zuvor gezogene Rillen, die die Erwachsenen hinter ihnen sorgsam schlossen und begossen.
Fahron, den man als Oberhaupt der Bauern wählte, erteilte letztmalig Anweisungen und griff anschließend selbst zu einer Schaufel, um zu helfen.
»Fahron! Guter Herr Fahron, ich soll euch von unserem ersten Schreiner ausrichten, dass der letzte Torflügel an der Stallung zu eurem Gehöft eingehängt ist. Ihr könnt beginnen, eure Tiere hineinzutreiben.«
»Ah, sehr gut. Seid bedankt für die wunderbare Nachricht. Richtet Korian meinen Dank aus. Ich hätte nie gedacht, dass wir so schnell vorankommen. Der gute Herr Benjamin hat wiedermal recht behalten, wenn wir alle Hand in Hand vorgehen, schaffen wir Unmögliches.«
Rings um den zweiten Ring des Weilers herum hatten fleißige Arbeiter begonnen, einen Graben von einer Viertellänge in der Tiefe und etwa zwei bis drei Zehntellängen in der Breite auszuheben. Dort wo der Graben vollständig ausgehoben war, lagen auf unbearbeiteten Stämmen massenhaft Weitere von jeweils zwei Längen quer, die bis auf eine Halblänge dick mit Pech bestrichen waren. Dieser Aufgabe hatten sich eine handvoll Frauen verschrieben, die mit ihren schweren Trögen von Stamm zu Stamm gingen und mit ihren hölzernen Quasten das Holz bestrichen.
»Bedenkt Männer, zu jeder Länge müssen wir oben wie unten Querstreben setzen. Nehmt dafür die schlankeren der Hölzer. Wie weit sind die Lederseile?«, ertönte eine rauchige befehlsgeübte Stimme.
»Die Frauen sind fleißig am Gerben und tränken. Wir dürften jedoch vorerst mehr als genügend haben, um ordentlich voranzukommen«, antwortete ihm einer der Helfer, der an der Palisade mitarbeitete.
Beginnend am ersten eingelassenen Stamm, der später auch einen Torflügel zu halten hatte und dementsprechend dick gewählt wurde, wurden weitere Stämme, mit der Pech bestrichenen Seite voran, im Graben versenkt und fest mit Riemen verzurrt. Bis zur Abenddämmerung schafften die Arbeiter, viele vorgefertigte jener einzulassen und miteinander zuverschnüren. Quer- und Stützstreben wurden beim Erreichen der besprochenen Längen gesetzt und mit der Palisade verbunden, um dieser hinreichend Stabilität zu gewähren. Der Graben wurde parallel zur Errichtung weiterhin ausgehoben und Stämme auf Länge verarbeitet sowie mit Pech bestrichen, um so für ausreichend Baumaterial zu sorgen.
Steinmetze begannen, halbwegs brauchbaren Bruchstein vor die Gebäude und neben den Wegen im Erdreich zu versenken, um den Leuten die zu benutzenden Wege aufzuzeigen.