Ben schlenderte über das Gelände der Anhöhe, wo der fast fertig befestigte Weiler die Sicht einnahm und betrachtete stolz die geschaffenen Leistungen seines Bestrebens – das Beste aus seiner befindlichen Lage zu machen. Dass ihm eine gewaltige Gefolgschaft zur Seite stand und folgte, bestätigte, dass er mit seinem eingeschlagenem Weg nicht verkehrt lag. Die Männer des abkommandierten Berittes hatten ihr Lager abgebrochen und bestiegen ihr Pferde um am See, etwa zweitausend Längen nördlich von diesem ein neues zu errichten und die Ankunft nachrückender Bautrupps vorzubereiten.
Klopfgeräusche hallten aus dem Steinbruch herüber, wo fleißig an benötigten Steinen gearbeitet und angestrebte Handarbeitskunst endlich wieder ohne Furcht verfeinert werden durfte. Angrol, der erste Steinmetz und seine Arbeiter lieferten von Tageswende zu Tageswende immer feiner ausgearbeitete Steinblöcke. Sogar die anfänglich recht grob behauenen der Gebäudefundamente wurden im Sichtbereich nachträglich nachbehauen. Die Menschen Neumarks lebten unter der Obhut des schützenden Gebirges auf und erlernten verloren Geglaubtes erneut. Die Schreiner unter der Anleitung Korians verbesserten ihr Geschick ebenso, und ein paar unter ihnen widmeten sich währenddessen der Schnitzerei, dessen Zeugnisse bereits an vielen Tür- und Fenstersimsen zu bestaunen waren. Sie würden bald einen eigenen Berufszweig bilden können, da war sich Ben sicher.
An dem fertig errichteten Tor des Weilers hatten die Bewohner als Anerkennung ihrer Vorfahren und der Verbindung zu den Pferden detailreiche Pferdeköpfe angebracht, die mit Blick nach außen nahende Besucher empfingen. Zurückblickend zum Pass haben die Förster – Thanh hatte ihnen die Berufsbezeichnung verpasst – bereits Unmengen junge Nadelbäume aus dem angrenzenden Wald verpflanzt, dessen Bepflanzung vom Gebirge bis zum eigentlichen Ursprung beinahe erreicht war. Sie sagten, dass in wenigen Jahreswenden diese Bäume zu ansehnlicher Größe herangewachsen sein würden, um einen direkten Sichtschutz gewährleisten zu können. Dieser gepflanzte Waldstreifen war nahezu drei Längen breit und wies eine zwei Längen breite Wegschneise auf, in der einst ein ordentlich zu befahrener Weg entstehen sollte.
Die künftigen Ackerflächen waren von den Bauern komplett gepflügt und das Saatgut ausgebracht, mit der steten Hoffnung, bereits während des ersten Herbstes eine solide Ernte einbringen zu können. Die Bewohner vom Pass-Weiler und derer, die hier ihre Ackerflächen bearbeiten wollten, hatten bestrebt begonnen, zwei Gehöfte zu errichten, die ebenfalls in Kürze vor der Fertigstellung standen. Im Weiler spielten und tollten ungetrübt Kinder. Barfuß und ohne Angst oder Scham, rannten sie johlend über bereits verfestigte Böden der Wegbereiche. Ihre Mütter sahen mit leuchtenden Augen dabei zu, wissentlich, dass ihnen in ihrer neuen Heimat keine Gefahr drohte. Einige der Frauen winkten Ben beim Erblicken freudig zu und eine von ihnen rief zu ihm herüber. »Danke, dass wir durch eure Idee und euren Ehrgeiz endlich ein neues Leben führen dürfen. Schaut nur, wie sehr wir hier aufleben – dank euch.«
Verlegen winkte er zurück und nickte dabei leicht mit dem Kopf, als ihm eines der Kinder, ein Knirps von vielleicht fünf Sommern, grölend entgegen rannte und ihm die zierlichen Arme um die muskulösen Beine legte. »Kommt Schwertmann, spielt mit uns!«, verlangte dieser sinnend. Mit seiner kleinen Hand griff dieser nach Bens‘ weit größeren und führte ihn immer wieder aufblickend und mit lachender Stimme »kommt« zu den jubelnden Kindern hinüber, die wiederholt ausriefen: »Der Schwertmann spielt mit uns, juche!«
Die umliegenden Arbeiter legten ihre jeweiligen Werkzeuge nieder, um mit den Frauen verschmitzt und interessiert dem lauten Treiben zuzusehen. Ein imposantes Bild zeichnete sich vor deren Augen ab. Ein hochgewachsener vollgerüsteter Mann jagte kleinen Kindern beim Kriegen spielen hinterher, die natürlich bedingt ihrer Körpergröße und der weit leichteren Kleidung immer wieder seinem Zugriff entwischten. Es war der erste Tag, seit der Ankunft in Rongard, an dem Ben völlig unbeschwert lachen konnte. Die Zuschauer zeigten begeistert mit den Fingern zu den Umhertollenden und wie tollpatschig sich ihr oberster Schwertmann dabei anstellte. Aber niemand redete widrig über dessen verspieltes Verhalten, jeder war von der Art, wie er mit den Kleinen umging, tief gerührt – eine Person ganz besonders.
»Kinder! Kinder kommt schon. Ihr könnt doch den guten Herrn Benjamin nicht so verausgaben, schaut doch nur, wie er so schwer bekleidet unter der Sonne leidet und schwitzt.«
Eine Frau nährte sich und griff zweien der Kinder unter die Arme, um diese von ihm weg zu ziehen.
»Ach was. Lasst nur, gute Fra...«, verstohlen blieb ihm die Sprache im Halse stecken. Er zwinkerte mehrfach und stand vorn übergebeugt. Es schien, als trügen ihm die Sinne oder er hatte in der Tat zu viel geschwitzt und erleide einen Sonnenstich. Verunsichert und überrascht stammelte er den Namen seine Geliebten. »Katrin?«
Irritiert aber durchaus interessiert schaute die Sprecherin durch leicht geschlossene Lieder auf und schenkte ihm ein herzhaftes Lächeln. »Nein, Herr. Ich heiße Lerina ihr müsst mich mit einer Anderen verwechseln.«
Verwechseln? Aber, dieser Körper, das Gesicht – umrahmt von schulterlangen brünetten Haaren. Die blauen Augen und diese sinnliche Melodie in ihrer Stimme. Alles ... sie ist Katrin.
Verunsichert trat Ben von den ruhiger werden Kindern zurück und musterte die vor ihm stehende, verführerisch lächelnde Frau mit zwei an den Händen haltenden Jungen.
»Verzeiht. Ich muss mich getäuscht haben. Die Hitze, ihr versteht?«
»Natürlich Herr. Ihr habt ja auch herzhaft mit den Kleinen umhergetollt«, erwiderte Lerina mit koketten Grinsen und aufschlagenden Liedern. Sein Blick verlor sich in dem ihren. »Ja, es sind wunderbare Kinder. Ich freue mich sehr darüber, sie so ungezwungen spielen zu sehen, dass ich mich habe hinreißen lassen. Sind es die Euren?«
Die Kinder zur Linken und Rechten betrachtend, schüttelte Lerina den Kopf und verneinte. »Ihr tatet mir leid, so schwer bekleidet mit ihnen zu tollen. Ich konnte euch beobachten, wie ihr das Umland betrachtetet, und dachte mir, dass ihr wichtigere Dinge zu erledigen habt.« Mit leicht gesenkten Kopf und eindringlich blickenden Augen, sowie ein für ihn unbeirrbar sichtbares Lächeln erzählte sie weiter: »Ich habe gerade den zwanzigsten Sommer hinter mich gebracht und für eigene Kinder noch nicht den richtigen Mann getroffen, Herr.«
Uff, war das jetzt grad ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die hat mich doch eben angemacht.
Ausgesprochen hatte er jedoch anderes. »Oh, verzeiht. Ich habe mich wiedereinmal geirrt. Ich bin mir sicher, dass ihr hier in Neumark baldigst einen passenden Weggefährten findet, mit dem ihr eigene Kinder haben werdet«, lächelnd fügte er hinzu: »Habt dank für die Rettung aus der Not. Ich werde mich frisch machen und wieder meinen Aufgaben widmen. Sagt mir noch bitte, wer sind eure Eltern? Ich möchte ihnen meinen persönlichen Lob für eine solch liebreizende Tochter aussprechen.«
Aufhorchend der sich ihr bietenden Möglichkeiten und einem kecken Seitenblick, erklang ihre Stimme jedoch etwas betrübter als erwartet. »Ich habe nur noch einen Vater, Herr. Meine Mutter wurde vor zwei Jahreswenden von einer Patrouille Lord Inats verschleppt und fortan nie mehr gesehen. Meinen Vater kennt ihr bereits. Er ist Korian, euer erster Schreiner, Herr. Wenn mir eine Frage erlaubt ist?«
»Das tut mir sehr leid Lerina, euren Vater hingegen kenne ich sehr wohl. Ein feiner Mann, ehrgeizig und fleißig zugleich. Stellt bitte eure Frage.«
Verlegen blickte sie um sich und rückte mit ihrem Kopf näher an Ben heran, um sicherzugehen, dass die Kinder nichts mithören. »Stimmt es, dass ihr bald aufbrechen werdet, um einen weiteren Weiler zu errichten? Ich habe mitbekommen, wie der Jäger Jarik seinen Männern davon erzählte, bevor sie ihr Lager abbrachen.«
»Ja, das stimmt. Ich habe vor, zur Dämmerung den Leuten Neumarks davon zu berichten. Aber nun muss ich mich entschuldigen, wir sehen uns wieder Lerina.«
Beide winkten noch einander und er entfernte sich zu seinem Zelt, um sich den Schweiß vom Körper zu waschen.