Hufgetrappel hallte im Pass von den Gebirgswänden nieder, als endlich das ausgebaute Lager mit der Palisade in Sichtweite rückte.
»Ein Reiter aus dem Tal!«, schallte das wiederholende Echo seine Ohren.
»Hey Yaeko, wohin des Weges? Was gibt es aus der Mark zu berichten?«
»Nur soviel, da meine Zeit zur Eile gebietet. Neumark hat einen Fürsten – Benjamin. Unsere Leute sind zum Errichten eines zweiten Weilers weitergezogen und andere, um Gehöfte zu bauen. Ich soll nach Middellande zu unseren Freunden, um zu berichten und ebensolche zu sammeln. Öffnet das Tor und lasst mich durch. Eure Ablösung ist auf dem Weg und wird euch unterrichten.«
Zwei der Wachpostierten begaben sich zum verschlossenen Tor, öffneten dieses und gaben den Weg frei.
»Viel Glück und grüß Fendrik, den Halunken.«
Den Arm mit der Lanze zum Gruß erhoben ritt er an und verfiel in gemächlichen Galopp, um sein Ziel zügig zu erreichen. Ein grüner Wimpel, silbern bestickt – eine aufgehende Sonne und ein springendes Pferd – flatterten an der Lanze im Reitwind. Das Echo der laut klappernden Hufe auf dem harten Gesteinsboden begleitete ihn, bis er den Ausgang des Passes erblickte und sein Innerstes in die ferne sah. Seine alte Heimat, die Middellande zogen an seinem inneren Auge vorbei. Wie wird das Lager aussehen, haben sie es bereits befestigt? Wie weit ist der Nachschub organisiert und was ist mit den ausgedünnten Siedlungen?
Fragen, die nach Antworten verlangten und so beschleunigte er seinen Ritt.
Zwei geschmiedete Kohlebecken, mit Brennstein gefüllt, säumten die hinteren beiden Ecken der höhlenartigen Kammer und gaben die Sicht auf eine einsame Bettstatt, einen schlichten Tisch und zwei Stühlen frei. Ein dicker, gemütlich aussehender Teppich hing an der Wand zur Rechten der Tür und zeigte einen Schmiedeamboss mit einem aufschlagenden Hammer. Zwei Naïns hielten sich in jener Kammer auf, einer stand an besagtem Teppich angelehnt und der Zweite saß mit den Füßen auf dem Tisch lässig sitzend auf einem Stuhl davor und kippelte.
»Menschen sagst du? Mehr als fünfhundert unten im Tal?«
»Ja Vater, mein König.«
»Aguschal, lass diese Förmlichtuerei. Wir sind allein und niemanden interessiert die Etikette, weder meiner Bettstatt noch dem Tisch vor dir.« Mit ausholender Geste seines muskulösen rechten Armes deutete er in seiner Wohnhöhle umher.
Aguschal ließ seine kräftigen Arme locker an den Seiten baumeln und nestelte sich an der Hose. »Vater, was sollen wir unternehmen. Galoth und Kabar haben berichtet, wie sie einmarschierten. Mit einem riesigen Tross an Lastfuhrwerken und etlichem Vieh. Sie werden sich im Tal festsetzen und uns die Brut auf den Leib hetzen.«
Goram, König der Naïns, stieß sich mit Schwung von der Wand ab und begab sich zu seinem Sohn hinüber. Er spielte mit Linken an seinem einzöpfig geflochtenem Bart und griff mit der Rechten auf die Schulter seines Sohnes und drückte kräftig zu. »Mich wundert, dass die Menschen nicht schon viel eher dieses Tal aufgesucht haben. Von den paar Reitern einmal abgesehen. Sie beginnen zu siedeln und unsere beiden tapfersten Axtschläger wollen gehört haben, dass diese eine Hundertschaft Gouwors niederritten.«
»Ja Vater, ja. Aber was soll nun geschehen?«
»Mein hoch geschätzter Sohn. Die Menschen haben uns einst treu und freundschaftlich zur Seite gestanden. Wir sollten nichts Unüberlegtes tun oder voreilig handeln«, entgegnete er seinem immer aufgebrachteren Erben. Trotzig grummelnd gab dieser seine Einstellung kund, indem er sich dazu niederträchtig äußerte.
»Tzzz, wo waren denn die Menschen? Wo waren sie, als wir aus unserem Berg getrieben wurden? Wir hatten es gerade noch unter Berücksichtigung hoher Verluste geschafft, unser Volk in die Traumhallen zu betten. Niemand weiß mit Bestimmtheit, ob diese Bestien es vollbracht haben oder vollbringen werden, den Eisbach umzulenken und die magischen Versiegelungen zu brechen.«
»Nun mal halblang, junger Prinz«, schallte ihn unter dem Echo des Raumes sein Vater erbost und brachte ihn so zur Raison. »Die Menschen wurden selber auf breiter Front getrieben und überrannt. Wie oder gar wer sollte uns denn zur Hilfe eilen, wenn das eigene Volk dermaßen bedrängt wird? Wärest du etwa ausgerückt, um ihnen zu helfen, während die Brut durch unsere Hallen tobt? Ich glaube mich daran erinnern zu können, dass du an meiner Seite liefst und nicht mit der Axt in der Hand in Richtung der Menschen.«
»Nein, natürlich nicht, Vater«, gestand Aguschal betrübt. »Verzeih, wenn ich mich hab hinreißen lassen. Ich vergaß diese Sicht der Dinge zu betrachten und hatte überdies nur unser eigenes Wohl im Sinn.«
»Gräme dich nicht mit der Vergangenheit. Mit etwas gescheitem Glück wird uns und den Menschen eine mögliche Chance gegeben. Nimm dir zwei Zehnen unserer tapfersten Kämpfer und begebe dich zum Pass.«
»Ausgerechnet dorthin, wo sie doch bereits im Tal siedeln?«, fragte Aguschal verwundert und mit erhobenen Brauen.
»Genau dorthin. Ich verspüre eine Art Vibration. Der Berg – so als wolle er aus einem Trauma erwachen.«
»WAS!? Nach so langer Zeit kannst du ihn wied...«
»Hören«, vervollständigte Goram. »Es ist sehr undeutlich, aber ich glaube zu verstehen, ja. Das Herz schlägt noch, obwohl deutlich schwach.«
Aguschal sprang von seinem Stuhl und riss dabei fast den Tisch um, auf dem noch seine Füße lagen. »Ich breche sofort auf.«
Er verbeugte sich und begab sich zur Tür, hinaus zum Gebirgsplateau. Beim Heraustreten blieb er jedoch in der Tür stehen, drehte sich zu seinem Vater herum und meinte aufmunternd: »Ich erbitte, dass der Berg recht behält und du ihm wahrlich verstandest.«
Die Tür schloss sich hinter dem Prinzen und Goram stand allein in seiner Unterbringung. »Das wünsche ich mir auch, mein Sohn. Das wünsche ich mir auch.«