Verblüfft der erkennenden Anrede, aber nicht sonderlich unerwartet, sah Elm‘emo in die der Hand weisenden Richtung stehenden Stuhles. Bei näherer Betrachtung dieser, erkannte er sie als Throne. »Wie ich sehe, konntet ihr einige Einrichtungsgegenstände aus der Ruine der Feste retten? Ein schönes Stück handwerklichen Könnens.« Mit den Fingern malte er die Schnitzereien nach, die einen auf der Rückenlehne befindlichen Pferdekopf zierten. »Das Symbol der Lords. Hat euch die Magie der Höhle auch verraten, dass dieses wieder an Bedeutung gewinnt?« Er drehte sich Halis gegenüber und richtete seine Robe, um sich zu setzen.
Das linke Bein über das Rechte geschlagen und die Hände ineinander verschlungen, schaute er erwartungsvoll zum Schmied und versuchte in dessen Mine zu lesen, ob er den Unterton wahrgenommen hatte. »Wann habt ihr bemerkt, dass ich nicht der bin, den ich vorgebe zu sein?«
»Als ihr euren Fuß in meine Höhle setztet und ihr immer noch aufrecht vor mir standet. Ich verstehe nur nicht, wie ihr es geschafft habt, all die Jahre unerkannt zu bleiben, ohne in das typische Muster der Hüter zurückzufallen.«
Betrübt der aufwallenden Erinnerungen senkte Elm‘emo den Kopf und atmete schwer aus. Sein Blick verriet die Vergangenheit. »Ihr verdient eine Erklärung, das ist nur recht. Damals, nach dem letzten Kampf. Ich musste mich von den übrig gebliebenen Lords trennen und mein Antlitz ändern. Ich bekam eine Aufgabe, die es zu erfüllen galt, und durfte fortan nicht mehr meiner selbst sein. Erst kürzlich galt diese als erfüllt und erhielt mein verloren geglaubtes Gedächtnis und meine bis dahin geblockte Gabe zurück.«
»Dann seid ihr demnach der todgeglaubte Elm‘emo. Der Letzte unter den Hütern, der den Menschen weiterhin die Treue hält.« Das war eine nüchterne Feststellung, die mehr ihm selber galt, und massierte sich dabei die muskelbepackten Arme. »Nun denn. Was bedeutet mir euer Besuch, Herr Elm‘emo? Ihr erwähntet eine erfüllte Aufgabe. Was hat diese mit mir zu tun?«
Der Hüter blickte dem Schmied direkt in die Augen und versuchte zu ergründen, wie weit er ihm sein Wissen enthüllen durfte. Ist der Schmied noch auf der Seite der Marken, oder beschreitet er bereits die dunklen Pfade? »Lasst mich vorab mein Gewissen beruhigen, guter Herr Halis. Ich will euch die Hände auflegen und erfahren, ob beidseitiges Vertrauen gegeben ist. Mein Erlebnis in Korint möchte ich nicht zusätzlich straffen.« Ohne seine Einverständnis abzuwarten, stand er auf und trat mit einem ausholenden Schritt auf ihn zu. Seine Robe blieb weit hinter ihm und schaffte erst bei seinem Stehenbleiben sich wieder um seine Beine zu schmiegen. Die Hände ausgestreckt und auf den Schläfen seines gegenübersitzenden flach angelegt schloss er konzentriert die Augen. Es vergingen nur wenige Herzschläge, als er sich von ihm trennte und zu dem, ihm am nächsten stehenden Kohlebecken trat und seine Hände über diesem zu Fäusten ballte und wieder streckte.
»Guter Herr Halis, ihr seid Erbe und Hüter der großen Hofschmiede. Ihr wisst um die Erzeugnisse zur Fertigung von edlem Rüst- und Wehrzeug der Lords wie Schwertmänner. Es heißt, dass einst die übrigen Lords ihre Rüstungen und Waffen, sowie die Insignien in die Obhut der Schmiede gaben, um sie aus dem Einfluss der Schergen Inat zu schaffen. Die Zeit ist gekommen, die hütenden Siegel zu brechen.«
Es herrschte bedrückende Ruhe in der Höhle, nicht einmal das leise knistern der Brennsteine war zu hören. Elm‘emo knetete seine Finger über dem Kohlebecken und wartete auf eine Reaktion. Halis hingegen konnte nicht glauben, was ihm gerade in diesem Moment offeriert wurde und saß mit offenem Mund einfach nur da und starrte ins Leere. Eine quälend lange Zeit verstrich, ohne dass sich etwas rührte oder gesprochen wurde. Als weiterhin keine Erwiderung des Schmiedes zu erwarten war, drehte sich Elm‘emo herum und verschränkte die Arme. »Nun?«
Benommen und aus den Gedanken gerissen, sah Halis auf. Schüttelte mit angelegten Händen den Kopf, um klarer Dinge zu werden und lehnte sich zurück. Er blickte dem Hüter tief in die Augen und knabberte an der Unterlippe. »Ich habe nicht gewagt mir zu erträumen, es noch erleben zu dürfen. Ich bin der Letzte und konnte leider für keinen Nachfahren sorgen, der meine Bürde fortführen hätte sollen. Nur mein Geselle hilft mir bei den trüben Arbeiten und soll meine Nachfolge antreten.« Halis erhob sich von seinem Stuhl und bedeutete dem Hüter ihm zu folgen. »Lasst uns gehen, Herr Elm‘emo.«
Mit einem freudigen Blick in den Gesichtszügen und einem aufzuckenden Auge betrachtete er den aufspringenden Schmied. »Die Rüstungen und Waffen existieren?«
»Sowie die eingesammelten Umhänge und Fahnen, die man hat fertigen lassen. Auf der steten Hoffnung, eine Zeit würde anbrechen, indem man den Überwürfen als auch den Wimpeln ein neues Wappen verleiht.« Tief Luft holend und mit einem wuchtigen Ausruf durchschritt er seine Wohnhöhle und die Echos der oberen Gänge wiederholten diesen. »Auf die Hallen der Ahnen! Die Zeit ist gekommen!«
Sobald die Echos verklungen, schritt er voran. »Folgt mir, ich möchte euch die gehüteten Schätze der Vergangenheit zeigen.«
»So geht voraus.«
Der Schmied nickte und begab sich zu dem seitlichen Durchgang, der abwärts führte. Dass sie sich der eigentlichen Schmiedeanlage mit jedem getanen Schritt nährten, konnte Elm‘emo spüren. Der innere Druck nahm deutlich zu.
»Ich spüre alte Naïnmagie.«
»Ganz recht. Je tiefer wir gehen, desto ausgeprägter ist diese, weiter oben jedoch wird sie von Jahr zu Jahr geringwertiger.«
Elm‘emo blieb abrupt stehen und schnaufte ungläubig. »Die Magie schwindet?«
»Ja. In regelmäßigen Abständen versuchen diese Vermaledeiten eurer Gattung, die Höhle zu finden. Entschuldigt meine Ausdrucksweise, aber es ist unbestritten, dass eure Art sich dem Übel verschrieb. Sie branden mit ihrer Magie durch die Gegend, um so ein Schlupfloch in den Barrieren zu finden.«
»Ich verabscheue die Meinen ebenso, wie ihr es tut. Ihr braucht euch für nichts, was sie verschulden, zu rechtfertigen. Wie lange wird sie noch standhalten können, was denkt ihr?«
»Schwer einzuschätzen. Als ich noch unter den Fittichen meines alten Herrn stand, war die Magie auch in der Wohnhöhle deutlich wahrnehmbar. Nun ist sie für mich nicht mehr spürbar und hier unten nimmt sie ebenso ab. Vielleicht ein bis maximal zwei Generationen, bei gleich bleibender Anstrengung der Euren. Vielleicht auch weniger. Ich bin Schmied und kein Kundiger, Herr.«
Elm‘emo nickte und bedeutete, weiter zu gehen. Auf der Sohle angekommen öffnete sich der schmale Gang zu einer ausgeprägt großen Höhle mit allerlei Utensilien, die ein Schmied so im Laufe der Zeit anhäufte – in jenem Fall in Genrationen bemessen. Zwei riesige Schmiedeöfen, wovon einer in Betrieb schien, standen in eigens aus dem Berg gehauenen Nischen. Nicht rauchendes Gestein – Brennstein, wie es in den oberen Kohlebecken für Licht und Wärme sorgte, lagerte in einer ummauerten Mulde. Barren aus feinstem Stahl, säuberlich gestapelt, lagen neben den noch grob Verarbeiteten. Sein Blick fiel auf einen jungen Mann von vielleicht neunzehn Sommern, der sich vor einer der großen Werkbänke aufrichtete und sich den Schweiß mit der verschmutzten Hand von der Stirn wischte. Ihre Blicke trafen sich.
»Oh, wir haben Besuch.«
Mit einem Kopfnicken hinüber zum Hüter antwortete Halis ihm. »Ja, Elm‘emo der Hüter. Der Letzte unter ihnen, der uns Menschen treu ergeben ist, gibt uns die Ehre.«
Staunend schnappte der Geselle nach einem auf der Werkbank liegenden Lappen, um sich daran die Hände abzureiben und reichte diese erwartungsvoll zu Gruß. Halis klatschte ihm die Ausgestreckte zur Seite und blaffte ihm zur Ordnung. Er ließ sich erklären, welchen Arbeiten er während seiner Abwesenheit nachging und weshalb sich die noch verunreinigte Barren nicht im Schmelzofen befanden. Diese sollten in den kommenden Tageswenden verarbeitet und von jeglichen Unreinheiten befreit sein.
»Junge eile dich und feure den Schmelzofen an. Such alles zusammen um standesgemäßen Stahl zu schmelzen.«
Den Blick von Halis und Elm‘emo wechselnd, machte er große Augen und schien zu verstehen. Der vermisste Hüter aus den abendlichen Erzählungen stand direkt vor ihm in der Schmiede und sein Onkel verlangte es nach reinstem Material. »Dann ist der Tag gekommen, von dem ihr mir ständig erzähltet.«
Mit wenigen Schritten war er an der Grube, in jener der Brennstein lagerte und schaufelte energiegeladen mehrere Eimer damit randvoll, um diese unter dem Schmelzofen zu entleeren und anschließend mit einem Span zu entzünden.
»Dort drüben.« Halis zeigte in Richtung des unbeheizten Schmiedeofens. »Dort verbergen wir in einer versiegelten Kammer, was euer Herz begehrt.«
»Ist das der Geselle, von dem ihr spracht?«
Halis sah zurück und betrachtete den Schuftenden. »Ja, das ist er. Er ist zugleich mein Neffe. Helbert kam zu mir, als die Invasoren seine Eltern direkt vor seinen Augen enthaupteten. Ich zog ihn auf, wie meinen eigenen Sohn, den mir diese grauenvollen Bestien mit der Ermordung meiner Lebensgefährtin vorenthielten.«
»Das tut mir leid. Wieso habt ihr euch nicht wieder gebunden?«
Gedankenverloren sah Halis in die Glut der Schmiede und fasste sich mit der rechten Hand zum Herzen. »Keine, die mir unterkam, war mit der meinen zu vergleichen. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, untreu zu werden, auch nicht nach ihrem unsäglichen Ableben. Ich gab somit mein Wissen und meine Fürsorge an meinem Neffen weiter.«
»Ist er so begabt wie ihr, guter Herr Halis?«
»Um ehrlich zu sein, sogar um einiges mehr, mein Herr«, flüsterte dieser verstohlen und schielte heimlich hinter sich. »Ich kann es ihm aber nicht so einfach vor den Bart schmieren. Ich fürchte, dass er mich dann nicht mehr für voll nimmt.«
Mit einem Seitenblick beobachtete er den Gesellen bei seinem Tun. »Verstehe.«
»Ich will euch unser gehütetes Gut zeigen, kommt.«