Versteckt hinter ausladenden Beerenhecken und dank ihrer geringen Körperwuchses, blieben sie aus der Ferne unerspäht. Zwei Zehnen kampferfahrener Axtschläger und Speerkämpfer. Sie kauerten mit ihrem Prinzen in jener Hecke, nutzten diese als natürliche Deckung und beobachten das Treiben am See.
»Sie eignen sich an, was ihnen von Rechtswegen nicht zusteht. Hinter uns bauen sie einen umzäunten Hof und vor uns, eine zweite Siedlung – Menschen.«
»Gingen wir mit dem Vorantreiben der Stollen in den Bergen nicht ähnlich vor? Was die Menschen hier unter freiem Himmel treiben, schuf unser Volk im Berg. Weshalb redet ihr kontinuierlich so schlecht von ihnen?«
»Sie sie dir doch an. Was verband uns einst bloß mit diesem Volk?«
»Mein Prinz, kann ein Aussehen von dessen Charakterstärke zeugen? Lebt eine Ansammlung Heimatloser ohne Mut und Ehrgeiz? Wir wissen doch noch nicht einmal, wieso die Pferdeherren ausgerechnet hier herzogen. Sie scheinen sich allerdings zu sammeln und zu erstarken. Seht euch nur die Berittenen an, sie erwecken nicht grad den Eindruck, hilflos zu sein.«
»Hm, an dir ist ein Gelehrter verloren gegangen, mein guter Galoth.« Aufmunternd klopfte Aguschal im auf die Schulter und bedeutete zum Aufbruch. »Der Weg zu den verschlungenen Pfaden über das Gebirge ist noch weit und wir müssen den ständigen Patrouillen der Menschen ausweichen, um unentdeckt zu bleiben.«
»Denkt mir an die Reiter, ich will ihnen nicht unter die Hufe geraten und das Ziel ist dieses Lager im Pass. Von da aus können wir ungesehen auf unseren Pfaden bis ins Land der Pferdemenschen vordringen.«
Flink huschten die Naïns aus ihrer Deckung und hielten sich in östlicher Richtung, direkt aufs Gebirge zu, um dort auf verschlungenen Pfaden aus der Sicht anderer zu gelangen. Goram, ihr König und Vater von Aguschal, hatte angeordnet, den Menschen am Pass zur Hilfe zu eilen, welche auch immer das sein mochte. Wenn der Berg dem König eine Empfindung mitteilte, war jedwede Frage oder Gefühlsregung undiskutabel, es war der Beweis, dass das Herz des Berges noch schlug - sei es auch noch so schwach. Es war viele Jahreswenden her, dass der Berg sich zuletzt regte, das letzte Mal zu der Zeit, als die Horden Inat in die Hallen eindrangen, um die Naïns weitestgehend rechtzeitig warnte.
Ben bedeckte mit beiden Händen die Augen und sah hinauf in den blauen Himmel, wo vereinzelte Schleierwolken ihrer Bahnen zogen. Blendend warme Sonnenstrahlen erwärmten sein Gesicht und Tränen verschleierten ihm die Sicht. In den vergangenen Tageswenden hatte er immer wieder über die Situation mit seinen Narben und dem flüsternden Wind nachdenken müssen, ohne einen erklärbaren Ansatz zu finden.
Verflucht, Elm‘emo. Wo steckst du. Du bist mir einige Antworten schuldig.
Betriebsame Geräusche hallten vom Weilerbau zu ihm hinüber, störte sich aber nicht an ihnen. Er genoss die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut. Er fühlte mehr, als das er es hörte. Ein Reiter nährte sich ihm. Er blickte weiter in den endlosen Himmel und wartete auf die Ankunft des Nahenden, was sich eigenartig hinzog und länger dauerte als gedacht. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, fing er gedanklich an zu zählen. »21, 22, 23, ..., 30, ..., 35, ...«
»Mein Fürst, auf ein Wort«, erklang hinter ihm eine Stimme, erlöste ihn vom Zählen und wendete den Blick. Dessen Pferd scharte mit der rechten Vorderläufe und schien begierig seinen Reiter weiter tragen zu wollen.
»Nur zu, was gibt es?«
»Herr, Jarik bittet um Erlaubnis, den Beritt hinauszuführen. Er möchte Berittübungen durchführen und ...«
»Dabei in Middellande nach dem Rechten sehen«, fiel Ben dem Boten ins Wort. »Sagt mir Scharführer, wie lauten die derzeitigen Meldungen der Patrouillen?«
»Wir konnten bisher alle Heuler und deren Unterschlüpfe verlustfrei vernichten und ausheben. Jarik hat die Scharen von den äußeren Höfen abgezogen und lässt mit einer sich ständig abwechselnden Patrouille, bestehend aus zwei Scharen, unsere Mark bis zur Berittgrenze überwachen. Die drei zurückgelassenen am Pass-Weiler sind vor wenigen Augenblicken aufgerückt und berichten dessen Fertigstellung, Herr.«
Ben schenkte dem Himmel noch einen gedankenschwangeren Blick. Trat an das Pferd des Boten heran und streichelte behutsam über dessen Nüstern.
»Erfreuliche Kunde bringt ihr mir. Richtet Jarik aus, er möge als Berittführer nach Sonnenhoch einen halben Beritt ausführen. Er soll den Pass-Weiler umrunden und spätestens am Übergang zum Pass auf die zweite Hälfte warten. Der übrige Beritt hält sich bereit zum Aufbruch, ich selbst führe diesen und rücke von der gegenüberliegenden Seite der Mark vor. Wir wollen uns noch vor dem Pass vereinen und gemeinsam nach Middellande einreiten.«
»In die alte Heimat, Herr?«
»Wir wollen unserem Ausgangslager entgegenreiten und schauen, ob wir die Nachschubkolonne abfangen können.«
Zum Gruß führte der Scharführer seine Rechte zum Herzen, nickte und ritt fort. Ben blieb wie zuvor allein und schaute dem Reiter hinterher. Sobald dieser aus Sicht war, griff er sich mit zwei Fingern in den Mund und pustete ordentlich hindurch. Ein gellender Pfiff ertönte und hallte durchs Umland. Es dauerte nicht lange, bis eine kastanienbraune Stute sichtbar wurde. Auf der Hinterhand mit den Vorderläufen auskeilte, laut wiehert und dabei ihren Kopf hin und her warf. Artemis machte einen Satz nach vorn und sprengte ihm entgegen. Kurz vor ihm zügelt sie ihr Tempo und kam seitwärts schnaubend zum Stehen. Mit der Rechten streifte er von ihrem Hals über ihr rechtes Ohr bis zu den Nüstern, wo er seine Hand hielt und ihren Kopf sachte abwärts drückte. Ihre Augen fixieren die seinen und er legte seine rechte Gesichtshälfte auf ihren Kopf und streichelte sie. »Auf Artemis, meine Schöne. Trage mich zum Lager und darüber hinaus.«
Er griff in ihre Mähne und schwang sich gekonnt auf ihren Rücken. Ohne Decke und Sattel ließ er sich von ihr so vorantragen.
»Eine Bestie ist das, was ihr da unter eurem Hintern habt, Herr«, schimpfte einer jener, die sich um die Pferde und Rösser kümmerten.
»Artemis? Ach was, sie ist doch zahm wie ein Lämmchen«Ben lächelte verlegen.
»Was ihr nicht sagt. Ihr hättet sie sehen sollen. Sie hat nach meiner Hand geschnappt und ist ausgebüxt. Geradewegs unter euren Hintern, wie es mir scheint«, antwortete der Pferdeknecht aufgebracht und mit hochrotem Kopf.
»Meine Schuld. Ich pfiff nach ihr. Sattelt sie und nehmt eine Auszeit. Der Beritt reitet gleich aus.«
»Danke Herr. Es ist ja nichts weiter passiert.«