Eric führte die Kolonne in die Lichtung, der sie sich bereits beim ersten Tross als zweiten Wegepunkt bedienten. Um schleunigst und ohne Umschweife wieder in Bewegung zu kommen, ließ er die Karren schneckenförmig Aufstellung nehmen, das Vieh dabei in die Mitte treiben und den Beritt drum herum Stellung beziehen. Yaeko tauchte am Rande der gleichen Lichtung auf und schien allein zu sein. Er hob seine Lanze senkrecht zum Gruß und hielt auf Eric zu, der ihn aufgewühlt erwartete.
»Wo steckt Fendrik? Wieso bist du allein?«
»Ganz Ruhig, Eric. Er ist unterwegs, nur kann er nicht ganz so schnell hier sein, weswegen ich vorausgeritten bin.«
»Was bitte heißt das nun wieder?«
»Das heißt, dass unser Tross um weitere dreihundert Menschen anwächst.« Er griff zu den Zügeln von Erics Pferd und zog ihn zu sich heran. »Sein Traum war kein Hirngespinst. Der Hüter ist wahrlich unter ihnen.«
Überrascht schaute Eric sich um und wagte nicht zu glauben, was er eben offeriert bekam. Die Lichtung des Wegepunktes war weiträumig ausgefüllt, als am Waldrand Bewegung auszumachen war und Fendrik voraus einritt. Er erteilte seinem nachrückenden Tross die Weisung, sich der schneckenhaften Anordnung einzugliedern, sodass die Waldschneise komplett umgeben war.
Auf der freien Fläche herrschte eine ungläubige Ruhe, als unzählige Karren und Menschen aus den Schatten ins Licht traten und sich einordneten. Die so Vereinigten begrüßten sich herzlichst und unterhielten sich über ihr Zusammentreffen. Die Jäger des Berittes zogen sich an die äußeren Ränder der Lichtung zurück und richteten sich für die Nacht ein. Kleine Feuer wurden entzündet und leise Gespräche geführt.
»Zur Morgendämmerung brechen wir auf«, rief Fendrik vom Rande der Lichtung und begab sich hinüber zu Eric und Yaeko, die bereits auf ihn wartend an einem der äußeren Feuer saßen.
»Ich werde gleich mit einer Schar vorausreiten und unsere Ankunft verkünden, Fendrik. Sobald wir den Pass hinter uns gelassen haben, ist es besser, wenn wir von dort weitere Unterstützung erhalten und das Volk etwas ruhen kann, ohne sich um ein Mahl oder Sicherheit kümmern zu müssen. Ich kenne das noch von unserem ersten Tross. Ein heilloses Durcheinander.«
»Ich habe mir Ähnliches schon gedacht und wollte dich darauf gerade ansprechen. Nun gut, wir sehen uns wohl erst an der Pass-Wacht wieder.«
Zum Abschied umarmten sich die Freunde und Yaeko begab sich zu den bereits wartenden, die sich mit ihm über den dritten Wegepunkt bis zum Pass vereinen sollten und an den Wegepunkten Stellung zu beziehen. Ein leises: »Heia« war zu hören, als sich die fünf Reiter entfernten. Der von Yaeko getragene Wimpel Neumarks flatterte im seichten Wind und geriet schnell außer Sichtweite. Wachposten durchstreiften die gesamte Lichtung und beobachteten aufmerksam den Wald, um für etwaige Übergriffe rechtzeitig gewappnet zu sein.
Die Nacht verstrich ereignislos und viele aus dem Tross hatten auf ihren Karren diese verbracht. Die Posten gingen durch die Reihen und weckten noch Schlafende, um baldigst aufbrechen zu können.
»Auf auf Leute. Wir haben keine Zeit und einen weiten Weg vor uns. Wir müssen vor Einbruch der Dämmerung am Pass sein. Dieser ist bei Nacht tückisch und ich will, dass ihr außer Sichtweite seid, wenn es gilt, die Heimreise anzutreten«, schallte Fendriks Weckruf über die Waldschneise.
Dass bei dem ersten Tross, der sich zum Pass begab, Schwierigkeiten auf sich warten ließen, wurde dem hiesigen vorenthalten, um kein Unbehagen zu schüren.
Eine Menschenmasse von mehr als siebenhundert Köpfen bewegte sich samt ihren Fuhrwerken und Vieh durch den Wald zum dritten Wegepunkt. Ihr letztes Etappenziel, bevor es in den Pass nach Neumark hinein ging – einer lebhaften Zukunft entgegen. Fendrik gesellte sich neben Eric und gemeinsam beobachteten sie, wie der Tross langsam aber stetig in Bewegung geriet.
»Benjamin und Jarik ziehen uns die Ohren lang, wenn sie sehen, was wir ihnen als Nachschub schicken. Weit mehr Menschen wie beim vorherigen Zug in die neue Mark, dazu noch Unmengen Tiere, die wir beim ersten Mal nicht in dieser Anzahl mit uns führten.«
»Du vergisst, dass viele von ihnen aus Bregeran kommen. Diese Menschen waren ursprünglich nicht mit einbedacht. Schuld daran trägt Elm‘emo und ich vermute, dass dieser den Beiden einiges zu erklären hat. Ich kann es immer noch nicht recht glauben, dass er die vielen Jahre als Dario durch die Marken zog, sogar mit uns selbst und niemand hatte etwas geahnt.«
Als allmählich Bewegung in die Meute kam, winkte Fendrik zum Abmarsch und ritt an die Spitze, um in der Ferne einen der vorausgeschickten Boten anpreschen zu sehen. Dieser hielt direkt auf sie zu und wedelte Hecktisch mit den Armen und drehte sich zurückblickend um.
»Irgendetwas läuft schief. Komm Eric.« An einen seiner Scharführer gerichtet wandte er sich ihm über die linke Schulter hinweg zu. »Den Beritt für einen Angriff bereithalten.«
»Jawohl Herr.«
Fendrik und Eric ritten dem Boten in schnellem Trab entgegen, als dieser ihnen aufgeregt zuwinkte und vor ihnen wild sein Pferd zügelt. »Herr ...«, schnaufte dieser und blickte sich gehetzt um.
»Hier trink. Was ist passiert?«
Er griff begierig zu, trank in großen Zügen und kippte sich den Rest über den rot erregten Kopf.
»Herr ... beim zerstörten Lager der Brut ...«, er schnaufte atemlos. »... Pass ...« Der Bote war sichtlich aufgewühlt und brach immer wieder mitten im Satz ab.
Fendrik legte dem Boten die Rechte auf die Schulter und spürte dessen bebende Erregung. »Was ist mit diesem Lager?«
»Gouwors, Herr.« Der Bote kam allmählich wieder zur Ruhe, atmete flacher und gleichmäßiger. »Eine Viertellegion treibt dort ihr Unwesen. Sie suchen scheinbar nach ihren geschlagenen Kameraden.«
»Verfluchte Brut«, geiferte Eric und spuckte seitlich in den waldigen Dreck. »Nicht schon wieder.«
»Eric, mach den Beritt fertig, klar zum Aufbruch.«
Kopfnickend und ohne Antwort gab er seinem Pferd die Sporen und ritt zu seinen Männern, die sich bereits vor ihm sammelten und postierten.
»Was kannst du noch berichten?«
»Ich konnte einige von ihnen belauschen, sie haben Spuren entdeckt, die sie geradewegs zum Pass führen. Wir müssen sie aufhalten, Herr.«
Fendrik zog hörbar erschrocken die Luft ein und weitete die Augen. In Gedanken schickte er ein Hilfegesuch auf Reisen.
Steht uns bei. Benjamin, hilf. Ich weiß nicht, ob wir dem gewachsen sind.
»Wie viel Zeit bleibt uns? Schaffen wir den Tross rechtzeitig hindurch?«
»Wenn wir uns sputen, vielleicht. Yaeko ist bereits auf dem Weg um Unterstützung zu rufen.« Der Bote schaute überlegend hinüber zum Tross und schüttelte sodann den Kopf. »Ich glaube eher nicht, Herr. Mit unserer Hundertschaft einer solchen Macht gegenüber? Mehr als zwei zu eins, Herr, dazu der Karrenzug.«
Fendrik zerbrach sich eifrig den Kopf und sah wiederholt vom Boten zum Tross und seinen Freunden. »Uns bleibt zu hoffen, das Yaeko rechtzeitig in Neumark ankommt, um Hilfe zu organisieren.«
»Er muss es einfach schaffen, Herr«, schnaufte der Bote.
Benjamin, ich bete, dass ihr nicht zu weit weg seid.
»Eric, reite mit einem halben Beritt voraus zum dritten Wegepunkt, ich treibe mit den Übrigen den Tross an. Los Leute bewegt euch, wir müssen voran! Unerwartete Probleme warten auf uns – Abmarsch!!«
Der vorauseilende halbe Beritt sorgte innerhalb des Trosses für Einiges an Aufregung, die aber niemand kommentierte. Fendrik orderte seine Männer zusammen und gemeinsam rückten sie eiligst vor, wie es der langsamste im gesamten Zug zuließ.