Vorausentsendete Schwertmänner verweilten an einem weitläufigen Areal, welches, soweit das Auge reichte, saftige Wiesen aufwies. Deren Pferde liefen zügellos und grasten im Umland, als der Wagentross sich nährte. Leute sprangen von den Rücken ihrer Pferde und von den Karren um die mitgeführten Lasten entsprechend abzuladen. Dank der Vorarbeiten der Schwertmänner und dem eingewiesenen Schreiner, der direkt unter der Knute Korians stand, waren bereits erste Abgrenzungen abgesteckt und warteten auf fleißige Hände. All jene, die sich vorab auf dem Weg zum Ziel abgesprochen hatten, griffen zu Schaufeln und begannen mit ihren Arbeiten. Andere zogen die zusammengelegten Zeltbahnen von den Karren und fingen an diese auszulegen und entsprechend spannen.
»Weit und breit nur Wiese. Hier können wir Ziegen weiden lassen und Ackerflächen anbauen.«
»Man kann von hier aus sogar den Einschnitt am Horizont erkennen, wo unser Fürst seine Burg und eine Stadt errichten will. Und dort drüben müsste es zu den Naïns gehen.«
»Ja, da könntest du richtig liegen, Liebste.«
»Wie fühlt man sich so als Sprecher eines Weilers?«
»Was für ein Weiler? Noch sehe ich nur bestrebte Männer und Frauen die an abgesteckten Flächen graben.«
»Vergiss nicht die quiekenden Kinder, die den Dreck mit vollen Händen wieder hineinwerfen«, lachte seine Frau.
Beide schlenderten Arm in Arm übers Gelände, welches sie zu ihrer künftigen Heimat erkoren. Insgesamt zweihundert Bewohner Neumarks hatten ihre Unterkünfte rund um die zu bebauende Fläche errichtet oder waren dabei, bedacht darauf die Zugänge in den inneren Bereich nicht unnötig zu versperren. Diese Art der Aufstellung sollte den Leuten verdeutlichen, dass im Inneren dieser notdürftigen Behausungen ihr wahres Zuhause zu errichten war. Steinmetze, Schreiner, Holzfäller, Bauern und Handwerkslose hatten sich zusammengefunden, um diesem Bestreben entgegenzutreten. Gemeinsam beschlossen sie, zuvor die Aushebungen für Fundamente gemeinschaftlich zu graben, den Aushub als Abgrenzung des Weilers ringsherum aufzuschütten und mit Grasoden zu bedecken. Benötigte Steine für den Unterbau, sollten Zeitgemäss zur Verfügung liegen. Angrol versprach die erste Lieferung schnellst möglich auf den Weg zu bringen, da die zu errichtende Stadt einen eigenen Steinbruch bekäme.
Ben erließ Order, alle anfallenden Steinlieferungen zuvor an die Baustellen der Weiler auszuliefern und im Anschluss entsprechende Lagermengen zu schaffen. Die Schreiner könnten benötigte Baumaterialien, die sie nicht auf Karren mitführten, anfertigen und erhielten überdies ebenfalls Lieferungen von den Stätten des Pass-Weilers. Der Bach der nahe ihres künftigen Heimes floss und den See speiste, führte kühles Wasser, in dem die Kinder gern planschten und die Erwachsenen ihre schweißüberströmten Leiber wuschen. Die Tage boten noch kräftige Sonnenstrahlen und ließen reichlich Gestöhne laut werden. Anders bereits in den Nächten, die gegensätzlich kalt wurden und als Vorbote von Schnee und Eis Einzug hielt.
Die Männer unter Yaekos Kommando lebten sich hoch oben auf dem Plateau der Naïns schnell ein. Ihre Pferde jedoch mussten vor dem höhlenartigen Eingang bleiben, da diese sich vehement weigerten, den mitunter für ihre Hufe schlüpfrigen Pfad zu beschreiten. So wechselten sie sich stetig und zu zweit, bei der provisorisch errichteten Koppel, zur Aufsicht ab.
»Es sind halt keine Ziegen oder trainierte Rösser«, hatte Aguschal bemerkt.
»Habt ihr euch überlegt, wie wir uns die Wachposten aufteilen wollen?«
»Hab ich Kabar. Ihr habt zwei Wehrtürme und in einem jeden findet eine Schar ausreichend Platz.«
»Soll heißen?«
»Du und Aguschal verfügt über eine Zehn Kämpfer und ich führe vier Zehnen. Wir können uns somit eine Tageswende zu viert teilen, genügend ruhen und unseren Leuten beim Tagwerk zur Hand gehen.«
»Die Idee gefällt mir.« Kabar schnaufte nicht unbedingt überzeugt. »Die übrigen Naïns kümmern sich mit euren Arbeitern um die zu erledigenden Aufgaben. Es müssen noch einige Beete befüllt und gerichtet werden. Schutthaufen beseitigt und vieles mehr.«
»Hör auf zu mosern, Kabar. Yaeko ist hier, um uns zur Seite zu stehen, während unser König den Pferdeherren unten im Tal hilft. Wir haben genügend Arbeitskräfte, um die liegen gebliebenen Arbeiten zu vollenden«, empörte sich Aguschal über das launige Verhalten seines Freundes.
»Ich hab es nicht als Angriff aufgefasst, Aguschal. Nichts für ungut, lass ihn nur. Es ist auch für uns schwierig, die neue Situation zu erfassen.«
»Ach was. Ihr habt recht verdammt. Wenn wir doch nur in die oberen Ebenen unseres angestammten Reiches vordringen könnten. Wir könnten dort zwei der Traumhallen öffnen und einen guten Teil unserer Leute befreien.«
»Traumhallen?«
»Hallen, in denen wir unser Volk schicken mussten, um dort unter eisigen Temperaturen auf Befreiung zu warten. Als die Horden Inat in den Berg eindrangen, konnten wir ihnen nichts entgegensetzten und haben die Unsrigen in diese Hallen entsandt. Diese werden mit frostiger Luft des Eisbaches geflutet und versetzt sie in Tiefschlaf.«
»Zwei davon in den oberen Ebenen. Ich kann mir nicht ausmalen, wie groß diese sein mögen. Aber, über wie viele von diesen Hallen verfügt das Naïnreich und wie viele von euch schlafen in diesen?«
»Ach Yaeko, ich bin zwar Prinz meines Volkes, aber über die genaue Anzahl und Lage der Hallen weiß nur mein Vater bescheid. Es gibt zwar Hallenhüter, aber die kennen auch nur jene, die sich in ihren eigenen Ebenen befinden. Ich schätze, um die zwanzig vielleicht und in einer jeden fristen bis zu vierhundert Seelen.«
»Wow. Mit dieser Anzahl tapferer Kämpen habt ihr den Einfall der Horde nicht aufhalten können?«, erregte sich Yaeko verunsichert und schaute immerzu zu Kabar hinüber, der umherhibbelte.
»Leider nein. Sie fielen von allen Seiten über uns ein und es blieb keine Möglichkeit unsere Streitkräfte zu vereinen. Auch ist unser Volk nicht mehr so zahlreich, als noch vor der Entzweiung. Mein Vater entschied die Ebenen untereinander abzuriegeln und die magischen Tore zu versiegeln. So kam es, das die Hallenhüter die Portale verschlossen und die Schleusen des Eisbaches öffneten. Viele tapfere meines einst stolzen Volkes ließen ihr Leben, damit andere die Zufluchten erreichten. Wir waren deutlich mehr als jetzt und in den Traumhallen zusammen.«
Aguschal erklärte den Pferdeherren, wieso es ihnen nicht gelang, in die oberen Ebenen vorzudringen und weshalb Goram bisher kein Wagnis eingehen mochte. Während sie sich unterhielten, bauten Naïns und Menschen gemeinsam an Yaekos Idee. Zwischen den Wehrtürmen, wo sie den Schutt in die Tiefe des Schachtes schütteten, entstand eine gestützte Plattform, die im vorderen Bereich mit einem Kippmechanismus abgesenkt werden konnte. Die Arbeiten wurden bisweilen von allen Kämpfern beschützt und in ihren Bemühungen unterstützt. Die Idee hinter diesem Bauwerk bestand darin, bis zu vier Lastkarren darauf zu entleeren und mit dem Auslösen des Mechanismus, die gesamte Last in die Tiefe zu stürzen. Die fliegenden Wesen müssten sich so vor einer weit höheren Masse behaupten, als wenn dieser nur körbeweise herabgeschüttet wurde. Nur vereinzelt wagten sich diese Wesen hervor und beobachteten neugierig das Fortschreiten der Arbeiten aus sicherer Entfernung. Yaeko wies seine Leute an, nur auf berechenbarer Schussweite Pfeile zu lösen. Es machte keinen Sinn unnütz den Feind auf Abstand zu halten, wenn man ihn näher heranlocken konnte.