Die Nacht wich dem Morgengrauen. Der mittlerweile kalte Wind hauchte fröstelnde Luft von den Gebirgshängen und drang durch Mark und Bein. Die Wachposten innerhalb der Türme, neben dem Schacht zogen sich ihre Umhänge enger um ihre Körper und behielten ihre wachsamen Blicke weiterhin auf die gähnende Schwärze. Einer der Schwertmänner konnte nach Einbruch der Dämmerung einen Treffer landen, als er eines dieser fliegenden Wesen direkt über der Kippvorrichtung vom Himmel schoss. Ein sauber gezielter Schuss mitten zwischen die Augen und das war‘s. Diese Wesen schienen allesamt weiblicher Natur zu sein. Beflügelt, wie eine Fledermaus, ähnlich das Gebiss welches den fraulichen Kopf sarkastisch verunstaltete. Hände zu Klauen gekrümmt, die wiederum in spitze Krallen endeten. Sie trugen keinerlei Bekleidung, waren jedoch mit einem behaarten Flaum ab der Talje abwärts bewachsen, sodass es den Anschein hegte, sie trügen Hosen.
Eine Schar Naïns nährte sich aufgeschlossen den Wachtürmen.
»Hey, Kabar. Ist es endlich so weit, Wachwechsel?«, rief es aus einem dieser.
»Ja mein Junge. Wie ist es gelaufen?«
»Drei von diesen fliegenden Ungeheuern haben wir die Flügel gestutzt. Ansonsten, ruhig. Die heutigen Opfer unter ihnen haben scheinbar ihre Angriffslust etwas gedämpft.«
»Das ist Gut so. Die Karren bleiben aus, weil die Pferdeherren eine gemeinsame Wehrübung abhalten. Euer Fürst hat den Arbeitern freigegeben.«
»Ich habe davon gehört. Du kannst mir glauben, wir wären gern dabei, mein Freund.«
»Du brauchst nicht Trübsal blasen, Yaeko. Unsere Völker arbeiten hart und leisten viel. In nicht mal einem Mond brechen deutliche kältere Tageswenden an und ich vermute, dass unsere Anführer unseren Völkern einen warmen Hintern gönnen wollen. Um die Moral aufrecht zu halten, eben dieser freie Tag.«
»Ich wäre dennoch gern da unten. Bei ihnen.«
»Unser Tag wird kommen, versprochen. Hast du schon eine Fackel hinab geworfen?«
»Nein noch nicht. Ich wollte auf dich warten und fragen, ob wir den Bachlauf zuvor einleiten wollen.«
»Oh, verdammt. Das habe ich total vergessen.« Verstohlen sah sich Kabar um und flüsterte nahezu. »Wir hätten das eigentlich jeden Tag machen sollen.« Er winkte Galoth heran und zwinkert ihm zu. »Wir haben uns entschlossen, das Wasser nur einmal alle Zehntage einzuleiten und heute ist es wieder so weit.«
»Wieso das?«
»Pass auf. Wenn wir zu jeder Tageswende das Wasser auf die Erd- und Geröllmassen ableiten, was meinst du, wird passieren?«
»Hm, ich denke, je nachdem wie der Schacht da unten verläuft, würde das ganze Zeugs einfach hinweggespült.«
»Eben. Wenn nun aber viel mehr Erdreich und Geröll unten liegen und wir erst später Wasser hinzu leiten ...«
»Dann verdichtet sich die Masse und verstopft so hoffentlich endlich mal den Zugang«, vervollständigt Kabar die Ausführungen Galoths.
Alle Drei sahen sich bestimmt an und nickten einstimmig. »Wollen wir?«
Galoth blickte erwartungsvoll zu seinem Bruder, der sich nickend erhob und aus dem Turm marschierte. Er verschwand hinter dem gewachsenen Durchgang, der den Schacht und die Stadt voneinander trennte. Man hörte ein durchdringendes Knirschen, als sich eine gefertigte Schleuse aus Stein, neben dem linken Wehrturm, langsam zu heben begann. Kurz darauf erklang ein ›knick knack‹ und ein brummend tosendes Geräusch, als Wasser in Gischt hervorsprudelte.
Die Öffnung war Augenblicke später weit geöffnet und das Wasser des Sees strömte ungehindert hervor und stürzte als Wasserfall den Schacht hinab. Plätschern und hektisches Gekreische fand seinen Weg als Echo darauf empor und hallte in den Ohren der Wachposten. Gespannt behielten nunmehr zwei aufgezogene Wacheinheiten den Schacht und blickten angestrengt in die Tiefe, aus der ein leises saugendes Gurgeln ertönte.
»Zu! Zu! Schließ die Schleuse, Kabar!«, rief Galoth aufgeregt und deutete den Posten mit der rechten Hand hinab. Er drängte sich an den Hinabschauenden vorbei, sprang aus dem Turm und eilte auf die Plattform der Kippvorrichtung. Yaeko folgte ihm und griff unterwegs nach einer der brennenden Fackeln in den Halterungen. »Was hast du Galoth?«
Dieser antwortet nicht, sondern entzog Yaeko die Fackel. Die Schleuse schloss sich knirschend und der Wassereinlauf brach ab. Der Naïn schaute erwartungsvoll zur Schleuse und hinauf zu den Posten, die ihr Bögen bereitwillig hervorzogen.
»Absolute Ruhe, jetzt!«
Er ließ die Fackel fallen und alle starrten dieser gebannt nach. ›pfff.‹ Die Fackel war erloschen.
»Was war das?«
»Das mein Junge war das Geräusch einer in Wasser erstickten Flamme.«
»Was? Bedeutet das ...»
»Ja. Yaeko, wir haben es geschafft.« Galoth sprang vor Freude im Kreis und sah immer wieder den Schacht hinab. Kabar trat heran und legte die Hände aufs Geländer der Kippvorrichtung. »Das bedeutet aber nicht, dass wir Feierabend haben. Die Morroval können sich jederzeit wieder herausgraben. Wir wissen und können nicht in Erfahrung bringen, wie es dort unten aussieht. Außerdem wird es stetig kälter und früh Dunkler. Optimale Voraussetzungen für diese widerlichen Viecher.«
»Und was ist, wenn wir jemanden abseilen?«
»Dort hinab?«, flüsterte Galoth mit einem Zeigewink in die Tiefe. »Jetzt?«
»Korrekt. Mit etwas Licht und gut gezielten Schüssen können wir uns hinabwagen.«
Die Naïns sahen sich verduzt an und massierten sich beinahe synchron die Schläfen. »Nein, nur zu Sonnenhoch. Keinesfalls Früher.«
»Sofern wir Morgen, zu Sonnenhoch, keins dieser Dinger zu Gesicht bekommen, dann will ich mich selber an einem Seil hinunterwagen.«
»Bist Du von Sinnen, Galoth?«
»Yaeko hat recht«, verneinte er. »Die Lastenkarren werden wieder anfahren und wir, diese Vorrichtung mit ihrer Last abkippen. Wir sollten wissen, was dort unten ...« Galoth deutete entschlossen mit seiner hervorgezogenen Axt ins Schwarz des Schachtes hinab. »... Vorgeht und ob wir endlich Ruhe vor diesen Unruhestiftern haben.«
»Einverstanden, Herr Naïn«, meinte Yaeko und klopfte seinen beiden kleinwüchsigen Freunden auf die Schultern. »Eine ruhige Wache. Ich geh und schaue nach den Pferden und besuche den neuen Weiler.«