Die Tageswenden zogen unaufhaltsam dahin, die Luft war empfindlich kalt und so mancher pustete sich wärmend in die zusammengehaltenen hohlen Hände. Einen jeden war anzusehen, dass es niemandem Spaß bereitete, bei diesen minderen Temperaturen an kaltem Stein zu arbeiten.
Vereinzelt legten sich einzelne Flocken auf kaum begangene Wege, materialüberfüllte Lagerstätten wie fertigen Dächern. Es würde nicht mehr lange dauern, dass aus vereinzelten Flocken stetiger Schneefall werden sollte. Die weiße Pracht würde dann nach und nach alles unter ihrem vereinnehmendem Kleid begraben und viele Tätigkeiten unausführbar machen. Einige waren jetzt, aufgrund der Glätte kaum noch zu verantwortet. Nur den bedrängenden Äußerungen der Baumeister und den schwindelfreien und mutigen Arbeitern war es zu verdanken, dass Ben einlenkte und Abschlussarbeiten an Dächern dennoch zuließ.
Viele Bauarbeiten wurden auf Drängen des Fürsten nach außerhalb der Burganlage verlegt, um so vor Einbruch des ersten dichten Schneefalls, genügend Wohn- und Handwerksgebäude zum Abschluss zu bekommen. Familien, die das Glück hatten, über ein bereits fertiges Gebäude zu verfügen, waren näher zusammengerückt, um Wohnraum für ihre Nachbarn zu schaffen. Mit ende des bevorstehenden Winters, wollten diese sogleich wieder hinaus und abermals Quartier in der üblichen Zeltstadt suchen. Arbeiter, die nach wie vor an den Burganlagen bauten, wurden kurzerhand aufgeteilt und hausten in Räumlichkeiten, dessen Gebäude als fertig galten. Sogar die hinter dem Palas verborgene Höhle stand dem Volk zum Bewohnen vorerst zur Verfügung. Auch wenn Jarik und Ben vehement über diese Lösung stritten und Goram immer wieder darauf hinwiesen, die Höhle als geheim zu behandeln, hatte Ben jedoch beschwichtigend die Hände gehoben und abgelehnt.
»Es ist bereits entschieden«, hatte er stets beteuert und so mussten die Schwertmänner den Gang, hinter dem leeren Podest, auf dem ein Thron gebaut werden sollte, öffnen und freigeben.
Einer der dort untergebrachten Knaben hatte die Wache haltenden Schwertmänner informiert, was er in dem Tunnel, welcher der Höhle angrenzt, gefunden habe. Als seine Mama mit den anderen Frauen zusammen an neuen Umhängen schneiderte und nähte, schlich er sich davon, entwendete eine Fackel und zwängte sich durch den engen Durchlass. Bis zum Ende des Tunnels war er gelaufen, ohne Furcht und mit brennender Fackel voran. Mit einem Mal stand er mitten auf dem Kamm des Gebirges und konnte das gesamte Tal überblicken. »Wie kleine Krabbeltiere habt ihr ausgesehen«, lachte er.
Ben befahl daraufhin die Freilegung des selbigen Ganges. Dieser reichte wahrhaftig bis hinauf zum Kamm und endete auf einer plattformartigen Anhöhe, die in westlicher Richtung abschüssig verlief. Goram versprach am Ausgang wie auch dem Zugang steinerne Pforten bauen zu lassen. Diese sollten so gebaut und eingesetzt werden, dass diese nicht erkenntlich seien und im Falle einer Notdürftigkeit, Flüchtenden einen rettenden Weg boten.
Die Naïns hielten Wort und der Tunnelzugang, als auch der Ausgang, oben auf dem Gipfel, waren verschlossen. Selbst bei näherer Betrachtung waren diese weder einsehbar geschweige denn als solche zu erkennen - geheime Zugänge.
Wie angekündigt lud Ben alle Bewohner Neumarks zur letzten gemeinsamen Wehrübung für jene Jahreswende. Auf den freien Flächen neben den Burgbaustellen, aber auch vor denen der künftigen Stadt fanden Waffenübungen statt. Bogenschützen verfeinerten ihr Geschick an Strohscheiben, Schwertkämpfer hieben und stachen ihre Klingen in mit Stroh gefüllte Lumpen, die Puppen darstellen sollten. Berittene Übungen, als einfache ausritte, Richtungswechsel und Lanzenstechen wurden auf den weiten Flächen des Umlandes zelebriert.
Jarik ließ von erfahrenen Schwertmännern die erst kürzlich eingetroffenen Rösser vom Martram-Gehöft einreiten. Stolze Tiere, robuster und kräftiger als die seiner Männer. Durch die Verbindung der wilden Herden aus dem Tal, mit denen aus Middellande, hatte der gute Herr Martram eine kraftstrotzende Zucht hervorgebracht. Die älteren Tiere von ihm waren ebenfalls aus wildem Gestüt Middellandes, beteuerte er und versuchte seine Arbeit so gering zu schätzen.
»Wo steckt unser Fürst, Jarik?«
»Was denn, Tiron. Du hast es noch nicht gehört?«
»Nein, wie auch. Ich bin erst kürzlich wieder hier.«
»Hm.« Jarik nickte. »Du warst zuvor bei der Pass-Wacht eingeteilt, stimmt.«
»Genau, was ist denn nun mit Benjamin?«
»Unser Fürst wollte einem Arbeiter das herabgefallene Werkzeug zurückgeben und ist beim Klettern gestürzt.«
Tiron weitete erschrocken die Augen. »Was?!«
»Lerina meint, er habe sich den Knöchel verstaucht. Halb so wild, er soll sich nur ausruhen.«
»Das ist alles?« Tiron rückte näher und konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. »Stimmt das Geschwätz, was man so erzählt? Ich mein ...« er deutete mit dem rechten Daumen hinauf zur Burg und in die Richtung des Gebäudes, wo Korian mit seiner Tochter wohnte. »Er und sie?«
Jariks Augen hellten sich grinsend auf. Er winkte seinem Freund mit dem Zeigefinger heran und flüsterte ihm zu. »Ja ... und nein. Frag ihn einfach selbst.« Er klopfte Tiron freudig lachend auf die Schulter und erntete ein tiefes Brummen. »Dann halt nicht. Wie steht es mit der Burg?«
»Hey, Oberscharführer. Sofern ich als oberster Schwertmann einen Zustandsbericht vom Pass erhalte, bin ich vielleicht gewillt dir einen über die Burg zu geben.« Wieder im freundlicheren Ton fügt er bei: »So viel Zeit muss sein« und zwinkerte ihm aufmunternd zu.
So kam es, dass Tiron Seite an Seite mit Jarik, auf ihren neu zugerittenen Rössern das Übungsgelände betraten und er ihm berichtete, was sich an der Pass-Wacht zutrug.
Der aktuelle Zustand der Wacht war durchwachsen. Immer wieder fielen Geröll herab und machten Arbeiten von vielen Zehnteltagen zu Nichte. Die naïnischen Metze und Baumeister hatten sich infolgedessen entschieden, das vorhandene Tal noch weiter in den Berg zu treiben. Die Wacht an sich verfügte daraufhin über zwei Ebenen, wovon die Zweite, erst ab einer Höhe von eineinhalb Längen begann. Seitdem diese Fläche so behauen war, blieb das stete Herabstürzen aus und die Arbeiter konnten sich wieder ums Wesentliche kümmern. Die alte Holzpalisade wurde eingerissen und wich massiven Mauern. Diese umfasste etwa eine Länge in der Breite und sollte bei Fertigstellung zwei in die Höhe reichen. Mittig, wo das Tor bereits in schweren Angeln ruhte, war der Wall komplett fertig. Die beiden alten Türme mussten wie die Palisade auch weichen und waren wie die Mauer selbst etwa zur Hälfte gebaut. Der Wall sollte zu den angrenzenden Bergseiten hin schräg ansteigen, somit auch die zweite Ebene mit einbegriffen werden konnte. Die Fläche selbst war mittlerweile so groß, wie die des Pass-Weilers und bot nebst zwei großen Ställen und einem vergrößerten Brunnen, über Unterkünfte für Wächter und Arbeiter samt Familienanhang. Sogar eine Taverne stand auf dem Bauplan, welche reisenden einen Platz der Ruhe bieten solle - auch wenn es bis dahin noch lange dauern würde. Reisende in unterschiedliche Marken - undenkbar.
Im Gegenzug erfuhr Tiron den neuerlichen Zustand des hiesigen Geländes. Aufgrund der bevorstehenden Winterzeit hatten sich Ben und die Baumeister beider Völker darauf geeinigt, die Baustellen voranzutreiben, in denen das Volk die kalte Zeit überdauern gedachte. Goram bat seine begabtesten Steinschläger und Baumeister zurate und ließ sich versichern, dass an den Hauptgebäuden auch während der winterlichen Tage weiterhin gebaut werden konnte. Der Palas befand sich in der dritten Bauebene und die Böden waren komplett versiegelt, sodass keine Nässe mehr hindurchdrang. Der angrenzende Wehrturm erreichte nahezu dieselbe Bauhöhe, sollte indes den Palas bei Fertigstellung noch überragen und mit einer Schleuder bewehren. Den Bergfried hatten die Arbeiter absichtlich vernachlässigt und dieser reichte nicht einmal an die zweite Wohnebene des Palas heran. In den kommenden Tageswenden wurden Arbeiter jedoch die jetzige Bauebene des Turmes beenden und versiegeln.
Der Stolz des Fürsten, seinen Brunnen mit den stehenden Pferdeleibern war funktionstüchtig und führte bereits Wasser, die Aufbauten lagen in Stroh gebettet direkt da neben.
Die Mauern des inneren Torhauses, die Unterkünfte der Schwertmänner sowie die der geplanten Bediensteten umfassten lediglich Brusthöhe und zählten zu den Gebäuden, die während der Winterzeit weitergebaut würden, wie die Küche auch. Was die äußere Burganlage betraf, erfuhr er, dass nebst der fertigen Stallung, Hofschmiede und Hofschreinerei, nur noch das Torhaus rechtzeitig vollendet sein würde, bis der Schnee Einzug hielt. Die übrigen Baustellen mussten eingestellt werden und wiesen wenn überhaupt gerade einmal die ersten Steinreihen der Bemauerung auf.