Der Weg der Kolonne, mit drei Fuhrwerken im Anhang, beladen mit Umhängen und etlichen Waffen, führte sie vom Naïnhof-Weiler über das Martram-Gehöft hinüber zum Fischgrund-Weiler. Dort verweilten sie, verbrachten vor Ort eine Nacht, die noch immer empfindlich kalt blieb und verliehen bei Anbruch des Tages den neuen Lords die Zeichen ihrer Zugehörigkeit. Als nächstes Ziel sprachen sie über die Pass-Wacht und begaben sich folglich auf direktem Wege dorthin. Die Hufe ihrer Rösser und das hallende Rumpeln der beschlagenen Räder ihrer Karren hallten als Echo von den Gebirgshängen nieder. Klopfgeräusche und rufende Befehle mischten sich unter die selbst verursachten Geräusche.
»Nein, nein. Nicht dorthin, was muss ich euch langbeinigen Tölpeln noch erzählen, bis ihr es endlich begreift«, biederte eine strenge raue Stimme.
Ben ritt als erster ins erweiterte und ausgebaute Tal hinein und staunte mit weit geöffneten Augen. Sein Mund öffnete sich ungewollt und hauchte unverständliche Worte.
»Wie meinen, Herr?«, erkundigte sich einer seiner Scharführer, der neben ihm einritt.
»Was?« Er schüttelte mit dem Kopf und ordnete seine Gedanken. »Nichts weiter, ich bin nur erstaunt, wie es hier aussieht.«
Von dem einstigen kleinen Eital erinnerte nichts mehr. In der Gesamtfläche – ebenerdig – etwa doppelt so groß als zuvor. Zwei geräumige Ställe, eine Zusammenkunft für die stehende Wacht, die gleichzeitig als Schenke diente sowie ein ordentlich bebauter Brunnen und Wohnunterkünfte standen strategisch gebaut da. Zur Linken, wie zur Rechten waren Stufen in den Fels geschlagen und endeten auf einer zweiten begehbaren Ebene. Auf einer jeden befanden sich Unterkünfte für Bewaffnete samt Waffenkammer im Bau. Diese Gebäude entstanden, wie kleine eigenständige Festungen und erlaubten ebenso verbarrikadiert zu werden. Umbaute Fenster konnten von innen mit schweren Eisenvorbauten verschlossen werden, sodass von außen kein Geschoss den Weg nach drinnen fand. Auf den Dächern waren andeutungsweise Brustwehren zu erkennen. Der bastionsartige Wall, der Neumark von Middellande trennte, war fertig gebaut und verband durchgängig den rechten Gebirgshang mit dem Linken. Die Mauer verlief von Links schräg herab, führte ebenerdig weiter, um auf gegenüberliegender Seite wieder hinaufzuführen. Auf gesamter Länge befand sich ein breiter Wehrgang, auf dem zwei Männer bequem hintereinander Posten beziehen konnten. Vier außerordentlich stabile Türme waren mit der Mauer verbunden und gingen nahtlos in dieser über.
»Ah, Männer, wir haben besuch«, rief ein stämmiger Naïn von der Torwehr hinunter. Er winkte der Kolonne zu, die inzwischen komplett innerhalb der Pass-Wacht zum Stehen kam.
Einer der Wächter nährte sich und grüßte den Neuankömmlingen mit der Rechten, geführt zum Herzen. »Mein Fürst, willkommen in der Pass-Wacht.«
»Seid bedankt, Oberscharführer.« Er schwang sich aus dem Sattel Artemis und reichte dem Schwertmann die Rechte zum Gruß.
Dieser sah unbescholten und Ben nickte ihm fordernd zu. Er ergriff die Dargebotene am Handgelenk und lächelte.
»Sagt mir Oberscharführer, wie kommt es, dass die Pass-Wacht in dieser Pracht vor mit steht?«
»Die kalten Winde und der widerwärtige Schnee haben uns dank der hohen Klippen nicht zusetzen können«, ertönte die Stimme des zuvor streng brüllenden Naïns.
Ben verzog die Gesichtszüge und schürzte die Lippen.
»Wer hat den denn gefragt?«, richtete er die Frage an seinen Oberscharführer. Dieser lachte in sich hinein und winkte ab. »Aguschal hat uns vorgewarnt. Er ist ein Wichtigtuer, aber dafür einer der besten Baumeister und Steinschläger. Außerdem hatten wir mehr als genug von ihnen hier, weswegen wir auch beinahe am Ende der Bebauungen sind.«
»Nachdem, was ich hier sehe, glaub ich das gern. Wie steht es um die freien Lords an der Pass-Wacht?«
»Herr, uns wurden zehn fleißige Arbeiter zur Verfügung gestellt und weitere fünfzig stammen vom Pass-Weiler. Aber von diesen, tragen lediglich sieben, den Umhang.«
»So lass die Übrigen jetzt Aufstellung nehmen und den ihren in Empfang nehmen. Den Ritt durch die Mark verbinde ich mit Freudigem.«
Sein Gegenüber nickte erfreut und rief Befehle, sodass die naïnischen Arbeiter sich verduzt umsahen. Dreiundvierzig wehrtaugliche zwischen sechzehn und fortgeschrittenen vierzig Sommern traten in kürzester Zeit auf dem freien Platz, dem Vorhof, zusammen. Ben erklärte den Anwesenden, weswegen er gekommen sei und stellte allen die Wahl zur Lordschaft frei. Einige, wie zuvor in den Weilern und am Gehöft Martrams auch, verweigerten sich und mochten den Eid nicht leisten. Es war ihnen gegönnt und niemand nahm sich anstößig ihrer Entscheidung, dass die Mark im Falle der ausgerufenen Losung, nicht alle Männer zusammenführen konnte. Ernten mussten eingeholt, Tiere versorgt, Gebäude in Stand gesetzt und notfalls die Mark beschützt werden. So kam es, dass von den Angetretenen, lediglich zweiundzwanzig den Eid sprachen, ihren Umhang erhielten und so mancher zu einer eigenen Waffe griff.
Durch die Aufstockung der ständig stehenden Wacht an Schwertmännern, von einem Beritt auf zwei, sollte der dauerhafte Entsatz der Pass-Wacht fortan auf einen halben Beritt angehoben werden. Weiterhin war geplant und mit den Baumeistern besprochen, dass zwei weitere Wach- und Wehrtürme zu errichten seien, die mit beiden Seiten des Gebirges, zur Seite Neumarks, abschlossen. So sollte sichergestellt werden, dass Mitteilungen zwischen der Mark und der Wacht deutlich schneller ihren Weg fanden.
Ben und sein Gefolge blieben nicht länger als nötig und begaben sich auf den Weg zum Pass-Weiler, um dort ebenfalls Ernennungen zu vollziehen. Gleiches geschah am Horduz-Gehöft, der Werk- und Arbeitsstätte der Erzmine sowie beim errichteten Weiler der Schmiede, unter dem Kommando Halis Neffen Helbert. Die Bewohner vor Ort erhielten wie zuvor ihresgleichen auch, die freie Namenswahl ihres Zuhauses und benannten ihren Weiler von diesem Zeitpunkt an Berg-Weiler. Auf Grund des anhaltend guten Wetters hatten die Arbeiten am Pass jenes Berges begonnen, die zuvor stümperhafte Palisade einzureißen und Vorarbeiten für eine ordentliche Mauer zu beginnen. Ein großzügiges Fundamentbett war bereits ausgehoben und stabil verfüllt. An den Übergängen zum gewachsenem Fels waren erste Steinreihen aufgeschichtet und der Bereich, der einem künftigen Tor dienen sollte, abgesteckt. Heuler trieben sich bedingt der günstigen Witterung herum und fanden so auch den Weg hinab in die Mark. Die postierten Schwertmänner beteuerten jedoch standhaft, mit dieser Situation zurechtzukommen und boten keinen Anlass der Sorge. Ben ordnete dennoch an, eine seiner ihm begleitenden Scharen an Ort und Stelle zu belassen, um die Arbeiter wie die Baustelle weiträumiger zu schützen. Soweit möglich sollten sie den Weg hinauf folgen und etwaige Nester ausräuchern und alles erlegen, was sich ihnen aggressiv nährte. Die Schwertmänner benannten diesen Ort treffend der Lage und Situation schlicht Klippenstieg-Wacht und Ben fand den Namen entsprechend, dass er diesen guthieß und auf der Karte ihrer Mark verewigen ließ.
Nach kurzen Absprachen zu seinen Männern und Ernennungen weiterer Wehrtauglicher ritt die kleiner gewordene Kolonne an und begab sich auf den Heimweg. Zweihundert grüne Umhänge führte der Karrenzug zurück in die heimelige Burg. Überwürfe die begierig auf Zuwachs warteten.