Ein Pfeil ein Schuss! So lautete die Regel. Ich konzentrierte mich. Die Tauben flogen so dicht dass jeder, der einen Pfeil abgeschossen hätte, eine Taube getroffen hätte. Aber ich wollte nicht irgendeine Taube treffen. Schliesslich ging es ja auch nicht um irgend eine Frau, sondern um Ataivas Opfer.
Jede der Tauben, die jetzt vor ihm hin und her flatterten hatte vorhin ein kleines Bändchen mit einem Namen darauf um den Fuss bekommen. Auf jedem dieser Zettel stand der Name eines Mädchens, dass sich im Alter zwischen 14 und 17 befand und im Land Tey-Nor lebte.
Der jeweils älteste Königssohn, in diesem Fall ich, hatte dann einen Bogen und einen einzigen Pfeil, um eine der Tauben zu erschiessen. Eigentlich schoss heutzutage niemand mehr mit Pfeil und Bogen, aber die alte Tradition, dass immer der Königssohn und Thronfolger mit einem einzigen Schuss eine Taube erledigen musste, hatte sich hartnäckig gehalten.
Die „glückliche“ Gewinnerin, die ausgelost wurde, lebte dann, nach den 37 Gründern des neuen Reiches 37 Tage lang im Palast und wurde dort wie eine Königin behandelt.
Nach diesen 37 Tagen allerdings, wurde sie am nördlichsten Punkt in Tey-Nor auf den ausgebreiteten Händen einer mehrere hundert Meter hohen Statue festgebunden und der Göttin Ataiva zu Ehren bei lebendigem Leibe verbrannt!
Plötzlich blitzte etwas weisses in meinem Augenwinkel auf. Eine schneeweisse Taube flog einen eleganten Bogen an ihm vorbei und versuchte verzweifelt eine Lücke in dem Käfig zu finden, durch die sie entfliehen konnte.
Ich wusste dass ich diese Taube haben wollte! Ganz langsam und vorsichtig spannte ich den Bogen um die Tauben nicht aufzuregen und richtete ihn auf das schöne Tier. Die versammelte Menge hielt gespannt den Atem als ich ein letztes Mal noch den Bogen überprüfte und dann abschoss.
Genau in dem Moment, in dem der tödliche Pfeil von der Sehne schwirrte, erklang ein dumpfer Knall. Erschrocken flatterten die Tauben durcheinander und das weisse Tier machte panisch eine steile Kurve nach links. Sirrend bohrte sich der Pfeil in die Brust einer gewöhnlich grauen Taube. „Wer war das?“ zischte ich erzürnt und liess meinen Blick über die Menge schweifen. „Wer hat diesen Stein geworfen?“
Die Menge schwieg, bis plötzlich die Stimme eines jungen Mannes erklang.
„Ich eure Hoheit, ich habe den Stein geworfen!“ Überrascht blickte Jacob sich um. Die Stimme kam jedoch nicht aus der Menge der Zuschauer und auch nicht von der Tribüne hinter ihm.
Die Stimme kam aus der Richtung zu seiner linken, dort wo das Gefängnis lag.
Langsam drehte Jacob den Kopf. Aus seinen Augen, sprühte blanker Hass, als er den jungen Mann entdeckte, der betont lässig am vergitterten Fenster seiner Zelle stand und Jacobs Blick standhielt. Sein schwarzes Haar leuchteten im Licht der untergehenden Sonne, seine Haut hatte die Farbe von Zimt und in seinen blauen Augen leuchtete der Schalk.
„Ich habe den Stein geworfen.“ rief dieser erneut und lachte amüsiert auf.
„Nicht du schon wieder!“ Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse voller Schmerz und Hass. „Zuerst verrätst du dein Land, bringst zwei meiner besten Männer um, schlägst dann einen Kommandanten nieder, und jetzt das! Alles nur wegen diesen verdammte…“
Schnell unterbrach ich mich selber. Schliesslich sollte Niemand erfahren, was vor sich ging. „Männer, bringt dieses verdammten Kerl endlich zum schweigen! Und danach, will ich ihn in den Schlosskerkern treffen!“
Sofort rannte ein Trupp Soldaten los um den Mann in eine andere Zelle, tief unter der Festung zu bringen.
Angewidert, zog ich den Pfeil aus der Brust der Taube und nahm ihr den Zettel vom Fuss. Mit angehaltenem Atem, blickte die Menge zum Prinzen empor. Im Hintergrund wurde ein Trommelwirbel laut und ich entfaltete den Zettel langsam.
Ich holte tief Luft und verlas dann den Namen, welcher auf dem Zettel stand. Meine Stimme war ausdruckslos als ich sagte: "Mira Oblava."