Was für eine Schotterpiste!
Mühsam quält sich mein altersschwacher Corsa über die staubige, unbefestigte Straße. Hoffentlich habe ich nicht auch noch eine Autopanne. Zwar ist mein Handy voll aufgeladen, aber das hilft mir leider gar nichts, in diesem Funkloch. Und ich dachte immer, Italien wäre diesbezüglich besser ausgebaut als Deutschland.
Durstig greife ich nach der Wasserflasche, die ich unten an der Konsole in die Ausbuchtung gestellt habe. Hastig nehme ich einen Schluck. Im Auto ist es recht warm, trotz eingeschalteter Klimaanlage. Aber die Hitze ist offensichtlich zu groß und überfordert das Gebläse.
Lange kann es ja eigentlich nicht mehr dauern. Ganz geheuer ist mir das hier nämlich nicht – ich bin hier allein unterwegs und schon seit einer Stunde keiner Menschenseele begegnet. Wenn mein Auto hier streikt, werde ich ewig auf Hilfe warten müssen, und das mitten in der Pampa im heißen Italien.
Dabei bin ich im Auftrag meiner Firma unterwegs. Meine Firma, das ist ein kleiner Verlag, der seit einem halben Jahr eine neue Zeitschrift herausgibt. „Der literarische Bücherwurm“ heißt unser monatliches Magazin und hat sich zur Aufgabe gemacht, neue interessante Bücher vorzustellen und mit jeder Ausgabe ein exklusives Interview zu veröffentlichen. Am besten mit Autoren, die publikumsscheu sind und sich lieber von der übrigen Welt zurückziehen.
Und genau in dieser Mission bin ich unterwegs.
Alles begann vor gut einem Monat. Die Enthüllung, dass es sich bei der „Gräfin von Monte Christo“ um das Pseudonym eines Mannes handelt, schlug ein wie eine Bombe. Die örtliche Klatschpresse hatte sich förmlich überschlagen. Die Gräfin, bekannt für romantisch hocherotische Liebesromane mit einem gewissen Niveau und gewählter Sprache, gehörte dem „starken“ Geschlecht an.
Dann war die losgegangen, die Schlammschlacht. Frauen, die zutiefst enttäuscht waren lieferten sich in den einschlägigen Blättern Wortduelle mit anderen Damen, die begeistert waren und ihren „Monte Christo“ unbedingt kennenlernen wollten. Je nach Gesinnung war der Autor entweder „der sinnliche Frauenversteher, die neue Art von Mann, die diese Gesellschaft brauchte“ oder „diese falsche Schlange, die alle ihre Leser betrogen hatte und nur auf deren Geld aus war“. Nicht zu vergessen die Spekulationen, ob der Graf in Wirklichkeit schwul war.
Ja, diesen Titel hatte er tatsächlich. Graf Gregorius von Wattenstein. Eigentlich ein bescheuerter Name und ich kann es ihm nicht verdenken, dass er sich einen Künstlernamen zugelegt hatte.
Alter deutscher Adel, auch wenn keiner so recht wusste, woher er kam. Und der noble Herr hatte beharrlich dazu geschwiegen.
Bisher. Und da kam unser Verlag ins Spiel.
Irgendwie – die genauen Umstände blieben ein Geheimnis – hatte es unser Verlagschef geschafft, Gregorius zu einem Interview zu überreden. Der Autor hatte alle Gesprächsangebote abgelehnt, aber Herr Maier hatte ihn überredet. Und so war ich nun hier irgendwo im Festland in Italien unterwegs, um diese Berühmtheit zu interviewen.
Der noble Herr hatte jedoch einige Bedingungen gestellt. Er selbst reiste niemals, sondern schrieb seine Werke in seinem Feriendomizil im sonnigen Italien. Der Typ war demnach 365 Tage im Jahr in Urlaub. Etwas, von dem ich nur träumen kann.
Aber in der heutigen Zeit mit Computer und Internet ist es ja kein Problem mehr, als Schriftsteller irgendwo in der Welt zu leben und auf diese Art mit den Verlagen zu kommunizieren.
Das war die erste Bedingung von ihm gewesen. Dass man ihn aufsuchte, nicht umgekehrt.
Die zweite: ein Interviewpartner. Er wolle sich nur auf eine Person konzentrieren, war die Begründung gewesen.
Und da er für Frauen schrieb, würde er auch nur eine weibliche Person akzeptieren. Über das Alter hatte er sich wohl nicht geäußert.
In gewisser Weise waren gewisse Eigenheiten bei Prominenten normal und daher hatte mein Chef vermutlich ohne weitere Verhandlungen Ja dazu gesagt.
Mit der Folge, dass der Kelch an mich weitergereicht wurde.
Zugegeben, aus diesem Kelch zu trinken ist nicht bitter, sondern er bietet im Gegenteil ein sehr reichhaltiges Geschenk. Ich bin auf Geschäftskosten im sonnigen Italien, darf einen Prominenten interviewen und habe dadurch die Chance auf den großen Durchbruch. Das könnte der Anfang einer großen Karriere sein, wenn ich mich nur nicht zu blöd anstelle.
Wieder nehme ich einen großen Schluck Flüssigkeit aus der Flasche zu mir und biege scharf recht ab.
Endlich! In der Ferne entdecke ich ein Gebäude, welches auf einem Hügel vor mir aufragt.
Eigentlich ist es mehr ein Erahnen, denn ich habe nur kurz ein Dach in der Sonne blitzen sehen und erblicke eine Straße, die sich hochschlängelt. Ein großes Landhaus, welches etwas versteckt zwischen zwei Pinienwäldern liegt. Gregorius hat uns ein Bild von seinem Heim geschickt daher weiß ich in etwa, nach was ich ausschauen muss. Und ich bin sicher, dass es sich hierbei um das gesuchte Haus handelt.
Ich atmete tief ein und aus. Es ist nicht mein erstes Interview, wenn auch das wichtigste bisher. Ich werde diesen Eigenbrötler schon aus der Reserve locken.
Am liebsten würde ich etwas mehr Gas geben, aber dies lässt der Zustand der Straße nicht zu. So muss ich weiterhin im gemächlichen Tempo bleiben und beobachte den besagten Hügel, der nur langsam näherkommt.
Etwa eine Dreiviertelstunde später erreiche ich mein Ziel.